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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


kerniger und behaglicher sieht eine Zimmerausstattung von gutgewachsenem Tannenholz oder Kiefernholz aus, dessen prächtige Maser durch eine einfache Abreibung mit ein wenig Firniß und Farbenerde hervorgehoben worden ist!

Ich könnte noch eine ganze Reihe von Beispielen aus dem weiten Gebiete anführen, das der Moloch Schein beherrscht. Das Oelen des Weizens, das Hopfenschwefeln, eine ganze Menge von Manipulationen, die man mit dem Wein vornimmt, selbst das gewaltsame Auftreiben von Zierpflanzen durch scharfe momentan wirkende Düngmittel in den Gärtnereien – das Alles dient mehr oder weniger nur der Marktfähigkeit, dem Moloch Schein, dem viele Tausende von Händen tributpflichtig sind, die Nützlicheres thun könnten.

Das Heilmittel für diese wirthschaftliche Krankheit ist sehr leicht gefunden; es heißt „Verbreitung von Waarenkenntniß“. In fünfundneunzig unter hundert Fällen würde man sich dadurch schützen können, aber die Menge giebt sich einer oft rührenden Sorglosigkeit hin; sie kümmert sich um „allen Quark“, nur um das Nächstliegende nicht, das so bedeutungsvoll für den Wohlstand ist. Ein Sprüchwort sagt zwar „durch Schaden wird man klug“, aber darauf läßt sich nicht bauen; denn dem Schaden nach müßte die Menge eminent klug und Moloch Schein sehr kleinlaut geworden sein. Wir sehen, es ist nicht so. Das Sprüchwort lügt zu Dreiviertel; eine Selbstlösung der Frage ist ausgeschlossen.

Die moderne Volksschule, die alles Mögliche in ihr Programm aufgenommen, könnte mindestens den alltäglichen Bedürfnißwaaren eine gleiche Aufmerksamkeit angedeihen lassen, wie sie dieselbe der Zoologie und der Botanik zuwendet. Es ist in der That wichtiger für das Leben, einen Baumwollenfaden von einem Flachsfaden unterscheiden zu können, als die Staubfäden zweier obscurer Pflanzen; auch die Lebensweise des Bibers ist zwar hochinteressant, aber doch nicht so wichtig für uns, wie sein Fell, von dem unsere Kinder in der Regel nicht mehr wissen, als daß es behaart ist. –

So lange wir in kindlicher Weise am Schein hangen und der Production und dem Zwischenhandel die Waarenkunde allein überlassen, wird der Consument absichtlich und unabsichtlich über das Ohr gehauen werden. Darum, ihr Männer, die ihr zu Volkswirthen berufen seid, sorgt, daß Waarenkenntniß unter das Volk komme! Auch ihr, wackere Geschäftsleute, die ihr vom Schein nichts wissen wollt, betheiligt euch nicht nur privatim in der Werkstatt und am Ladentisch, sondern auch öffentlich an dieser Aufklärungsarbeit! Die Lehrmittel hierzu bieten die fragwürdigen Waaren selbst, und diese sind in ungeheueren Mengen vorhanden.

Th. Gampe. 




Vergleichende Culturskizzen.
Von Gustav Diercks.
1. Herr und Diener.

Wollen wir den Werth eines Menschen ermessen, so bietet sich uns als eines der vorzüglichsten Prüfungsmittel sein Verhältniß zu den Mitmenschen, den gesellschaftlich über ihm stehenden, wie den ihm untergebenen.

Wie wir die Menschen in zwei Classen eintheilen können, in natürliche und in verfeinerte – um nicht zu sagen: entartete – so werden wir auch entsprechende Unterschiede in ihrem Benehmen gegen Vorgesetzte und gegen Untergebene wahrnehmen. Die Natürlichkeit ist nun wiederum von zweierlei Art. Sie ist entweder eine ursprüngliche, d. h. noch nicht von der Cultur oder Unnatur berührte, oder sie ist eine erworbene, d. h. sie hat den Zustand der Unnatur glücklich überwunden und sich geläutert und veredelt. Natürliches Benehmen finden wir daher nur bei den Ungebildeten einerseits und bei den Höchstgebildeten andererseits – die dazwischen liegende Classe der Halbgebildeten wird in ihrem Benehmen schwanken; die modernen Gesellschaftsformen werden gerade Leuten dieser Classe als bequemer Deckmantel, als bestechender, das Urtheil Anderer irreleitender, glänzender Schmuck dienen. Hochmüthig gegen die niedriger Stehenden, devot gegen die gesellschaftlich höher Gestellten – das ist das Merkmal der Halbbildung.

Der wahrhaft Hochstehende und Gebildete, der sich seines thatsächlichen Werthes bewußt ist, weiß, daß er sich nichts „vergiebt“, wenn er dem Untergeordneten gegenüber seine Natürlichkeit bewahrt; er verschmäht es nicht, mit seinem Diener gelegentlich zu scherzen, weist aber jede Anmaßung desselben schon durch sein Benehmen so entschieden zurück, daß ein entsprechender Versuch des Dieners im Keime erstickt wird. Ist der Diener klug und gebildet genug, dem Herrn gegenüber in seinen Schranken zu bleiben, so gestaltet sich das Verhältniß zu einer gewissen Vertraulichkeit, die oft auch dem Herrn ein Bedürfniß ist. Ein so durch Bildung und inneren Werth ausgezeichneter „Herr seines Dieners“ wird nun auch seinem Vorgesetzten, seinem Herrn, dem gesellschaftlich scheinbar höher Stehenden, gegenüber in ein ganz entsprechendes Verhältniß treten. Auch da läßt er die Natürlichkeit, zu der er sich nach Ueberwindung des Gesellschaftsformalismus emporgeschwungen hat, zu Tage treten, giebt das Bewußtsein seines menschlichen Werthes, seiner Existenzberechtigung zu erkennen und weist unter Wahrung der Formen mit natürlicher Würde und Sicherheit alle unwürdigen Zumuthungen ebenso gut zurück wie die Anmaßungen seines Dieners.

Der Ungebildete, der vom Gesellschaftsformalismus nicht Berührte, zeigt in seinem Benehmen viel Aehnlichkeit mit dem wahrhaft Gebildeten. Der echte Bauer ist gegen seinen Knecht streng, aber gerecht, gegen seinen Gutsherrn gehorsam, aber selbstbewußt.

Schlimm steht es dagegen in dieser Beziehung mit dem Halbgebildeten: er ist ein schlechter Herr und ein schlechter Diener. Als „Herr“ pocht er auf eine Bildung, die er nicht hat; als „Diener“ erhebt er Ansprüche, die ihm nicht zukommen.

Diese allgemeine Dreitheilung – ursprüngliche Natürlichkeit, erworbene Natürlichkeit, Halbbildung – findet sich in Bezug auf unser Thema bei allen Völkern bewahrheitet; in ihrer Gesammtheit mit einander verglichen, zeigen diese aber auch wieder ganz wesentliche Unterschiede bezüglich der Verhältnisse zwischen Herr und Diener, Hoch- und Niedrigstehenden, und es ist interessant, nach dieser Seite hin Beobachtungen anzustellen, wobei wir in dieser kurzen Skizze freilich der Versuchung widerstehen müssen, das Thema vom literarischen Gesichtspunkte aus zu behandeln. Die Molière’schen, die Shakespeare’schen Domestiken, die Diener in den Dichtungen der griechischen Tragiker, der italienischen Novellisten, der spanischen Romanciers bieten ein reiches Material für völkerpsychologische Studien – bleiben wir aber bei den Reise-Eindrücken!

Wir begeben uns zuerst nach Spanien. Jeder Deutsche wird überrascht sein, den spanischen Granden im Verkehr mit seinen Untergebenen zu beobachten; denn alle Voraussetzungen des deutschen Ständegesetzes werden dort vernichtet. Trotz seiner sprüchwörtlichen Grandezza hält es der spanische Grande doch nicht für unter seiner Würde, mit dem Volke direct zu verkehren, die Hand zu drücken, die der niedere Mann ihm reicht. Sein Stolz verbietet ihm nicht, sich im Café an einen Tisch zu setzen, an dem ein Bauer sitzt, oder diesen an seinem Tische Platz nehmen zu lassen. Sein aristokratisches Standesgefühl wird nicht dadurch verletzt, daß sein Mitreisender, ein armseliger Landmann, ihm eine Cigarrette, ein Stückchen Apfelsine oder Brod anbietet, und eben so wenig wird er versäumen, das Gleiche dem ärmsten Mitreisenden gegenüber zu thun, sofern er noch ein echter Spanier ist und nicht die liebenswürdigen nationalen Gewohnheiten in der Culturschule von Paris eingebüßt hat. Der Volksgeist und die Volkssitte waren in Spanien noch bis vor Kurzem unantastbar und heilig, selbst in Berührung mit den Privilegien des Adels unverletzlich – jetzt freilich schwinden sie so rapid wie die Nationaltracht, um der Pariser Culturschablone Platz zu machen. Die Leutseligkeit des Granden setzt ihn in der Achtung seiner Untergebenen und des Volkes nicht nur nicht herab, sondern erhöht sie eher noch. Seinen ganzen Stolz giebt er nur dem Vorgesetzten, dem Minister, dem König zu erkennen, wenn Einer von ihnen seine althergebrachten Privilegien anzutasten wagt oder die Rücksichten und Formen, die man ihm schuldig ist, außer Augen läßt.

Den Luxus großer Dienerschaft kann sich der Spanier heute nicht mehr erlauben, es berührt aber außerordentlich wohlthuend, wenn man ihn im Verkehr mit den Dienstboten beobachtet. Das

Verhältniß, das zwischen ihnen besteht, ist meist ein mustergültiges,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_366.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)