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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Andenken vieler Leser sein wird, der nur zu früh verstorbene Züricher Pfarrer Heinrich Lang, eine seiner kleineren Abhandlungen – „vielleicht sagt Jemand: ,das ist Alles schön und gut, aber dazu braucht es eine neue Kirche, eine Kirche, die den Menschen der Gegenwart nicht mehr ärgert durch Wundergeschichten, für welche sie Glauben verlangt, eine Kirche, die nicht einen Menschen zum Gegenstand eines Cultus macht, der nur dem ewigen Gott gebührt.‘“ Und derselbe Lang beantwortet diesen Einwand: „Eben diese Kirche wollen wir, eine Kirche mit neuen Pfarrern, welche ohne Halbheit und Bemäntelungen aus dem Geist unserer Zeit denken, fühlen und sprechen bei aller Pietät gegen dasjenige, was die Vergangenheit Großes und Herrliches erzeugt hat; eine Kirche mit neuen ,Laien’, die es wissen, daß es kein gesundes Volksleben giebt ohne eine gesunde Religion, die daher ihre bisherige Kälte und Gleichgültigkeit gegen alles Religiöse und Kirchliche ablegen, die wieder für sich selbst das Bedürfniß fühlen, sich zu erbauen in dem, was ewig bleibt; eine Kirche endlich mit einer neuen Verfassung, die keiner Kirchenbehörde, wie sie heißen möge, gestattet, in Sachen des Gewissens Und der Ueberzeugung Mit Gewalt und Zwang zu handeln, in welcher vielmehr die Gemeinde allein das Recht hat zu sagen, was sie singen, was sie beten, was sie hören wolle. Und diese Kirche ist nicht blos ein fernes Ideal, sie steht schon an vielen Orten aufgerichtet, und sie sind schon jetzt nicht zu zählen die Prediger, welche ,es nicht nur sich sagen und etwa den Verständigen unter ihren Zuhörern andeuten’, wie es mit den biblischen Wundergeschichten wirklich steht, die das vielmehr laut und unzweideutig längst allem Volke verkündigt haben. Wenn diese Kirche einmal die allgemeine christliche Kirche geworden ist, so werden die Worte der Erbitterung, die jetzt noch – so oft mit Recht – gegen die Kirche und ihre Einrichtungen gesprochen werden, verstummen.“

Unter der schwülen Luft der kirchlichen Reaction, die wir gegenwärtig in Deutschland, besonders in Preußen, athmen, scheinen freilich diese Worte Lang’s allzu optimistisch zu klingen. Werden wir wirklich eine protestantische Kirche bekommen? Wird es dem Protestantismus gelingen, die schwarzen Gestalten, die in geschlossenen Colonnen gegen ihn anrücken, aus dem Felde zu schlagen und als Sieger aus dem großen Culturkampfe hervorzugehen?

Die Antwort auf diese Frage kann für uns nicht schwer sein. Der Protestantismus ist verloren, sobald er im Geringsten zurückweicht und mit der Unfreiheit, der Unwahrheit gemeinsame Sache macht. Er wird siegen, sobald er sich rückhaltlos hingiebt an die Sache der Freiheit, der Wahrheit, der Menschlichkeit. Er wird siegen, nicht durch Polizeischutz und hohe Gönnerschaft, sondern durch das schlichte, unverdorbene Gewissen des deutschen Volkes.




Die Sachsen in Siebenbürgen.

Eine Bitte um „deutsche Waffen“ für den verlassenen Bruderstamm.
(Schluß.)

Der Leib des Sachsenvolkes ist erschlagen, aber der Geist lebt noch, und nun wenden sich die feindlichen Waffen gegen diesen. Sein stärkster Hort war das sächsische Universitätsvermögen. Sogar das Gesetz von 1876, welches die Zerreißung des Königsbodens verordnete, enthält noch im zwölften Artikel vier Paragraphen, nach deren Wortlaut der Wirkungskreis der sächsischen Universität, als einer ausschließlichen Culturbehörde, hinsichtlich der Verfügung über das Universitätsvermögen auch weiter aufrecht erhalten und das bezüglich des Vermögens der sächsischen Universität bestehende Eigenthumsrecht durch das neue Gesetz unberührt gelassen wird. Ueber das Vermögen der sächsischen Universität soll im Sinne und innerhalb der Schranken der Stiftungen und mit Aufrechthaltung des Aufsichtsrechts der Regierung die Generalversammlung der sächsischen Universität verfügen; diese Generalversammlung soll aus zwanzig Vertretern der Stühle, Districte und Städte des früheren Königsbodens bestehen und den Vorsitz der Obergespan des Hermannstädter Comitats führen.

Die Stelle dieses Obergespans ertheilte Minister Tisza dem schon genannten Friedrich Wächter und gestattete ihm auch, „aus Pietät“ den Titel „Comes“ zu führen. Schon diese Wahl gab zu denken. Noch deutlicher trat die Absicht des Ministers an das Licht, als er die Genehmigung des in der ersten Generalversammlung festgesetzten Statutenentwurfs über Rechte, Pflichten und Geschäftsordnung des Centralamts der Universität abhängig machte von der Hinzufügung von zwei Forderungen. Er verlangte, daß von der Universitätsgeneralversammlung in die Statuten ausgenommen werde: 1) daß dem Obergespan als Universitätsvorsitzer aus dem sächsischen Nationsvermögen ein Gehalt von 2000 Gulden ausgezahlt werden, – und 2) daß dem Obergespan des Hermannstädter Comitates das Recht zustehen solle, außerhalb des von der Nationsuniversität festgestellten Budgets, Anweisungen an die sächsische Nationscasse zu machen.

Es wiederholten sich nun die Kämpfe der Märztage von 1876, nur auf viel niedrigerem Boden, auf welchen die Persönlichkeit des „Pietätscomes“ sie hinabzuziehen verstand. Es ist uns nicht möglich, die Eingaben an den Minister und die Verhandlungen in den Generalversammlungen hier mitzutheilen, durch welche die treuen sächsischen Männer ihr offenbares und durch Gesetz zugesichertes Recht gegen das ebenso offenbare, unerhörteste Unrecht vertheidigten. Wir müssen Alle, welche unseren Sachsen ihre Theilnahme schenken, auf zwei Schriftchen verweisen: „Zur Lage der Siebenbürger Sachsen. Flugblatt des deutschen Vereins in Wien. München, Th. Ackermann“ und: „Ein Beitrag zur orientalischen Frage. Der Proßproceß gegen das ,Siebenbürgisch-deutsche Tageblatt’ in Hermannstadt. Ebendaselbst.“ Beachtenswerth ist endlich die betreffende Nummer des Tageblattes selbst, das wegen der Schilderung jener Sitzungsvorgänge in Anklagestand versetzt, von den Geschworenen aber freigesprochen worden ist. Hier stehe nur das Resultat des Kampfes: Der Obergespan Wächter erklärte der Generalversammlung, daß er der klaren Weisung des Ministers einfach nachzukommen habe, daß die Forderungen desselben in die Universitätsstatuten durch Abstimmung ausgenommen werden müßten und daß er sich selbst durch eine Minorität dazu für berechtigt halte.

Und so geschah denn wirklich das Ungeheuerlichste, selbst auf ungarischem Rechtsboden: Von den zwanzig Abgeordneten verweigerten die achtzehn Sachsen die Abstimmung; zwei Rumänen jedoch erzeigten sich Seiner Excellenz dienstgefällig, und da auch der protokollirende Universitätsnotar eine Stimme erhielt, so verkündete „Comes“ Wächter, daß die Anträge des Ministers kraft eines auf dreistimmiger Minorität beruhenden Beschlusses der Universität rechtsgültig in das Universitätsstatut aufgenommen worden wären.

Und der Herr Minister? Der Herr Minister Coloman von Tisza ertheilte dem Verfahren seines Obergespan volle Genehmigung und erhob somit den Minoritätsbeschluß für die Verwaltungsweise des Sachsenvermögens zum Gesetz. So ist es geschehen am 19. November 1877, nicht in China oder Persien, auch nicht in der Türkei, sondern zu Budapest in der „österreichisch-ungarischen Monarchie“, die bekanntlich gleich neben Deutschland liegt.

„Daß,“ nach dem Zeugniß eines Correspondenten der „Kölner Zeitung“, welcher der letzten Universitätssitzung beigewohnt, „brutaler wohl selten ein altpreußischer Sergeant gegen Rekruten auftrat, als hier der Präsident gegen die Generalversammlung als Verwalterin ihres privaten Vermögens“ – wollen wir nur nebenbei bemerken; wahrscheinlich gab dies dem Herrn Minister Veranlassung, „das ungesetzliche und unschickliche Verhalten der Majorität der Generalversammlung“ ganz besonders zu rügen.

Durch dieses neue Meisterstück der „freien Hand“: durch die Minorität nach ministeriellem Befehle Beschlüsse fassen zu lassen und gegen den Willen der Majorität in Wirksamkeit zu setzen – ist es dem Minister Tisza gelungen, im Handumdrehen das „Oberaufsichtsrecht des Staats“ in ein „freies Verfügungsrecht der ungarischen Regierung über das Privatvermögen der Sachsen“ zu verwandeln. Man sieht: von Rechtsbegriffen, wie sie in allen Culturstaaten herrschen, ist vor dem Magyarismus keine Rede mehr.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_402.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)