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verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Ruhiger, als an den früheren Tagen, kam er des nächsten Morgens in die Amtsstube; die düstern Gespenster schienen hinter ihm versunken; eine stille Freude war in ihm aufgegangen. Es kam ihm vor, als hätte er eigentlich mehr Beruf zum Lehrfache, als zu diesem trockenen Schreiberamt, in dem er es doch nie mehr weiter bringen konnte. Er brauchte dann nicht in die spitzfindige Stadt hinein zu kommen und in der dumpfen Stube zu sitzen. Draußen auf seinem Dorfe, bei weit offenen Fenstern, durch die der Wohlgeruch der Felder hereinzog, da würde das Gebiet seiner Thätigkeit sein und das, was seinem strebsamen Charakter am nächsten lag, auf Andere fördernd und rathend einzuwirken, das wäre dann seine Arbeit geworden. Leider mußte er sich sagen: es war zu spät; sein Loos war entschieden, und so wurde selbst das, was ihn hob, eine Quelle neuer Leiden für ihn; die frohe Stimmung, mit der er gekommen war, hielt denn auch nicht lange nach, und bald versank er wieder in seinen Trübsinn. Ein einziges Wort, eine Miene, die ihm eine Andeutung schien, gab ihn wieder dem alten Wahne preis. Die Woche verging, und der nächste Sonntag goß wieder Zufriedenheit in seine Seele. Alle anderen Tage schienen nur noch für den Sonntag da zu sein. Bald war er nur noch in der Nähe des Kindes wie unter einem höheren Schutze und frei von den quälenden Gedanken, die sein Inneres zerrütteten.

So verfloß ein Monat; der Sommer neigte sich dem Herbste zu. Seine Schülerin brachte ihm ein Körbchen mit Erdbeeren aus dem Walde, die letzten, sagte sie.

An diesen Nachmittage wurde der Unterricht auf eine wenig angenehme Weise unterbrochen. Veronika kam ängstlich die Treppe herauf und sagte zu Sebald, es warte ein Mann vor der Thür, der ihn zu sprechen wünsche. Es war Hösch. Unaufgefordert, aber unter vielen Bücklingen trat er ein und brachte sein Anliegen vor, eine verführte Streitigkeit mit einem Nachbarn wegen des Fahrrechts über eine Wiese, die ihm zugehörte. Augenscheinlich war die ganze Sache nur ein Vorwand; Hösch wollte sich eindrängen und auskundschaften. Zu welchem Zwecke, war freilich nicht abzusehen. Sein lauernder Blick nach dem Mädchen, das sich übrigens nicht weiter um ihn bekümmerte, sondern ruhig an ihren Aufgaben fortschrieb, bestätigte die geheime Absicht seines Besuches. Sebald beschied ihn kurz, und jener entfernte sich unter allerlei Verzögerungen und mit einem höhnischen Lächeln auf der Lippe. Kaum war er fort, so wich die Gleichgültigkeit, welche Veronika während seiner Anwesenheit beobachtet hatte, sie eilte an’s Fenster und kam mit den Worten zurück:

„Es ist noch Einer unten.“

Sebald sah nach und bemerkte den Montafuner, der, wie es schien, seinen Cameraden erwartet hatte. Beide sprachen nun heimlich und eifrig mit einander, wobei sie mehrmals nach dem Haus emporblickten. Die Verstimmung, die der widrige Besuch erregt hatte, klang in dem Schreiber nach, war aber nur eine Vorbedeutung von einer herberen Schickung, die den armen Mann treffen sollte; denn nach der Lehrstunde, als Veronika fortgegangen war, kam die Schwester und eröffnete ihm, daß dem Kinde eine unerwartet günstige Aussicht für seine Zukunft sich biete; sie werde es nach der Hauptstadt zu weiterer Ausbildung bringen. Es sei eine Herrschaft in das Dorf gekommen auf der Durchreise, die zufällig das Mädchen gesehen und gesprochen habe. Voll Theilnahme für das liebe Geschöpf, habe sie gebeten, für dessen Zukunft sorgen zu dürfen. Das ganze Benehmen der Herrschaft habe für deren Aufrichtigkeit gezeugt, und so habe sie sich entschlossen, dem Wunsche nachzukommen.

Sebald fühlte sich bei den Worten seiner Schwester wie an einem Abgrund stehen: er starrte sie an und fragte nur:

„Und soll das schon bald geschehen? Hast Du Alles reiflich erwogen?“

„Ja,“ antwortete sie fest, „und ich glaube eine heilige Pflicht zu erfüllen.“

„Es ist wahr,“ antwortete er, innerlich überzeugt, daß sie Recht habe, aber eine Ahnung sagte ihm, nun sei für ihn das schönste Glück verloren und vielleicht mehr.

Noch an demselben Abend nahm er Abschied; er wunderte sich selbst über die guten Lehren und vernünftigen Grundsätze, die er dem Mädchen auf den Weg mitgab, die er mit so viel Ruhe und Salbung vorbrachte, während ihm das Herz von Zweifel und Qual zerrissen war, und er wunderte sich, daß er sich noch darüber verwundern konnte – es war ja Alles, was geschah, so natürlich, so nothwendig, so ganz in der Ordnung, und doch sprach’s in ihm: dein gutes Werk, dein Engel geht mit ihr dahin.

Wie waren ihm stets seine eigenen Gedanken, seine nüchternen Sonntagsbetrachtungen und Sentenzen ans ihrem Munde so tiefsinnig, so wirklich erhebend vorgekommen, und wie flach und inhaltslos erschienen sie ihm jetzt! Wie sollte seine Standhaftigkeit auf die Probe gestellt werden! Veronika weinte, als er ihr die Hand zum Abschiede bot; er sprach ihr Trost zu, aber sie schluchzte:

„Ach, ich habe ja keinen Vater mehr Sie sind mir Alles gewesen – Ihnen dank’ ich Alles.“

Und mit einmal hielt sie ihn umfaßt; er fühlte auf seiner von ihren Thränen benetzten Hand ihre heiße Stirn; er glaubte das Pochen ihres Herzens zu fühlen ihm war wie einem Armen, der plötzlich Geld gefunden hat und weiß, daß es nicht ihm gehört; es blendet seine Augen, aber er muß, er will es zurückgeben. Er schob sie leise von sich.

„Geh’,“ sagte er, „bleib’ brav! wir sehen uns wieder.“ – –

In der Stadt erwartete ihn eine Neuigkeit: Wiederholt hatten sich Verdachtsgründe gegen Hösch ergeben; man hatte, als er gerade ausgegangen war, Haussuchung bei ihm gehalten, aber nichts Gravirendes gefunden. Das erfuhr nun Sebald über Hösch, und er fühlte sich dadurch nicht wenig aufgeregt.

Als der schlaue Hösch dann nach Hause kam und bemerkte, was vorgegangen, gedachte er sich baldmöglichst aus dem Staube zu machen; zuvor jedoch wollte er noch von dem Schreiber erfahren, was gegen ihn vorliege und was ihm etwa bevorstehe.

Er lauerte ihm daher auf und trat ihm, wie jenes erste Mal, in den Weg. Daß Sebald ihm noch einen Gulden schulde, war ihm ein erwünschter Vorwand.

„Nehmt mir’s nicht übel, daß ich mahne!“ redete er ihn an. „Du lieber Himmel, was ist Euch ein Guldenstück; das konntet Ihr leicht vergessen. Aber Unsereiner, arm und gehetzt wie ein Thier, Herr, Unsereiner rechnet.“

„Ist mir leid, wirklich leid,“ versetzte Sebald, „aber im Tumult der letzten Zeit hab’ ich’s rein vergessen. Hier, hier!“

„Danke Euch,“ versetzte Hösch; „ich werde das Geld brauchen. Unter uns gesagt: man wird mich wohl des Landes verweisen, oder will man mich abermals einsperren?“

„Ihr seid ein angesessener Mann – wer kann Euch ausweisen? Wer überhaupt kann Euch etwas anhaben, wenn Ihr ein gutes Gewissen habt?“

„O, der Verdacht ruht einmal auf mir; alles muß ich verschuldet haben; hält man mich nicht sogar für den Mörder des Wildberger und Ihr selbst auch, Schreiber, he?“

Damit faßte er den neben ihm ruhig Hergehenden heftig am Arm und schüttelte ihn. Dieser sah ihn von der Seite an und warf hin:

„Ich bin’s nicht schuldig, Euch zu beichten.“

Hösch blieb stehen und hielt seinen Nebenmann fest; er schien heftig mit sich zu kämpfen und seufzte tief auf. Endlich schien er einen Entschluß zu fassen.

„Herr Sebald,“ flüsterte er ihm zu, „hol’ der Teufel die schlechte Meinung, die Ihr von mir Habt! – Hört, ich weiß, wer den Händler erschlug, und ich will ihn Euch angeben, wenn Ihr mir versprecht, acht Tage lang zu warten, bis Ihr die Anzeige macht.“

„Damit der Verbrecher Zeit habe, sich der Justiz zu entziehen? Das wäre mir ein sauberer Pact.“

„Nein, sag’ ich Euch, er soll nicht entkommen: ich werde ihn nicht warnen. Wollt Ihr? Wollt Ihr den Schwur leisten? Wir sind allein auf diesem Fußsteig im Wald; es ist Nacht und weit und breit ist Niemand um die Wege. Wollt Ihr schwören, Herr Schreiber?“

Es lag in diesen Worten etwas so finster Drohendes und sogar Wahrhaftiges, daß Sebald auf den Gedanken kam, gerade die verlangte Frist beweise, daß es Hösch mit dem Geständnisse Ernst sei.

„Was Ihr da sagt,“ rief er und trat einen Schritt zurück, „ist der vollste Beweis gegen Euch: Ihr selbst seid der Thäter.“

„Nein,“ schnaubte Hösch, „nein, bei Gott – ich werde Euch die Wahrheit sagen – ein Anderer ist’s, wollt Ihr schwören?“

„Ja, ich will, ich will Euer Geständniß bei mir acht Tage behalten – das schwör’ ich Euch – so wahr –

„Es gilt,“ rief Hösch aus – „habt Ihr neulich den Vagabunden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1881, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_390.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)