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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

als den ehrlichen Anschluß der Magyaren an die Deutschen und das Deutsche Reich, als die ohne Zweifel jetzt zuverlässigste Macht Europas. Nicht blos das Bündniß, sondern auch das eigene Industrie- und Handelsinteresse gebietet dem Reich, sich den Weg in’s Morgenland weder durch Rußland noch durch einen andern deutschfeindlichen Staat versperren zu lassen. Eben deshalb ist es, im Verein mit jenen Interessen, Deutschlands ernste Sorge, den Bestand Oesterreich-Ungarns gegen jeden Angriff aufrecht zu erhalten. Mit diesem Gefühl, der Sicherheit nach außen mußten die magyarischen Staatsmänner, nachdem sie vollkommen „freie Hand“ gewonnen, nicht die Unterdrücker, sondern die Befreier aller nichtmagyarischen Völker der Stephanskrone werden. Was Oesterreich ihnen so lange versagt – sie mußten es mit offenen Händen bieten, und sie konnten es; denn sie hatten die Macht dazu. Alle Slaven, Rumänen und Deutsche Ungarns an sich ketten durch die Segnungen der Freiheit, der Bildung und des geschützten Wohlstandes – das wäre eine Washington-That gewesen, und wie es keinem französischen, keinem italienischen, keinem deutschen Schweizer, trotz aller Verlockung, die in der Zugehörigkeit zu einem großen Reiche liegt, jemals eingefallen, dem gemeinsamen schweizerischen Vaterlande untreu zu werden, mit derselben Treue würden die genannten ungarischen Nationen sich unter dem Schutze der Magyarenkrone frei und glücklich gefühlt haben.

Leider waren für eine so hohe und edle Idee die Köpfe und Herzen der ungarischen Staatslenker zu klein; sie griffen, sobald sie die Macht fühlten, zum schroffsten Gegensatz jener Idee: zur rücksichtslosesten Ausnutzung ihrer Uebermacht, zur vollsten Sättigung der Selbst- und Herrschsucht und zur Befriedigung lange gehegter Rache. Und all das Unglück, das für Millionen daraus erwächst, ist das Erzeugniß jenes politischen Wahns, der sich des gesammten Magyarenvolks bemächtigt hat.[1] Ein Drittel aller Völker der Länder der Stephanskrone bildend, faßten die Magyaren, den Entschluß, die zwei anderen Drittel Nicht-Magyaren ihrer nationalen Rechte und ihrer Nationalitäten vollständig zu berauben, sie mit Leib und Seele sich einzuverleiben und so ein Fünfzehnmillionen-Reich herzustellen, das als rein-magyarische Großmacht seine Selbstständigkeit sich selbst zu wahren im Stande sei.

Die Geschichte kennt kaum ein kühneres Unternehmen, aber auch kein verhängnißvolleres für den Unternehmer selbst. Die Vernichtung fremder Nationalitäten ist ein schweres Werk, an welchem schon die Mächtigsten gescheitert sind. Der Vernichtungskampf gegen das Deutschthum schleuderte einen Napoleon den Ersten nach St. Helena. Hier vollbringt’s nicht die Gewalt allein; hier ist die Zeit der zerstörendste Mithelfer, aber nicht die von Jahrzehnten; oft trotzt das, was wir mit der schönsten Bezeichnung schmücken: die „Muttersprache“, im Heiligthum des Hauses Jahrhunderte lang der offenen Tyrannei und hebt im Stillen den Samen des Hasses und der Vergeltung auf für die rechte Zeit. Gewaltsam unterdrückte Völker sind nie eine Stärkung, sondern stets eine Schwächung, der unterdrückten Macht gewesen.

Trotzalledem fahren die Magyaren in der begonnenen Weise, namentlich in der “Unterdrückung alles Deutschen fort, wie unser bereits angeführter Artikel in Nr. 25 von 1880 dargethan hat. Wenn nun, wie dort (S. 406) gesagt ist, die Deutsch-Ungarn des Magyarengebiets, welche mit der neuen magyarischen Bewegung gegen Oesterreich, 1861, sympathisirten, weil eben damals „Oesterreicherthum leider Ultramontanismus, Absolutismus und Reaction, der Magyarismus dagegen politische und religiöse Freiheit bedeutete“, ungeachtet dieser Magyarenfreundlichkeit bald genug die Angriffe auf ihre Nationalität spüren mußten, so konnte man an der Wucht, mit welcher die Faust der Gewalt auf die Sachsen Siebenbürgens niedetfiel, sofort erkennen, daß es hier einen verhaßten Feind nicht nur niederzudrücken, sondern zu erdrücken galt.

Die Sachsen Siebenbürgens gehören bekanntlich zu den deutschen Einwanderern, welche der Einladung ungarischer Könige gefolgt sind, die in einsichtsvoller Sorge für ihr Land erkannt hatten, daß die eigene Bevölkerung zu schwach sei, um dasselbe im Innern zu cultiviren und nach außen zu schützen. Der Wandertrieb der Deutschen, durch die Kreuzzüge neugeweckt und nach Osten hingeleitet, war leicht zu solcher Auswanderung in geschlossener und geordneter Masse zu bewegen, und haben die deutschen Einwanderungen, unter König Geisa im zwölften Jahrhundert beginnend, nach und nach in Siebenbürgen eine Colonie von mehr als 200,000 Seelen gegründet. Die ersten Schaaren scheinen aus Flandern, sowie von Rhein und Mosel hergekommen zu sein, spätere Zuzüge aber auch aus Friesland zu stammen; wie, nach J. Grimm’s Annahme die Seeblätter im Wappen von Hermannstadt andeuten; da aber seit dem dreizehnten Jahrhundert der Name „Sachsen“ für alle Deutschen Siebenbürgens Geltung gewinnt, so mögen aus dem weiten Gebiete von Niedersachsen ebenfalls noch bedeutende Ansiedlermassen dazu gekommen. sein. Erinnern müssen wir hier an die kecke Sage vom unterirdischen Zuge der Hamelner Kinder nach Siebenbürgen, welche Seite 374 dieser Nummer erwähnt ist.

Die großartige Schicksalstragödie, welche die Geschichte dieses Sachsenvolks vor uns aufrollt, wird später hier Raum finden. Jetzt müssen wir vor Allem wissen, was die Sachsen dem Ungarlande waren und was sie zu Recht besaßen, um ermessen zu können, wie sie von magyarischen Parlamenten und Ministern beraubt worden sind.

Welche Achtung die Sachsen in ihrer neuen Heimath sich zu erwerben vermocht, das bezeugt der Freibrief, welchen König Andreas der Zweite von Ungarn ihnen 1224 ausstellte. Zugesichert waren ihnen vor Allem Schutz ihrer Nationalität Und Selbstverwaltung. Die Könige wußten, was sie an ihnen hatten, namentlich auch ihrem unzuverlässigen und habgierigen Adel gegenüber; nicht vergeblich ertheilten sie ihnen ein gemeinsames Siegel, das die Inschrift trug: „Ad retinendam Coronam“ (Zum Schutz der Krone). Die Entwickelung ihres freien deutschen Gemeindewesens hatte mit dem Jahre 1464 ihre Vollendung erreicht. Jede Gemeinde wählte alljährlich ihren „Richter“, sowie die „Geschworenen“ oder „Aeltesten“. Viermal im Jahre trat die Gemeindeversammlung als höherer Gerichtshof („Stuhl“) und einmal im Jahre die Gauversammlung als Landtag zusammen. Das Hermannstädter Gericht war der „Oberhof“ für alle Stühle und Bezirke. Die Regierung und Verwaltung des gesammten Sachsenlandes, das wegen seiner königlichen Freiheiten der „Königsboden“ genannt wurde, leitete die „Sächsische Nationaluniversität“, an deren Spitze der früher vom König, später von der Nation gewählte Nationsgraf (Comes) stand. Er war zugleich Führer der bewaffneten Macht, die immer wohlgerüstet sein mußte; denn der von den Sachsen urbar gemachte Boden ist nur zu oft mit ihrem und ihrer Feinde Blut gedüngt worden. Einen Adel ließen die Sachsen nicht in ihrer freien Gemeinschaft aufkommen; keine Ritterburg liegt als Ruine im Lande, aber die Befestigungen ihrer Berge und Kirchen, die sächsischen „Bauernburgen“ zeugen noch heute davon, wie tapfer dieses Volk seine Heimath gegen Feinde, gegen Walachen und Türken, oft selbst gegen die Ungarn vertheidigen mußte (vergl. „Gartenlaube“ 1869, Nr. 30).

Der Reformation schloß sich sofort das ganze Volk an, und von da an beginnt der innige, geistige Zusammenhang dieser Sachsen mit Deutschland. Von da ward es feste Bestimmung, daß die Candidaten des Pfarramtes gelehrte Studien in Deutschland gemacht haben mußten. Natürlich holten auch die Genossen anderer Facultäten sich dort ihre geistige Erfrischung. Selbst in Deutschland würde das kleine Sachsenland eine hohe Stufe der Volksbildung eingenommen haben; es besaß nicht weniger als fünf Gymnasien, ein Progymnasium, dazu Seminarien, Real-, Ackerbau- und Gewerbeschulen und Elementarschulen in jedem Dorfe und dazu eine ausgezeichnete Rechtsakademie in Hermannstadt. Das gesammte Vermögen der Nationaluniversität (der corporativen Vertretung der Sachsen), das auf zwei Millionen Gulden angegeben wird, war ausschließlich den Zwecken deutscher Bildung gewidmet, die ihre Nationalität allein bisher aufrecht erhielt.

Die königlichen Rechte der Sachsen sind zwar oft verletzt, ja

  1. Einer der ehrlichsten alten Ungarn, der für seines Volkes Wohl gewiß warm fühlte, Graf Stephan Szechenyi, giebt uns folgende Aufklärung, über diese sonst kaum erklärbare Erscheinung: „Mir ist kaum ein wirklicher Magyar bekannt, der, wie sehr auch sein Haar gebleicht sei, wie tief ihm auch Erfahrung und Lebensweisheit die Stirn gefurcht, nicht gleich einem Verrückten, dessen fixe Idee berührt wird, sich den Regeln der Billigkeit, ja sogar jenen der Gerechtigkeit mehr oder weniger entzöge, wenn die Angelegenheit unserer Sprache und Nationalität auf’s Tapet kommt. Bei solchen Gelegenheiten wird der Kaltblütigste hingerissen; der Scharfsichtigste ist mit Blindheit geschlagen, und der Billigste, Gerechteste ist bereit, die erste unabänderliche Regel der ewigen Wahrheit, die man bei keiner Gelegenheit aus den Augen verlieren sollte: ,Thue dem Andern nie, was du auch von ihm nicht gern aufnähmest’ zu vergessen, oder er vergißt sie auch wirklich.“ – Lebenswahrer kann der dermalige Zustand des national bis aufs Aeußerste aufgewühlten Magyarenvolks nicht gezeichnet werden!
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_377.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)