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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


führende Strang, und wen kommt nicht einmal die Lust im Leben an, Etwas zu wagen! Freilich 25 Thaler Strafe für unzeitiges Signal war das Gegenmittel für zu feurige Liebhaber.

Da saßen sie denn, die alten Kneipiers, in der reellsten seligsten Seligkeit ihres Hochgenusses; es schien ihnen nichts zu fehlen; sie waren die „Glücklichen“, seliger, wie sie auf dem „hohen Olymp“ nicht sein konnten. Gesang und Trank, Witz und Scherz wechselten, wie es der Augenblick eingab.

Bald fand sich auch ein „Thurmia“-Dichter und mit ihm das Farbenlied und das „Allgemeine“, dessen Anfang Nachts, wenn der alte Noah die Thürme umhumpelte, Barbara anstimmte, indem sie rief. „Es hat ja geplumpert etc.“ Eine reizende Zugabe war die musikalische Bildung Noah’s. Wie still sassen die alten Sünder da, wenn Noah sich erweichen und aus der Posaune einen Choral ertönen ließ! Weniger rührend als erheiternd war das musikalische Auftreten des jungen Sprößlings, der eben den ersten Studien verschiedener Blech- und Holzinstrumente oblag und in den Stunden so abgerichtet war, daß er bei seinem Vortrage genau 75 Tacte abzählte und sofort von vorn anfing, wenn er durch ein leises Gelächter der Zuhörer darin unterbrochen war. Das mache ihm aber auch einer nach unter solchen Stimmungsgenossen – Nachts um halb Zwölf 75 Tacte zu zählen, ohne aus der Fassung zu kommen, zumal noch unter der Aussicht des väterlichen Schutzgeistes!

Hin und wieder schlich sich auch wohl dieser Letztere, dem allgemeinen Gelage entfliehend, auf den Rundgang. Dort, auf dem Theile, der sich dem mächtigen Kirchendache zuwendet, stellte er sich mit dem Rücken gegen die Wand, mit den Füßen gegen das Geländer und fing, durch äußere und innere Stimmung getrieben, zu philosophiren an. Wenn er dann wieder zu uns in’s Zimmer zurückkehrte, welch wunderbare Gedankensprünge und Sprüche kamen da zum Vorschein! Leben, Liebe, Elend, Sterben, Hinabstürzen vom Geländer – Alles durch einander, wie es solche Stimmung mit sich bringt. Wir bildeten ein seltsames Gemisch von Menschen, das noch seltsamer wurde, wenn der verständige, lebenserfahrene Noah sich mit seiner Thurmphilosophie dazwischen mischte.

Aber unser Thurmphilosoph war auch ein praktischer Mann – trotz seiner Neigung zum einsamen Träumen und Nachdenken; denn er verstand es, sich mit den Dienern der Unterwelt, der Polizei, obgleich er nur selten zu ihnen hinabstieg, in gutem Einvernehmen zu halten, sodaß dieselben, wenn manchmal in stiller Nachtstunde ganz wunderbare Klänge von oben an ihr Ohr schlugen und dunkle Gestalten über die Brücke schlichen, die Augen und Ohren schlossen. Aber der Verräther schlief doch nicht für lange, wie überall, wo es gilt, harmloses Wesen durch Spionage zu stören. Die alte Schlange der Bosheit, des Neides konnte es nicht ruhig mit ansehen, daß dort in höhern Regionen eine kleine Zahl lustiger Menschen hin und wieder einige zwar absonderliche, aber unschädliche Stunden verlebte; wir unschuldigen Sieben sollten durchaus, so hieß es, dort oben kirchen- und staatsverbrecherische und Gott lästernde Gespräche führen; so fand sich denn auch wirklich eines schönen Tages der betreffende Untersuchungsbeamte nebst Protokollführer in der Höhe ein, um den Ort der That zu beschauen, die verbrecherischen Schriften etc. mit Beschlag zu belegen und den ehrenwerthen, gottesfürchtigen Noah gerichtlich zu vernehmen. Noah vor dem Richter! Wohl selten hat sich aus solcher Höhe eine Gerichtsscene abgespielt. Noah war stolz, daß nichts von Allem gefunden wurde, worauf man gefahndet, und wußte auf die Fragen, ob es wahr sei, daß diese nächtlichen Herren schlechte Witze über Kirche und Staat gemacht, nur höflich zu erwidern.

„Ja, Witze machen sie, aber immer nur gute!“

Das Semester ging zu Ende; die Sieben wurden nach allen Richtungen zerstreut. – – –

Nachschrift der Redaction. Damit schweigt unser Berichterstatter. Was ist nun aus den lustigen Studenten und ihrem Wirthe geworden? Nur über drei Mitglieder der „hohen Gesellschaft“ vermögen wir Aufschluß zu geben. Der einstige Bruder Studio, der uns die obige fröhliche Geschichte erzählt hat, er ist nach zurückgelegtem Studium ein namhafter Arzt und Schriftsteller geworden. Seit einigen Monaten ist er – todt, und nur seinem Nachlasse entnahmen wir das hier Mitgetheilte. Todt ist auch der alte Thurmwächter, todt seine Gemahlin Barbara. Mannigfaches Leid war in der stillen Thurmwohnung eingekehrt, und in Verzweiflung stürzte sich im Herbst des verflossenen Jahres der getreue Wächter von seinem hohen Wachtposten auf das Straßenpflaster Halles - am anderen Morgen fand man die Leiche seiner Frau in den Fluthen der Saale.




Die Anwendung der Electricität als Triebkraft macht, seitdem das Princip der elektrischen Kraftübertragung (vergleiche „Gartenlaube“ 1879, Seite 630 bis 632) zur Geltung gekommen ist, alle Tage neue Fortschritte und wird auf der diesjährigen „elektrischen Ausstellung“ in Paris sicherlich großes Aufsehen erregen. Eine der neuesten Anwendungen ist die für einen elektrischen Fahrstuhl mit Sicherheitsvorrichtung, wie er bereits aus der Mannheimer Gewerbe-Ausstellung (1880) in Betrieb gewesen ist und demnächst auf der Patent- und Musterausstellung in Frankfurt am Main wieder erscheinen wird. Die Berliner Firma Siemens und Halske beabsichtigt demnächst einen elektrischen Landwirthschaftsbetrieb durch ihre dynamo-elektrischen Maschinen vorzubereiten, wobei alle landwirthschaftlichen Arbeiten: Mähen, Dreschen, Pflügen etc., durch Elektricität verrichtet werden sollen.

Es ist dabei zunächst an solche Landgüter gedacht, deren weicher Boden den Dampfpflug nicht zu tragen vermag und die mit einem Dampfkessel von circa acht Pferdekraft und einer nicht über fünf Kilometer langen elektrischen Transmission ausreichen. Die Versuche der schon in unserem oben erwähnten Artikel sogenannten französischen Industriellen haben seitdem eine bedeutende Ausdehnung erreicht, und ein von Chrétien und Felix errichteter elektrischer Krahn hat sich in der Nähe der Zuckerfabrik von Sermaize auf das Beste zum Ausladen der Runkelrüben aus den Kähnen bewährt. Ebenso hat man die erwähnten Versuche mit dem elektrischen Pfluge fortgesetzt und eine Geschwindigkeit des Pfluges von 210 Fuß in der Minute erreicht, wodurch 215 Quadratfuß Land bearbeitet wurden.

Aehnliche Resultate hat der bekannte vor einigen Monaten verstorbene Pariser Chocoladen-Fabrikant Menier, der zugleich eine Fabrik zur Herstellung elektrischer Kabel betrieb, erhalten, sodass derselbe beabsichtigte, sein 1200 Hectare umfassendes Gut Noisiel sowie seine übrigen Besitzungen nur noch mit elektrischen Pflügen zu beackern. Die Hauptsache ist, daß die zum Betriebe der elektrischen Maschinen erforderliche mechanische Kraft nicht durch Dampfmaschinen, sondern von einem fünf Kilometer von dem Gute entfernten Wasserfall der Marne geliefert wird. Schon jetzt setzt derselbe acht dynamo-elektrische Maschinen in Thätigkeit, um die Menier’sche Chocoladenfabrik mit elektrischem Licht zu beleuchten.

Die Gramme’sche Gesellschaft zu Paris hat im vorigen Jahre eine elektrische Transmission hergestellt, die doppelt so lang ist, wie die bekannten Drahtseiltransmisionen in Schaffhausen, um die durch Turbinen gewonnene Arbeitskraft in eine von dem Gefälle fünf Kilometer entfernte Fabrik zu leiten. Das Resultat ist aber insofern kein günstiges, als von den 70 Pferdekräften der Turbinen nur etwa die Hälfte am andern Ende der elektrischen Transmission wiedergewonnen wird. Es würde also jedenfalls richtiger sein, solche Fabriken an der Stelle auzulegen, wo die Naturkraft disponibel ist, wie dies schon an obiger Stelle von uns betont wurde.




Der Topfbinder. (Mit Abbildung S. 349.) Die immer seltener werdenden Mitglieder der ehrbaren Zunft der Topfbinder sind allemal große Künstler, aber nicht „vor dem Herrn“, sondern vor der lieben Dorfjugend, die stets mit besonderem Interesse dem Schaffen dieser Meister zusieht. Wohl jedes Kind hat viel „Zerbrochenes“ auf dem Gewissen, und mit großer Genugthuung scheinen daher auch die Kleinen auf unserem heutigen Bilde den Mann zu betrachten, der so geschickt den durch ihre Ungeschicklichkeit verursachten Schaden wieder gutzumachen versteht. Die eigentliche Heimath der Topfstricker haben wir bereits einmal (Nr. 11 dieses Jahrgangs) unsern Lesern in Bild und Wort vorgeführt. Daher heute genug mit diesen wenigen Zeilen!




Anfrage. Giebt es in der Rheinprovinz Anstalten („Alters-Asyle“), in welchen alte Männer für den Rest ihrer Tage gegen Bezahlung gut verpflegt werden?




Kleiner Briefkasten.

C. L. in C. Sie fragen an, ob die sogenannten Promessen (gemeinschaftliches Spielen einer Anzahl Loose von Lotterie-Anleihen) auf solider Basis beruhen oder nicht. Hätten Sie sich die Mühe genommen, ein wenig nachzurechnen, würden Sie selbst gefunden haben, daß derartige Unternehmungen stark auf die – Leichtgläubigkeit des Publicums speculiren. Hier ein Beispiel aus dem von Ihnen eingesandten Prospect: zwanzig Theilnehmer spielen zusammen zehn Loose der badischen Lotterie-Anleihe von 1845 (sogenannte 35 Gulden-Loose), jeder also ein halbes Loos. Der Cours dieser Loose ist, während wir dies schreiben, 136 1/4, ein halbes Loos kostet demnach 68 1/8 M. und Sie bezahlen dafür 150 M. Freilich haben Sie dabei Antheil an 10 Loosen, unter denen moglicherweise ein Haupttreffer sein kann. – Zu rathen ist Jedem, der es nun einmal nicht lassen kann, bei solchem Gesellschaftsspiel sich zu betheiligen, dies wenigstens bei einer als solid bekannten Firma zu thun und sein Geld nicht dem ersten besten unbekannten Agenten anzuvertrauen; denn es ist schon vorgekommen, daß Unternehmer oder deren Agenten mit dem erhobenen Gewinne das Weite gesucht und den Spielern das Nachsehen gelassen haben.

M. Z. in Reval. Die Anwendung der Elektricität in der Müllerei, wie sie die Amerikaner neuerdings versucht haben, ist insofern von einem großen culturhistorischen Interesse, als sich darin ein Gedanke wiederholt, den man schon vor mehreren tausend Jahren gehabt hat. Ueber eine älteste Anwendung der Elektricität in den Gewerben erzählt uns nämlich Plinius: „In Syrien verfertigen die Frauen kleine Schwungräder für die Spindeln aus Bernstein, und nennen ihn Räuber (Harpax), weil er Blätter, Spreu und Fasern der Kleider an sich zieht.“ Wie hier die anziehende Kraft des geriebenen .Bernsteins, dem bekanntlich die große Naturkraft ihren Namen – Elektricität heißt Bernsteinigkeit – verdankt, benutzt wurde, um das Gespinnst von der Spreu zu reinigen, so haben amerikanische Mühlen-Ingenieure über den Griessieden ein über zwei Walzen laufendes, endloses Band aus Hartgummi angebracht, welches durch Reibung gegen ein Schaffell elektrisch wird und nun die zu entfernenden Kleintheilchen anzieht, welche nachher durch eine Bürste in einem besonderen Behälter abgekehrt werden. Die Idee scheint im höchsten Grade originell zu sein, und dennoch bestätigt sie nur das alte Sprüchwort: „Nichts neues unter der Sonne!“

Charles le Blanc in Wien. Die Adresse des beklagenswerthen Mädchens ist uns leider unbekannt. Sollen wir Ihre Gabe zu einem andern mildthätigen Zwecke verwenden? Wenn nicht, so bitten wir um Angabe Ihrer Adresse.

„Alter Abonnent“ in Sprottau. Wir warnen Sie vor all diesen „Herren“, soll heißen: Beutelschneidern.

T. E. Derartige Vertrauensangelegenheiten können nur mit offenem Visir, das heißt brieflich, nicht aber auf dieser öffentlichen Tribüne der Anonymität verhandelt werden. Bitte, Ihre Adresse! An uns wird es nicht fehlen, Ihnen gefällig zu sein.

E. W. in Bunzlau. O, Sie schlechter Leser! Spangenberg’s Bild „Der Zug des Todes“ finden Sie bereits in Nr. 15. unseres Jahrg. 1879.

Sophie R. in Suczawa. Wir bedauern, Ihnen nicht rathen zu können.

M. H. in Leipzig. Jedes gute Conversationslexicon giebt Ihnen die gewünschte Auskunft.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_352.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)