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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Der Europäer, welcher zum ersten Male diese Bazars besucht, findet hier tausenderlei Gegen­stände, welche zum Kaufe einladen; denn es sind noch zu besuchen die Bazars der Waffen­schmiede, der Teppichhändler, der Sattler, der Schneider, der Tischler und Drechsler und die unabsehbaren Reihen der Schusterläden Doch eilen wir schneller vorwärts in ein ruhigeres Stadt­viertel, wo wir Zeit gewinnen, einige der uns begegnenden Personen genauer in’s Auge zu fassen!

Welch seltsame Figur, dieser bis auf einen Schurz um die Lenden ganz nackte Mann von gebräunter Hautfarbe, mit wirrem Kopfhaar und verzerrten Gesichtszügen, eine Lanze in der Rechten tragend! Alle Passanten bezeigen ihm eine gewisse Ehrfurcht, und dies beweist, daß wir einen Marabut, einen Heiligen, vor uns haben. Der arme Mensch ist närrisch, und die Muselmanen nehmen seine Krankheit für göttliche Erleuchtung und verehren ihn als von Gott begnadigt und mit übernatürlichem Wissen begabt. Nach seinem Tode baut man ihm an der Stelle, wo er ge­storben, eine Grabcapelle, welche alsdann, je nach dem Grade der Heiligkeit des betreffenden Marabut, von den Gläubigen mehr oder minder stark besucht wird. Es giebt viele Hunderte dieser Capellen in und um Tunis, von verschiedener Größe, und die größte derselben, Sidi Machres, ist ausgedehnter als die Hauptmoschee der Stadt und immer besucht von Betenden. Selbst mitten im Bazar der Sattler befindet sich das Grab eines Marabut, der zufällig dort gestorben; hier hat man sich wegen der Enge der Gasse begnügt, anstatt der Grabcapelle nur einen sargähnlichen Kasten aufzustellen, der mit den Farben des Propheten, grün, roth und weiß, angestrichen ist. Der Christ thut gut, diesen sonderbaren Heiligen aus dem Wege zu gehen, um sich nicht Unan­nehm­lichkeiten von Seiten der Muselmanen auszu­setzen.

Auffallend sind die Soldaten und Polizisten des Bey durch ihre zerlumpte und abgeschabte Kleidung und ihr Herumlungern, ja selbst An­betteln der Fremden. Sind sie arbeitsam, so finden sie Beschäftigung bei Handwerkern, wo man sie, besonders in Schusterbuden, in nichts weniger als kriegerischer Thätigkeit antrifft. Sie werden jämmerlich besoldet und müssen vielfach des Nachts im Freien campiren, auch stricken manchmal die Braven.

Wie sehr sticht gegen diese Diener des Bey der Araber aus dem Innern ab, mit seiner stolzen Haltung, dem hohen Wuchs und dem von der Sonne stark gebräunten Gesicht! Er zieht die weißen Stoffe in seiner Kleidung vor, welche sonst wenig von derjenigen der Städter abweicht; er ist fast immer mit Waffen versehen, wenn er nach Tunis kommt; denn Waffen darf hier jedermann tragen, ob Muselman, Christ oder Jude. Und außer ihnen erblickt man zahlreiche andere typische Gestalten; dort trägt ein Landmädchen in ärmlicher Tracht den Wasserkrug vom Brunnen; hier an der Straßenecke entlockt ein fahrender Musikant seltsame Töne seiner zweisaitigen Guitarre, und, einsam dastehend, blickt trotzig in das bunte Menschengewimmel hinein ein Sprosse des räuberischen Khrumirstammes, der es ver­ursachte, daß die Tunisstadt soeben mit dem Schrecken des Krieges bedroht wurde.

Vornehme Araberinnen sieht man nur selten auf den Gassen, und alsdann nur in Begleitung mehrerer Dienerinnen; sie tragen über dem schwarzen Gesichtsschleier noch ein ebenfalls schwarzes Tuch, welches sie mit beiden Händen in der Weise aus einander halten, daß sie nur den Boden, welchen sie gerade betreten, zu erblicken im Stande sind. Alle Mohammedanerinnen sind vom Kopfe bis zum Fuße in weite weiße Gewänder gekleidet. Die Jüdinnen dagegen ver­hüllen nur den Oberkörper und lassen das Antlitz und die Arme frei; die Beine sind mit engen, meist reich gestickten Hosen bekleidet. Außerhalb der Stadt gehen auch die Araberinnen unverschleiert einher und verwenden zur Kleidung einförmig blaue Stoffe; sehr beliebt ist bei ihnen, wie auch bei den Männern, das Tättowiren der Unterarme und Beine, und die Frauen schmücken außerdem die Knöchel mit weiten Metallringen.

Doch gehen wir weiter! Vor uns liegt ein freund­licher Platz, umgeben von rein­lichen Gebäuden; einige ver­einzelte Palmen wiegen ihre Kronen in der milden Luft; ein reich verziertes Minaret, eines der schönsten in der Stadt, ragt über einer hohen Mauer hervor, welche uns den Blick auf das Innere des Dar el Bey (des Hauses des Bey) verwehrt. Hier wohnt der jetzige Bey, Muhamed Essadak oder el Sadak, nur zur Zeit des Fasten­monats; gewöhnlich nimmt er für den Winter seinen Aufenthalt in einem dicht am Bardo, seiner eigent­lichen Residenz, gelegenen Palaste und verbringt den Sommer in dem kühleren Goletta. Es ist nicht der Mühe werth, den Dar el Bey mit seinen verschossenen Teppichen und ge­brech­lichen Möbeln zu be­suchen, und so folgen wir der breiten Straße, an einigen Kirchhöfen vor­über bis zum Thore. Rechts von uns dehnen sich die verfallenen hohen Mauern der Kasbah, der Festung, aus; links befinden sich die Bureaus für die Wasser­leitung, welche hier mündet und die ganze Stadt reichlich mit gutem Trinkwasser versieht.

Wir haben von hier einen schönen Blick auf die Stadt, da wir uns auf dem höchsten Punkte der­selben befinden; zu unseren Füßen das Häuser­meer, darin viele Kuppeln von Moscheen und Marabutgräbern und Minarets in großer Menge; dahinter der weite Salzsee el Bahira, in dessen Mitte ein kleines Eiland mit einem Schlosse; Flamingos in Unzahl beleben den See; jenseits erblicken wir die Stadt La Goletta, den Hafen von Tunis, links davon, höher gelegen das Araberdorf Sidi bu Said, ferner San Luigi, die zum Andenken an den auf dem Kreuzzuge 1270 ge­storbenen Ludwig den Heiligen errichtete Capelle, und das hügelige Ruinenfeld Carthagos; zur Rechten steigen Gebirge in pittoresken Formen zu ziemlich bedeutender Höhe an.

Schauen wir uns aber auch außerhalb der Ring­mauer ein wenig um! Sie umgiebt die ganze Stadt, und ihre Thore, deren eines wir soeben passirten, werden mit Anbruch der Nacht sämmt­lich geschlossen; die Schlüssel müssen dem Ferik, d. h. dem Gouverneur der Stadt, dessen großer Palast nicht fern vom Dar el Bey gelegen ist, allabendlich abgeliefert werden: ein Brauch aus früheren Zeiten zum Schutze gegen räuberische Ueberfälle unruhiger Nachbarn, der noch heute mit großer Sorgfalt beobachtet wird.

Ein reizend freundliches Bild wird uns zu Theil; eine heitere Landschaft breitet sich zu unseren Füßen aus. Nach dieser Seite fällt der Hügel, auf dem wir stehen, steiler ab, als zum el Bahira. Unten links liegt ein großer, seichter See, Sebcha Tsetjumi genannt, rechts und hinter dem See eine im Winter in saftigem Grün prangende, wohl­angebaute Ebene, durchschnitten von der Eisen­bahn und einem antiken Aquäduct; etwa eine halbe Stunde von dem Thore entfernt erkennen wir den Bardo, die Residenz, einer kleinen Stadt ähnlich, und noch weiter ab große Villenanlagen, die sogenannte Manuba. Den Horizont umfängt das Gebirge von Saghoan, und dicht zu unseren Füßen liegt ein Dörfchen seßhafter Araber mit kleinem Minaret, dessen winzige Hütten sich in mächtigen Cactushecken verstecken; auch Nomaden haben ihre Zelte unmittelbar vor den Thoren der Stadt aufgeschlagen. Zum Bardo führt in einigen Minuten die Eisenbahn, doch gestattet Seine Hoheit Muhamed Essadak Pascha Bey das Befahren derselben nur in den Morgenstunden. Das Innere des Palastes wird wenigstens theilweise gern gezeigt; interessant ist dort der Thron­saal, eine Collection von Portraits europäischer Fürsten und einige Schlachtenbilder; im Empfangs­saale fällt die Menge Uhren auf, eine merkwürdige Liebhaberei des Bey; alle sind ver­staubt und unbrauchbar, auf vielen klebt noch das Zettelchen mit Preisangabe.

Alle Sonnabend hält der Bey im Bardo öffentlich Gericht; eine mehrere Meter lange Pfeife in der Hand, umgeben von seinen Räthen, macht er kurzen Proceß: nicht ein Federstrich wird gethan, genau wie bei den Sitzungen der Polizeirichter in der Stadt, und unmittelbar auf den Spruch folgt die Vollstreckung. Nicht selten hat man das traurige Schauspiel, ganz dicht vor den Thoren des Bardo an der Heerstraße nach Schluß der Gerichtssitzung eine Reihe Gehenkter inmitten einer gaffenden Menge schweben zu sehen.

Der jetzige Bey ist gegen siebenzig Jahre alt, für sein Alter übrigens äußerst rüstig und wohlerhalten. Er ist mit großem Pompe umgeben, wenn er sich öffentlich zeigt, wie ich beim Geburts­feste des Propheten zu beobachten Gelegen­heit hatte; bei diesem Anlasse geht er, von Ministern und Generalen begleitet, vom Dar el Bey zu Fuße nach der großen Moschee zum Gebete, während Militär vor dem sich ziemlich gleichgültig verhaltenden Volke Spalier bildet. Gewöhnlich fährt er in einem mit vier prächtig auf­ge­schirrten weißen Maulthieren bespannten Wagen, welchen Mamelucken umschwärmen. Als Curiosum sei hier bemerkt, daß der Oberst der Leib­garde aus unserer Mark Brandenburg stammt; er heißt Krüger und ist der Sohn eines Bier­brauers: schon im Jahre 1831 kam er nach Tunis, trat zum Islam über und ist mit seinem Loose sehr zufrieden; einen komischen Eindruck macht es, den alten Herrn in seiner gold­strotzenden Uniform das echte märkische Platt­deutsch mit consequenter Verwechselung des „Mir“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_410.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)