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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

jungen Dame hier und da eine nonchalante Behandlung erfahren müssen, die ihm eben so neu, wie merkwürdig vorkam. Gerade diese kühle Indifferenz gegen Nordstetter und Compagnie war aber die Angel gewesen, an welcher sein für weibliche Zuvorkommenheit so unempfindliches Herz hängen blieb, und die aristokratische Schönheit des Mädchens im Verein mit ihrem Geist und ihrer Grazie verstrickten ihn tiefer und tiefer, sodaß er sehr bald ganz ungewohnte leidenschaftliche Wünsche im Grund seines Herzens fühlte und in Riva ganze Stunden damit zubrachte, rauchend auf der Seeterrasse zu sitzen und es sich auszumalen, wie ganz anders eine solche Frau aus altadeligem Hause die Honneurs seiner prachtvollen Salons werde zu machen wissen, als seine gute selige Katharina, welche, der Anpassung an die großen Verhältnisse unfähig, mit ihrer rundlichen, so verzweifelt bürgerlichen Figur stets als lebendiges Pasquill auf die ganze Herrlichkeit in all dem Sammt und Gold herumgewandelt war.

So, gerade so wie Leontine sollte seine künftige Frau sein, und er hatte jetzt beim Hineinfahren in die Lagunenstadt, während er das reizvolle blasse Gesicht ihm gegenüber immer wieder voll Entzücken betrachtete, dasselbe Gefühl, wie es vor ihm die mächtigen Kaufherren Venedigs empfunden haben mochten, wenn sie im Begriff waren, eine kostbare levantinische Ladung hinter den schwerverklammerten Thüren zu bergen, welche der stolzesten Architektur ihrer Paläste als bedeutungsvolle Basis dienen.

Leontine streifte flüchtig unter ihrem Schleier heraus dann und wann das erregte Geschäftsgesicht ihres Gegenüber; auch ihr war die Bedeutung der kommenden Tage völlig klar, und ihr Herz schlug in peinlicher Empfindung, wenn sie überlegte, was wohl schlimmer sein möge, das Ja oder das Nein?

„Zuletzt eine reiche Heirath,“ hatte bis dahin das Programm ihres schönheits- und luxusbedürftigen Lebens im Stillen gelautet, es mußte diesen Schluß nehmen oder eines schönen Tages zu plötzlichen Beschränkungen herabsinken. Der Papa lebte seit einer Reihe von Jahren in der festen Hoffnung auf eine glänzende Partie seiner Tochter bedeutend über seine Verhältnisse, und nun, in ihrem sechsundzwanzigsten Jahre fing ihm manchmal an, für das so sicher vorausgesetzte Ziel bange zu werden. Leontine besaß einen sehr entwickelten Geschmack, und unter ihren zahlreichen Verehrern wollte sich nie Einer finden, der geistreich, liebenswürdig – und sehr reich gewesen wäre.

Redete der Papa einmal Einem das Wort, der neben der letzteren Eigenschaft einige minder erfreuliche besaß, so war stets die lachende Antwort. „Ach, Papa, dazu ist es noch in zehn Jahren Zeit; gönne mir noch ein wenig, mich zu amüsiren! Es ist ja doch das Einzige, was man vom Leben hat.“

Seit mehr als einem Jahre aber bot sich gar keine Gelegenheit mehr zu solchen Antworten, Leontine war, wenn sich die „Gesellschaft“ im Herbste wieder zusammenfand, schön und gefeiert. wie immer, aber die Atmosphäre um sie veränderte sich unmerklich; sie fing an, zu den stehenden Figuren zu gehören, und ihr „originelles Wesen“ wurde mehr betont, als dem Papa lieb war zu hören. Sie hatte mit raschem Entschlusse angefangen, ihr bisher nur dilettantisch bewiesenes Maltalent der Kunst zuzuwenden „für den äußersten Fäll“, wie sie im Stillen sagte, aber sie allein wußte auch, wie hart dem verwöhnten Sinne die strenge, immer gleiche Arbeit ankam und wie ohne eigentliche Ueberzeugung sie dabei blieb. Der Frühjahrsausflug nach Riva hatte ihr eine neue „Möglichkeit“ eröffnet, und es kam ihr manchmal vor, als stehe sie jetzt dicht vor ihrem Schicksale, und eine Bangigkeit überfiel sie bei dem Gedanken. Da reiste Nordstetter von Riva ab, und nun hier in der Lagunenstadt wieder dieselbe Situation, nur statt der früheren gleichgültigen, weltverachtenden Stimmung ganz neue merkwürdige Regungen im Herzen und Erinnerungen an drei so köstliche Reisetage! Es bedurfte schon der festen Willenskraft, die hinter dieser feingewölbten weißen Stirn wohnte, um alles Dies streng in sich niederzuhalten. Ihre Blicke fielen wieder auf das gelbliche Gesicht mit den frühen Falten und ausdruckslosen Augen, das in seinem Entzücken unerträglich geistlos aussah. Daß ihm in diesem Augenblicke die dunkle Prachtfacade eines hohen Palastes als schlimmer Hintergrund diente, dafür konnte es nichts – aber sie schauerte vor dem Gedanken: „Und dieser soll Dein Mann werden“, so heftig zusammen, daß sie rasch den Shawl um die Schultern zog und mit beklemmter Stimme sagte: „Es wird kühl hier.“

„Die Seufzerbrücke,“ tönte es in diesem Momente sonor vom Vorderende her; die Gondel glitt in die enge Durchfahrt zwischen Dogenpalast und Staatsgefängniß hinein, und ihr Führer wies nach oben, wo der schmale bedeckte Todesweg sich von einem Bau zum andern herüberschwingt.

Leontine wandte einen seltsamen Blick aufwärts. Es war in diesem Augenblicke, wie überhaupt in manchen Fällen, gut, daß die menschliche Brust kein Fenster hat, Herr Nordstetter würde sonst mit großem Befremden in derjenigen seiner gehofften Zukünftigem eine tiefe Sehnsucht bemerkt haben, ebenso mit dem Leben fertig zu sein, wie die Vielen, welchen vor Zeiten die kleine Brücke hier als Eingang in die Ewigkeit diente.

Ein paar Ruderschläge noch, und die Gondel flog hinaus in das sonnige, lärmende Treiben der Riva dei Schiavoni; dort wiegten sich Dampfer und vielmastige Indienfahrer auf dem Meere, und eine Unzahl schwarzer Gondeln schoß dazwischen auf und ab Von den flachen Inseln glänzten Thürme und Kuppeln herüber – Alles war Luft, Bewegung und Heiterkeit.

„Das ist Venedig,“ sagte Baron Willek wohlgemuth, als die Gondel hielt und er seiner Tochter die Hand bot, „ich weiß wenig Anblicke, die mir das Herz so von Grund aus erfreuen – hoffentlich werden wir eine schöne Zeit hier verleben.“




2.

Nicht weit vom Rialto entfernt, liegt am Canal Grande ein kleiner Palast. Die vordere elegante Zimmerreihe hat eine prächtige breite Terrasse nach dem Canale, rückwärts aber, nur erreichbar durch die tausend kleinen Gäßchen, welche Venedig wie ein Netz von Adern durchziehen, liegt der eigentlich interessante Theil der Casa Bertucci – das ist die bescheidene Wohnung der Vermietherin, Donna Erminia Steiner, der Wittwe eines österreichischen Hauptmanns, welche das vordere Haus in Pacht genommen hatte. Die dem Canal zugekehrte Vorderfronte senkt ihre sculpturbedeckte Facade düster und einförmig in die Wellen.

Auf der sonnigen Rückseite dagegen hatte sich ein buntes, mannigfaltiges Leben angesiedelt. Allerlei Anbaue, gelb getüncht, umgaben in harmloser Unregelmäßigkeit einen kleinen Garten voll so prächtigem Duft und Schatten, daß die entschiedene Liebhaberei deutscher Künstler für die Ateliers dieses Rückgebäudes sehr begreiflich erschien. Ton und Herkommen des Hauses brachten es mit sich, daß die hier auf längere oder kürzere Zeit Vereinigten als Colonie zusammenhielten, und das beharrende Element in allem Wechsel war der alte Bildhauer Bartels, der vor zwanzig Jahren „auf vier Monate“ das kleinste Stübchen im Hause gemiethet hatte und nach und nach, stets von seiner demnächstigen Abreise sprechend, in den Besitz des größten Ateliers und des einzigen Zimmers gelangt war, welches Donna Erminia im Vorderhause für sich reservirt hatte. Sein künstlerischer Wirkungskreis konnte sich, da er etwas Vermögen besaß, auf gelegentliche Portraitbüsten beschränken, die er mit großer Feinheit ausführte.

Die Production war überhaupt viel weniger seine starke Seite, als eine unbarmherzige Kritik, welche er mit großer Freigiebigkeit über die Mängel dieser Welt im Allgemeinen und die Kunstresultate der Casa Bertucci im Besonderen ausgoß. Die padrona di casa allein, die ängstliche kranke Frau, erfreute sich einer Ausnahmestellung; von ihr sprach er stets nur mit größtem Respect, ja manche seiner jungen Widersacher behauptete, so weit sein Herz überhaupt menschlichen Empfindungen zugänglich sei, habe es einst für sie geschlagen; der vor Jahren von ihr empfangene Korb habe seine Hochachtung vor ihrer Klugheit nur vermehrt und „ganz ohne“ sei die Sache auch heute nicht. Andere freilich machten geltend, daß der dicke Bartels in der Welt keinen Ort mehr finden würde, der so viel Annehmlichkeiten der Existenz mit so brillante Gelegenheiten zu kritischen Bemängelungen vereinigte, wie Venedig, und daß hieraus allein seine Vorliebe für diese Stadt sich erkläre: genug, er war und blieb da.

„Es ist doch Alles noch gerade so, wie vor sechs Jahren,“ sagte Erich lächelnd vor sich hin, als er am Mittage des folgenden Tages, von seinem ersten Ausgange zurückkehrend, in den Garten eintrat, der sich unter den Fenstern der Casa Bertucci ausdehnte. Die schwärzliche Lattenbank unter der Hänge-Esche war nicht jünger geworden, so wenig, wie dem flötenspielenden Faun auf dem Postamente daneben eine neue Nase für seine abgeschlagene gewachsen war. Aber wie eine liebe Heimath grüßte den jungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_407.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)