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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Die südlichsten Volkstheile Oesterreichs sind die Italiener Tirols, die Slovenen in Untersteiermark und Krain, und mit diesen hängen, die Magyaren von dem jetzt selbstständigen serbischen Füstenthum trennend, die südslavischen Völker der Slavonier und der Serbo-Kroaten zusammen, ferner die diesen stammverwandten Morlakken Dalmatiens, die nun mit Bosnien und der Herzegowina ein slavisches Gebiet beherrschen, das weit in den Süden reicht, wo Oesterreich die Faust von Novibazar zwischen Serbien und Montenegro hineingeschoben, und das an Ausdehnung dem der Nordslaven gleich kommt.

Ist dieses Völkerbild an sich schon farbenreich genug, so gewinnt es doch noch einen besondern bunten Schmuck durch die vielen Sprachinseln, durch welche von den Grenzen des Deutschthums an der Gang des deutschen Culturfortschritts durch alle drei eben genannten Abtheilungen bis zum äußersten Osten wie durch ehrende Marksteine bezeichnet wird. – Diese deutschen Sprachinseln beginnen in unserer nördlichen Abtheilung schon in Böhmen, wo Prag selbst als eine Hochburg deutscher Wissenschaft mitten im Czechenlande prangt. Die Sprachinsel Iglau steht wie ein mächtiger Brückenpfeiler zwischen dem deutsch-böhmischen Vorgebirge Neuhaus im Süden und der Südspitze des deutschen Schlesierlandes, das den Deutsch-Böhmen der Nordgrenze die Hand reicht. In Mähren und der Slovakei, sowie im Polen- und Ruthenengebiete finden wir bald größere Niederlassungen, bald einzelne Gemeinden Deutscher, hauptsächlich behaupten sie sich aber in den Hauptsitzen der Industrie, der Regierung und der Wissenschaft. Im Ganzen zählen wir in dem bezeichneten Gebiete vierundfünfzig größere und Keine Sprachinseln, darunter: Olmütz, Brünn und Austerlitz, Krakau und Wieliczka, Lemberg, Brody und Czernowitz.

Noch bedeutender tritt diese Erscheinung in Ungarn und Siebenbürgen auf. Die vielgestaltigen, volkreichen deutschen Sprachinseln folgen hauptsächlich dem Donaustrom, aber auch abseits davon, doch einzelner, schwimmen sie im Magyarengebiete, in welchem allein man deren etwa fünfundvierzig zählt. Eine starke Gruppe, welche von Arad über Temesvar bis Werschetz hinabreicht, bildet die Grenze zwischen dem magyarischen und dem rumänischen Sprachgebiet, welch letzteres etwa zwanzig deutsche Sprachinseln umfaßt, darunter als die größten die Lande der Sachsen, aber auch viele (wohl nahe an dreißig) kleine magyarische Sprachinseln, hauptsächlich in der Richtung nach dem Szeklerlande, welches die Hauptmasse des Landes der Sachsen vom Königreich Rumänien trennt. Die deutschen Sprachinseln in Ungarn sind für den uns vorliegenden Fall vom schwersten Gewicht, doch verdienen auch die der südlichen Abtheilung Beachtung, indem auch sie vorzüglich die Haupt-, Industrie- und Verkehrsorte andeuten, wie im Gebiete der Slovenen: Marburg, Pettau, Cilli, Laibach, Görz und Triest. In Gottschee haben etwa 28,000 fränkisch-thüringische Einwanderer seit Jahrhunderten heimathliche Sprache und Sitte bewahrt. Dünner gesäet (etwa fünfzehn) sind diese Sprachinseln in dem weiten Landstriche zwischen der Drau und der Sau in Slavonien und Syrmien, bis sie, bei Semlin die Donau überspringend, in Weißkirchen enden.

Ueber den innigen Zusammenhang dieser deutschen Sprachinseln mit dem gesammten Culturleben namentlich in Ungarn hat unser Artikel „Die Deutschen in Ungarn“ (1880, Nr. 25) eine ausführliche Darlegung gegeben. Wir können Diesem aus eigener Erinnerung noch Folgendes beifügen. In der Mitte der dreißiger Jahre muß eine Zeit des friedlichsten Verhältnisses zwischen Deutschen und Magyaren gewesen sein: davon war sogar im Herzen Deutschlands eine Spur zu erkennen, nämlich in den vielen Ungarn, welche damals auf deutschen und namentlich auf den sächsischen Hochschulen von Halle, Leipzig und Jena studirten. In Jena hatten sich ein Paar Dutzend dieser Ungarn mit Siebenbürger Sachsen der Burschenschaft angeschlossen. Wir lebten im innigsten Verkehr mit ihnen, und sie belehrten uns über manche Eigenthümlichkeit ihrer heimischen Zustände. Alle aber versicherten, daß das Wagniß, das sie trotz des strengen österreichischen Verbots mit dem Besuch unserer Universitäten unternommen, ihnen daheim reichlich gelohnt werde; denn es gehöre zum Stolz vieler ihrer Magnaten, zu Hauslehrern und Geistlichen solche zu wählen, welche in Sachsen studirt hätten. Daß bei solcher Achtung vor deutscher Wissenschaft auch die deutsche Sprache nicht verachtet wurde, ist selbstverständlich; sie war die Sprache der Gebildeten im ganzen Lande, und selbst in den slavischen Reichstheilen das allgemeine Verständigungsmittel.[1] Nicht übersehen dürfen wir allerdings, daß Deutsche und Ungarn damals unter einem gemeinsamen Drucke litten und einen gemeinsamen Feind hatten: das Metternich’sche System.

Dieses freundliche Verhältniß war allerdings nur in den Kreisen der Höchstgebildeten möglich. In den Massen saß, wie bei allen nichtdeutschen Völkern des Reiches, der Ingrimm gegen die fremde Sprache der Herrschenden, der Beamten, der Militärfuchtelei und aufgezwungenen Schulmeisterei fest. Dazu gesellte sich frühzeitig das Mißgefühl über das Emporkommen der Deutschen, ob sie als Landbauer, Handwerker oder Handelsleute, ob als Künstler oder Gelehrte irgendwo festen Boden gewonnen. Wenn der ärmere Theil des ungarischen Adels solches betriebsame Bürgerpack mit der Verachtung strafte, wie ungefähr der leichtfertige Student den „Philister“, so fraß in anderen Volksschichten, und namentlich bei Slaven und Walachen, der Neid tiefer und streute überall mit dem Samen der Cultur auch gleich den jener Feindschaft aus, die seit Belcredi’s verhängnißvollem Worte in so üppige Blüthe geschossen ist. Es war ein Unglück für den deutschen Culturgang zwischen Alpen und Karpathen nach dem Orient, daß seine Führung in die Hand der Regierung Oesterreichs fallen mußte, das bei seiner politischen und kirchlichen Starrheit sich nirgends Freunde zu erwerben verstand. Während die deutschen Künstler die Lieblinge der römischen Bevölkerung waren, konnte man im österreichischen Oberitalien an jeder Straßenecke das „Morte ai Tedeschi!“ lesen, und während auf dem Burgkeller in Jena deutsche und ungarische Jugend innige Freundschaft schloß und sich schwärmerisch am Herzen lag, kochte jenseits der hohen Tatra das Gift der alten Zwietracht in den Massen fort.

Wie aber war es möglich, in wenigen Jahrzehnten Zustände zu schaffen, wie sie in diesem Augenblicke herrschen, Zustände, durch welche Deutsche und Magyaren der „österreichisch-ungarischen Monarchie“ durch alle Stände auf das Feindseligste aus einander gerissen worden? Auch diese Frage müssen wir noch erledigen, ehe wir zu unserm Gegenstände kommen können.

Die krankhafte Hast, mit welcher die Magyaren alle Völler in den weiten Ländern der Stephanskrone, die ihnen der „Beust’sche Ausgleich“ überantwortet, zu magyarisiren streben, diese immer fanatischer treibende Hast entspringt einem politischen Traumbilde, das nicht in Erfüllung gehen kann. Ich erinnere die Leser an unser Völkerbild. Noch mit weit mehr Recht, als wir im deutschen Reiche, können jetzt die Magyaren singen: „Feinde ringsum!“ Im Norden droht ihnen der panslavistische Geist, hinter welchem Rußland steht, Ungarns allerschlimmster Feind. Im Osten ist das Königreich Rumänien erstanden, ein selbstständiger Staat von der Macht Baierns, dem der Anfall einiger Millionen, ungarischer Rumänen nicht unwillkommen sein kann. Der Zusammenhang zwischen beiden besteht; schon jetzt finden massenhafte Auswanderungen aus dem ungarischen nach dem Königreiche Rumänien statt, um dem Drucke der Magyarisirung zu entgehen.

Wie im Norden, ist im Süden ein trotziges Slaventhum zur energischen Abwehr der nationalen Unterdrückung bereit; die Kroaten stehen bereits im Kampf, und nach Serbien ist eine so massenhafte Auswanderung aus Südungarn eröffnet, daß die eifrigen Herren in Budapest sofort auf den Verdacht verfallen sind, es könnten dies nur die Folgen von Umtrieben feindseliger Agenten sein; denn daß Jemand von selbst auf den Wunsch gerathen könnte, der Herrlichkeit der magyarischen Wirthschaft, dem Steuer- und Entnationalisirungsdruck sich zu entziehen, ist magyarisch nicht denkbar. Und im Westen des Magyarenlandes? Im Westen wohnen die Deutsch-Oesterreicher, und hinter ihnen steht das Deutsche Reich, das mit der „österreichisch-ungarischen Monarchie“ einen Bund geschlossen hat.

Ein Politiker, in welchem die blinde Leidenschaft nicht mit dem klaren Verstand in Kampf gerathen und in welchem der Gedanke der Völkerbeglückung höher als die nationale Eitelkeit gestanden, würde für die Sicherheit und edelste Machtentfaltung des Gebiets der Stephanskrone nichts Gedeihlicheres gefunden haben,

  1. Das unwiderleglichste Zeugniß dafür stellte bekanntlich der panslavistische Congreß im Mai 1867 in Moskau aus, dessen Zornesblitze in erster Linie gegen das Deutschthum gerichtet waren, und wo die Volksboten aller Slavenstämme an babylonischer Sprachverwirrung litten, bis sie das verhaßte Deutsch, weil es allein Allen verständlich war, als panslavistische Congreßsprache benutzten.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_376.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)