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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


Cooper's Tendenz wendet sich vorzugsweise an das nordamerikanische Leserpublicum, das er ausdrücklich warnt, „in dem Namen Republik eine Aehnlichkeit mit den gerechten und daher populären Institutionen seines eigenen Landes zu finden“. Er will darlegen, „wie die Menge in den Netzen einer Geheimpolitik sich verfängt“, und „was die Nichtverantwortlichkeit einer aristokratischen Regierungsform heißen will“. Seine Anschauung gipfelt in dem Satze: „Die Lüge ist die Mutter aller Verbrechen, und nie hat sie einen zahlreicheren Nachwuchs, als wenn sie ihren Ursprung vom Staate selbst ableitet.“

Der beifolgende Holzschnitt, nach einem größeren Aguarell Karl Werner’s gefertigt, behandelt eine der Hauptscenen des eben besprochenen Romans. Er zeigt uns den vorgeblichen Bravo vor dem Rathe der Drei. Mit edlem Freimuthe steht der Unglückliche, der das ganze Truggewebe, in das er verstrickt ist, klar durchschaut und wohl weiß, daß sein Untergang bereits beschlossen ward, unter der ihn hell bestrahlenden Lampe. Er kennt ja längst den Dank, den San Marco für seine Diener hat, und verschmäht es, durch Bitten oder Lügen sein Leben von solchen Richtern zu erkaufen.

Karl Konrad.




Republikanische Hofetiquette.
Ein amerikanisches Sittenbild.

Wer etwa glauben wollte, daß es in dem „Weißen Hause“ in Washington, der Wohnung des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, ganz in demokratisch-republikanischer Einfachheit zugehe, und daß aus diesem Gebäude alle und jede Etiquette verbannt sei, der würde sich sehr irren. Ist auch der oberste Executivbeamte der großen Republik nur ein „König im Frack“, wie er oft wegen der großen ihm eingeräumten Rechte und Gewalten genannt wird, so gelten doch auch in seinem bürgerlichen Hause Regeln, welche denjenigen sehr nahe kommen, die in einer fürstlichen Hofhaltung üblich sind. Vor der Gründung des nordamerikanischen Freistaates waren die Hauptstädte der Colonien die Sitze von ebenso vielen Hofhaltungen der Gouverneure, an denen goldgestickte und besternte Uniformen und kostbare Damentoiletten glänzten, und als nach Beendigung des Unabhängigkeitskrieges die Frage: „Ob Republik oder Monarchie“, endlich zu Gunsten der ersteren entschieden und General Georg Washington zum Präsidenten erwählt worden war, fiel zwar der königliche Aufwand, aber keineswegs die königliche Etiquette weg.

Der „Vater des Vaterlandes“ war seiner Geburt, seiner Erziehung und seinem ganzen früheren Leben nach in gesellschaftlicher Hinsicht aristokratisch angelegt, so sehr er auch in politischer Beziehung ein grundsätzlicher Republikaner gewesen sein mag; so lange er an der Spitze der Regierung stand, war von seinem Hause alles, was an demokratische Gleichheit angestreift hätte, streng verbannt. Der Sitz der Regierung war in den ersten Jahren der Republik in New-York, und dort, wo kurz vorher die englische Aristokratie, Officiere und Civilisten, den gesellschaftlichen Ton angegeben, hielt Georg Washington „republikanischen Hof“, wie die damalige „Gesellschaft“ es selbst gerne mit besonderem Stolze ausdrückte. Mit gepudertem Haupte, in kurzen Beinkleidern und Schnallenschuhen mußte erscheinen, wer zu dem republikanischen Hofe und seinen Festlichkeiten zugelassen war, und der einzige merkbare Unterschied zwischen früher und jetzt war die blaue Officiersuniform, welche die Stelle der rothen eingenommen hatte.

Besonders bemerkenswerth waren zu damaliger Zeit die Neujahrsempfänge des Präsidenten, „Präsidenten-Levers“ genannt, bei denen jedoch nur die hohen Civil- und Militärwürdenträger, die fremden Gesandten, die Mitglieder des Congresses und sonstige ausgezeichnete, an dem republikanischen Hofe eingeführte Personen mit ihren Damen erschienen, während alle Andern von der Betheiligung an diesem Empfange ausgeschlossen waren. Diese Hofetiquette hat sich nicht nur während der zwei Regierungstermine Georg Washington’s, sondern auch unter seinen Nachfolgern in der Präsidentschaft erhalten, bis General Andrew Jackson zum obersten Regierungsbeamten erkoren wurde. Jackson, der Sieger in der Schlacht von New-Orleans und im Seminolenkrieg, war keineswegs der Mann der Etiquette. Er hatte als junger Advocat eine verheirathete Frau entführt, war mit ihr geflohen, und nachdem der verlassene Ehemann eine Scheidung erwirkt, hatte er sich mit ihr ehelich verbunden. In New-Orleans hatte er wenige Tage vor der Schlacht das Kriegsgesetz proclamirt, einige unzufriedene Bürger verhaften lassen, und als Richter Hall mit einem Habeas-Corpusbefehl einschreiten wollte, ließ er diesen selbst in’s Gefängniß werfen. Nachdem die Engländer geschlagen und New-Orleans gerettet war, verurtheilte ihn derselbe Richter Hall wegen Ungehorsams gegen die richterliche Autorität (contempt of court) zu einer Geldstrafe von eintausend Dollars, welche der siegreiche General ohne alle Weigerung bezahlte. Jackson führte einen Ton in der Stadt Washington und im „Weißen Hause“ ein, welcher von dem am „republikanischen Hofe“ gewohnten grell abstach.

Schon am Tage von Jackson's Regierungsantritt, bei der feierlichen Einführung in’s Amt, muß es im „Weißen Hause“ arg zugegangen sein, wenn die Beschreibung, welche ein Zeitgenosse, Richter Story, davon macht, nicht übertrieben ist. „Die verschiedensten Personen,“ sagt Story, „hatten sich eingefunden, die feinsten Leute, wie die gemeinsten Kerle. Um den Präsidenten zu sehen, sprangen sie mit ihren dicken, schmutzigen Stiefeln auf die seidenen Stühle und kauten dabei ihren Tabak. Erfrischungen standen und lagen in Massen bereit, unter Anderem ganze Fässer voll Orangenpunsch. Als die Aufwärter herbeikamen, um das Getränk herumzureichen wurden sie von der Menge wild angefallen. Man zerbrach die Gläser; der Punsch schwamm auf dem Estrich. Alles schrie und lärmte, drängte und stieß laut und bunt durch einander. Es war für die Diener ganz unmöglich, durchzudringen und auch den im Hintergrunde mit Ungeduld harrenden Damen einige Erfrischungen zu bringen. Endlich rollten sie die Fässer mit Punsch hinab in die Gärten, um die Menge dorthin zu locken. Es war ein widerlicher, gräßlicher Anblick; die Regierung des Pöbelkönigs hatte begonnen.“

Unter Jackson’s Präsidentschaft scheint das Volk auch zum ersten Male zum Neujahrsempfange zugelassen worden zu sein, wobei es, wenn auch nicht so bunt, wie am Inaugurationstage, doch immerhin sehr plebejisch zugegangen sein muß. Der Präsident ließ nämlich im sogenannten Ostzimmer den Neujahrsgratulanten einen großen Käse aufstellen von dem sich Jeder, so viel er wollte, herunterschneiden konnte, und von dem die Abfälle, wie die gesellschaftliche Chronik aus jener Zeit meldet, auf den kostbaren Teppichen zertreten wurden.

Standen schon diese Anfänge der Verwaltung des Präsidenten Jackson in scharfem Gegensatze zu dem aristokratischen Tone, der zu Washington’s und seiner unmittelbaren Nachfolger Zeiten an dem „republikanischen Hofe“ herrschte, so sollten bald durch eine verrufene Frau nicht blos scandalöse Störungen in das höhere gesellschaftliche Leben der Bundeshauptstadt gebracht werden, sondern es wurde selbst eine Auflösung des Cabinets dadurch herbeigeführt. Der Präsident hatte nämlich, trotz des energischen Abrathens seiner Freunde, mit der ihm eigenen Halsstarrigkeit einen schlecht beleumdeten Major und Advocaten, Namens Eaton, zum Kriegsminister ernannt. Dieser Eaton hatte die Wittwe eines Zahlmeisters der Kriegsflotte geheirathet, die Tochter eines Wirthes der Bundeshauptstadt, welche sich durch ungemeine Schönheit, aber auch durch freches Benehmen auszeichnete und nur unter dem Namen „die Pompadour“ oder „die Aarons-Schlange“ bekannt war; sie wurde begreiflicher Weise von den Gemahlinnen der anderen Minister und überhaupt von der vornehmen Welt in den gesellschaftlichen Bann gethan und nur in den Häusern derjenigen fremden Gesandten zugelassen, die keine Frauen hatten. Als der Präsident endlich soweit ging, seinen Ministern über ihr Benehmen gegen die Frau des Kriegsministers Vorstellungen zu machen, wurde ihm bemerkt, daß in Familienangelegenheiten die Herren Minister keine Einmischung, selbst nicht von Seiten des Oberhauptes der Republik, duldeten. Die Auflösung des Cabinets, freilich unter Angabe anderer Gründe, war der Schlußact dieses Skandals am demokratischen Hofe des „Pöbelkönigs“.

In neuerer Zeit ist dies nun freilich alles anders geworden. Von Hofskandalen hat man seit Jackson’s Zeiten nie wieder gehört,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_343.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2022)