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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Die naivste Waarenunkenntniß der Menge, die nicht einmal in den allernächsten und täglichen Bedürfnißwaaren Bescheid weiß, hat diesen Moloch Schein groß gezogen und nährt ihn weiter. Nicht immer zwar trägt dabei das Publicum die Schuld, aber doch wohl in den meisten Fällen, wie ich beweisen werde. Schon der Umstand, daß die sogenannte Verkäuflichkeit oder Marktfähigkeit bei Herstellung einer ganzen Menge von Artikeln mehr als deren Gehalt und Werth berücksichtigt werden muß, spricht dafür, daß die Käufermasse getäuscht sein will.

Nur einige Beispiele! Jedermann weiß, daß die Rinder sich zur Winterszeit mit Rüben, Heu und Haferstroh begnügen müssen, und jede Hausfrau sollte davon unterrichtet sein, daß die maiblumengelbe Farbe der Butter nur vom Grünfutter herrührt und daß die blasse, strohgelbe Färbung zur Winterszeit eine ganz natürliche ist. Nichtsdestoweniger greifen aber die meisten Hausfrauen zu aller Zeit nach der dunkleren Waare und lassen die Bauernweiber mit der unscheinbaren, aber ehrlichen Butter vereinsamt sitzen.

„Ja, wir müssen nun einmal färben; die Leute glauben Einem nicht. sie kosten die Butter nicht einmal,“ hörte ich selbst eine mir genau bekannte Verkäuferin sagen, da sie mit schier vollem Butterkorb vom Markt heimkehrte. Sie war eine grundehrliche Haut; sie hatte lange gezögert, aber von dieser Zeit an wurde auch in ihrem Gütchen zur Winterszeit eine kleine Butterfärberei etablirt. Einen Gewinn hatte sie natürlich nicht davon, im Gegentheil: sie mußte Arbeit und Farbstoff (der ein harmloser ist) obenein zugeben, aber Moloch Schein hatte sie gezwungen, auf diese Weise das Product marktfähig und verkäuflich zu machen.

Im Fleischeinkaufe kann sich die gewiegteste Hausfrau täuschen, aber sie wird sich nicht wie Tausende ihrer sorglosen Colleginnen durch eine Manipulation hinters Licht führen lassen, die eine Unart sonder Gleichen ist. In sehr vielen Schlächtereien bläst man nämlich dem eben getödteten Kleinvieh mit fast übermenschlicher Anstrengung Luft unter das Felle dadurch gewinnen die häutigen Lagen über dem Fleisch das Ansehen von Fettpolstern, sodaß sich das ganze Schlachtstück gefälliger in’s Auge drängt. Abgesehen von der Verunreinigung durch Kohlensäure aus der menschlichen Lunge, welche Manipulation schon in vielen Städten polizeilich verboten ist, spielt auch der Aufputz geringer Schlachtstücke in das Gebiet der gesetzlich verbotenen Täuschung hinüber, aber der Schlächter muß doch gezwungen worden sein, auch die marktfähigste Waare noch marktfähiger zu machen; denn es ist Thatsache, daß auch an den besten Schlachtstücken die unsaubere Mühe vergeudet wird.

Wer hätte nicht schon Fettaugen auf dem Kaffee wahrgenommen, die ihm, da das Getränk noch nicht mit Sahne vermacht war, als räthselhafte Irrfahrer erscheinen mußten? Sie rühren davon her, daß man beim Kaffeebrennen den Bohnen, und namentlich den geringeren Sorten, eine fettige Substanz beigab, die ihnen ein glänzendes, marktfähiges Aussehen verlieh. Das natürliche Fett des Kaffees, das bis dreizehn Procent des Gewichts beträgt, ist gebunden und schwimmt nicht frei obenauf. Das geringe Aroma der ordinären Bohnen wird durch solche künstliche Zuthaten ganz gewiß nur noch geringer – aber Moloch Schein will’s; sonst hat Niemand etwas davon, auch der Kaffeebrenner nicht; dafür sorgt schon die ungeheure Concurrenz in diesem Artikel.

„Das Bier hat keinen Spiegel,“ hört man oft, besonders in Norddeutschland, den Kellnern zurufen, und mißmuthig hält der Gast das Glas gegen die Gasflamme. Der Brauer, der vielleicht nicht weit davon sitzt, hat nun nichts Eiligeres zu thun, als darüber nachzudenken, wie er die natürliche Klarheit seines redlichen Gebräues bis zu dem unnatürlichen Glanze steigere, den man eben mit dem Kunstausdrucke „Spiegel“ belegt.

Der Gährungsproceß hat nämlich seine natürlichen Grenzen, über die er ohne künstliche Nachhülfe nicht hinausgeht. Da aber der Glanz die Einbildung belebt und in der Einbildung sogar den Geschmack heben kann, so ist man auf eine ganze Reihe von Klärungsmitteln verfallen, die nicht immer unschuldiger Art sind. Der Kenner freilich wird sich lieber mit einer Klärung begnügen, die etwa dem lauteren, prunklosen Schein des Bergkrystalls zu vergleichen ist, während er den Glanz, der nahe an das Flimmern des bleiversetzten Krystallglases heranreicht, mit Recht stets verdächtig finden wird.

Bis jetzt habe ich blos von Bedürfnißwaaren gesprochen, die uns täglich und stündlich durch die Hand gehen, und doch, welche Unkenntniß documentirt sich schon hier, welche Sorglosigkeit muß die Masse beherrschen, daß sie blind ist für ihre nächsten Interessen und dem Scheine nachdrängt, wie eine Schafheerde nach der hellen Flamme! Bei weniger populären Waaren steigert sich die Sucht nach Marktfähigkeit aus der einen, und die Waarenunkenntniß auf der andern Seite oft bis in’s Lächerliche.

Man denke nur an die Anilinfärberei! Wie viel Hunderttausende von Frauen mögen schon verdrießlich in die lichtgeschützten Falten ihrer Roben hinein geblickt haben, die ihnen vor Kurzem erst auf dem Ladentische des Kaufmanns so verführerische, flimmernde Empfehlungscomplimente zuwarfen und nun von der vergänglichen Herrlichkeit erzählen! In der Anilinfärberei ist es in neuerer Zeit gelungen, einigen Nüancen etwas Dauer zu verleihen; es war aber auch die höchste Zeit; denn dieser ganze Industriezweig schien nur der Marktfähigkeit auf den Leib erfunden worden zu sein. Indeß steht noch heute die Dauer der meisten Anilinfarben in gar keinem Verhältnisse zur Dauer der Stoffe, die man damit färbte.

Die jetzt mehr und mehr polizeilich verdrängten Arsenfarben spielen sich ähnlich auf. Charakteristisch ist die Antwort eines Spielwaarendrechslers, der mit der schönen, hellgrünen Farbe Waldbäumchen färbte und den ich nicht nur wegen des Giftgehaltes, sondern auch wegen der absoluten Unnatürlichkeit der Nüance zur Rede gestellt hatte. Er meinte. „Die Leut' greifen aber doch nach derre Farb',“ und färbte ruhig weiter.

Beim Kinderspielzeug (vergl. „Gartenlaube“ 1879, Nr. 1!) hat der Schein, der noch gar nicht schön zu sein braucht, gewiß seine Berechtigung; leider sinkt er nur zu häufig zum puren Plunder herab.

In der Textilindustrie spielt neben den Farben die Appretur oft eine sehr fragwürdige Rolle. Die Grenze vom Erlaubten zum Unerlaubten vom marktfähigen Schein zum wirklich Erforderlichen ist hier schwer aufzufinden. Das berüchtigte Linnen, das sich nach der ersten Wäsche zur einen Hälfte in Appretursubstanz (Kleister etc.) und zur andern in grobe Gaze auflöst und das die Criminalgerichte schon mehrfach beschäftigte, ist hier natürlich nicht mit heranzuziehen. Jedenfalls kann ein Waarenstudium in dieser Branche für jeden Haushalt von ganz besonderem Vortheil werden, wie auch dem reellen Verkäufer die Waarenkenntniß seiner Kundschaft nur erwünscht sein kann.

Die mineralischen Zusätze zum Papier, wie Gyps, Barytweiß und Thon, können erlaubte, nutzlose, aber auch betrügerische sein. Ein Zusatz bis zu dreißig Procent, wie ihn z. B. das Zuckerpapier sich gefallen lassen muß, ist eine gröbliche Täuschung, die von den Zuckerfabrikanten der Gewichtsvermehrung wegen heraufbeschworen worden ist. In die Rubrik des nutzlosen Scheins fällt auch die erdige Belastung der solideren Papiere, soweit das Gewicht ohne Einfluß auf den Preis bleibt, und absolut ehrlich ist nur die Beimengung, die den dünneren Papiersorten die Durchsichtigkeit benehmen soll. Wenn wir nur die Frachtsätze dieser vielen Hunderttausende von Centnern der puren Ballaststoffe in Rechnung setzen, so kommen schon Millionen heraus, die das Volk bewußt und unbewußt dem Schein in den Rachen wirft.

In der Verpackung Hunderter von Artikeln giebt er sich in der aufdringlichsten Weise; in manchen Branchen namentlich der Kleinindustrie ist er so traditionell geworden, daß man gar nicht mehr weiß, wann man ihm im Schweiße seines Angesichts opfert und Kraft und Stoff an ihn vergeudet. Hierher gehört die lockere, schwammige Packung verschiedener Garn- und Zwirnsorten die oft mit vieler Kunst geübt wird, um den Schein einer größeren Waarenmenge zu veranlassen; auch wickelt man wohl einige Dutzend Yards auf ein unverhältnißmäßig großes Holzröllchen, sodaß der Werth der Emballage in gar keinem Verhältniß mehr zum Werth der Waare steht.

Der Tintenmacher gießt für einen Pfennig „Salontinte“ in ein Krystallfläschchen für zehn Pfennig, und der Verschleißer bietet sie für fünfundzwanzig Pfennig dem Publicum feil; der Seiler wickelt mit einer wahren Virtuosität seine Schnürfadenpakete auf einen möglichst luftigen Knäul, und er hat sich selbst dazu sinnreiche Maschinen construiren lassen. Die Folge davon ist, daß die Pakete bald nach dem Anbruch in ihr Nichts zusammenfallen und nun einen ärgerlichem Fitz bilden – sonst hat Niemand etwas davon, auch der Seiler nicht; denn er verkauft ja die luftigen Gebilde nach dem Gewicht.

In den Spielwaarenschachteln findet man häufig zwei Drittel des Raumes mit eingeknittertem Papier angefüllt, nur um den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_364.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)