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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

des Eisenbahn-Transports dieses der Montan-Industrie längst unentbehrlich gewordenen Materials dagegen, wie solches von mehreren Regierungen beliebt worden ist, sollte aufhören, da sich die Sendung unter falscher Declaration kaum verhüten läßt, wie frevelhaft auch ein ähnliches Verfahren erscheinen muß. In Rußland, wo für jede entdeckte Verletzung des Pulvermonopols die Transportation der Schuldigen nach Sibirien angedroht ist, wurde vor circa fünf Jahren Nitroglycerin in einer Seifenfabrik zu Moskau erzeugt und als – Schuhwichse im Lande versandt. Erst eine furchtbare Explosion führte zur Entdeckung.

Soviel zur Charakterisirung der Doppelnatur des heute so vielfach besprochenen Dynamits, eines Explosionsstoffes, von dem man sagen kann, daß bei ihm alles auf seine Behandlung und Verwendung ankommt und daß er daher für die Menschheit beides in seinem Schooße birgt, Heil und Verderben.

G. K.




Albertus Magnus.

Zur bevorstehenden Enthüllung seines Denkmals.

Unter den Geistesmännern des Mittelalters, welche wie Könige im Reiche der Gedanken hervorragen, ist es außer dem Geschichtsschreiber Otto von Freising, dem Oheime Kaiser Barbarossa’s, einzig Albert Graf von Bollstädt bei Lauingen, welcher den Ehrennamen der Große führt.

Albertus Magnus heiß’ ich,
Und Sanctus nennt die Kirche
 mich.

Er war das Universalgenie, das zuerst alle Wissenschaften umfaßte und in erstaunlichem Umkreis beherrschte, sodaß man ihn eine Leuchte der Welt nannte: Mundo luxisti, quia totum scibile scisti – der Welt hast Du geleuchtet, weil Du alles Wißbare gewußt hast. Er war als der christliche Aristoteles um so mehr gefeiert, als er auch zuerst den schärfsten Denker des Alterthums und Lehrmeister Alexander’s des Großen wie einen Kirchenvater an den Universitäten einführte.

Das Jahr seiner Geburt ist nicht bestimmt bekannt; es schwanken die Angaben zwischen 1193 und 1206, doch verdient ersteres Jahr den Vorzug. Wenn aber der heiligmäßige Fiesole das Bildniß unseres weltberühmten schwäbischen Landsmannes naturgetreu gemalt hat, muß Graf Albert ein stattlicher Mann gewesen sein.

Das projectirte Albertus Magnus-Denkmal in Lauingen.
Nach einer Photographie.

Als Jüngling zum höheren Studium an die Hochschule von Padua gesendet, erwählte er dort Jordanus von Sachsen, den gefeierten Dominikanergeneral, zum Lehrer, welcher den Ordensstifter noch persönlich gekannt hatte. Er wurde von ihm 1223 um so leichter zum Eintritt in diesen Orden veranlaßt, als dieser damals die ganze kirchliche Diplomatie leitete. Albertus Ratisbonensis nennen ihn die Urkunden, da er als Magister zuerst an der Ordensschule zu Regensburg auftrat, wo sie noch seine Lehrkanzel zeigen (der Stuhl ist aber bereits aus der gothischen Zeit). Nach Köln übergesiedelt trägt er den Ruhm des Beinamens Albertus de Colonia. Dahin folgt ihm als Schüler Thomas von Aquin, „der große Schweiger“, der, bald selber als Doctor angelicus gepriesen, heute als neuer Kirchenlehrer eingeführt werden soll. Wie hätte aber ein Mann von Albert’s wachsendem Rufe der berühmtesten theologischen Lehranstalt zu Paris fern bleiben und nicht auch dort seine Stimme vernehmen lassen sollen! Und er eiferte hier zuerst gegen das kirchliche Verbot des Aristoteles. Er selbst kannte den griechischen Weltweisen nur aus lateinischer Uebersetzung, und es ist sein und anderer zeitgenössischer Bischöfe Verdienst, daß sie eigene Uebersetzer nach Cordova und den höchsten Lehranstalten der Araber in Spanien sandten, um, wenngleich nach zweimaliger Seelenwanderung des Originals bei der linguistischen Uebersetzung, den Gedankeninhalt des hellenischen Philosophen auszuschöpfen. Alexander der Vierte berief ihn nach Rom, wo er als Magister sancti palatii amtirte und ebenfalls das Lehramt übte, dessen Monopol in der Theologie sich die Italiener damals noch nicht angeeignet hatten.

Albertus’ Werke sind sehr schwer zu zählen, weil viele Spätere ihre Schriften unter seinem Namen herausgaben, um die Welt der Gebildeten anzuziehen. Umfaßte er doch das gesammte philosophisch-theologische, naturwissenschaftliche und medicinische Wissen seiner Zeit. Die unbestreitbar echten Schriften allein füllen einundzwanzig Folianten und bieten nicht etwa einen Leichenhügel unfruchtbarer Lehren, todter Fragen und begrabener Meinungen, sondern Albertus ist der Riese, auf dessen Schultern sich alle Nachfolgenden stellen und der den Uebergang aus den eisernen Jahrhunderten durch den Strom der Zeit zur Reform der Wissenschaften bildet.

Wie Karl Martell bei Tours die Saracenen bekämpfte, so eröffnet unser Heros, zu dessen Füßen gelehrig Deutsche, Italiener und Franzosen saßen, mit dem Aquinaten den geistigen Kreuzzug für die christliche Civilisation Europas und schlägt die Geisterschlacht gegen Averroes und seine Schule, „die mit dem Körper läßt die Seele sterben“, wie Dante eifert. Um so höher preist der Sänger der „Göttlichen Komödie“ unsern Geisteshelden, welcher, erst Lesemeister und Provinzial, nach dem Sturze des lateinischen Kaiserthrons in Constantinopel 1261, wie vordem der heilige Bernhard, von Urban dem Vierten noch zuletzt zum wirklichen Kreuzprediger in Deutschland auserlesen worden – doch die Zeit dafür war vorüber.

Ein Jahr vorher hatte der Papst ihm das Bisthum Regensburg übertragen, ihm jedoch das hohe Amt wieder abgenommen mit der Erklärung: zum Bischof könne er Jeden machen, aber die Kirche habe einen einzigen Albertus. Wie ein Salomo seiner Zeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_397.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)