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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Durch diese Auffassung befreien wir uns von dem Mißbehagen, das uns beim Gebrauch des Ausdrucks nicht selten beschleicht, wenn wir das schöne Problem einer wahren Humanität bald als erdrückende Fessel in der Hand des despotischen Gesetzgebers, bald als Maske eines eigensüchtigen gleißnerischen Pharisäerthums, bald als Angriffswaffe in der Faust des Socialdemokraten mißbraucht sehen.

Im Publicum ist man vielfach geneigt, den Gedanken, daß auch Deutschland sich zum eigenen Heil mit der Volkshygiene als Staatseinrichtung zu befassen habe, erst in der Zeit unseres letzten nationalen Aufschwunges entstehen zu lassen. Hier liegt ein Unrecht gegen die Patrioten einer früheren Periode vor. „Die Einrichtung eines eigenen preußischen Medicinalministeriums,“ schreibt Virchow am 21. Juli 1848 in seiner ‚Medicinischen Reform‘, „halten wir nicht für notwendig. Dagegen verlangen wir die Einrichtung eines deutschen Reichsministeriums für öffentliche Gesundheitspflege.“ In die deutsche Reichsverfassung von 1871 tritt die Schöpfung eines Mittelpunkts für dieselbe durch den unscheinbaren Satz ein. „Der Beaufsichtigung seitens des Reiches und der Gesetzgebung desselben unterliegen die Maßregeln der Medicinal- und Veterinär-Polizei.“ Auf ihm beruht die unter vielen Widersprüchen und Bedenken zu Stande gebrachte Errichtung unseres gegenwärtigen Reichsgesundheitsamtes.

Welche Ziele und Aufgaben kann sich mit Rücksicht auf die Vorgeschichte, mit dem vollen Bewußtsein der unendlichen Combinationen, denen das Leben des heutigen Culturmenschen unterworfen ist, eine solche Behörde wohl stecken? – Kann es ihr genügen, durch zahlenmäßige Feststellungen einen Ueberblick der verfügbaren Menschenmasse zu erhalten, auf welche der moderne Staat, um wehrhaft zu sein, rechnen muß – oder festzustellen, wie lange derselbe über die ihm unmittelbar dienstbargewordenen Kräfte disponiren kann und wann dieselben abgenutzt sind – also Recrutirungs-, Beamten-, Invaliditäts- und Armenstatistik zu treiben? Ist die Aufgabe eines solchen hygienischen Centrums erschöpft, wenn es die alten Lieblingsgesetze der Volksgesundheit, die gegen Lebensmittelverfälscher, Brunnen- und Flußverunreiniger von neuem beräth und den Zeitverhältnissen anpaßt? – Ist das Ideal eines Staatsgesundheitsamtes erreicht, wenn es die krankmachenden Einflüsse des Landesklimas zu ergründen sucht oder dafür sorgt, daß gute Aerzte ausgebildet werden?

Wir besitzen eine Denkschrift des deutschen Gesundheitsamtes, in welcher es den Gedanken von der Gegenleistung des Staates in weiteren Grenzen anerkennt. Man beabsichtigt danach, den Gesundheitsschutz der Kinder in den Schulen und der Arbeiter in den Fabriken, den Schutz der Geisteskranken zu übernehmen, Bestimmungen gegen die Ausbeutung der niederen Classen und der Halbgebildeten durch den Geheimmittelschwindel zu erlassen u. dergl.

Am wohlthuendsten berührt das durch die ganze Schrift sich hindurchziehende Bekenntniß, daß man sich einer besondern Verantwortlichkeit des Staates den seuchenartigen Krankheiten gegenüber bewußt ist und Alles zu thun verspricht, um ihr unheilvolles Auftreten dem Vaterlande zu ersparen. Da dieser von uns im Vorstehenden absichtlich nur gestreifte Gegenstand gleichsam den Kern und Probirstein aller staatlichen Wohlfahrtsgesetze darstellt, verlohnt es sich wohl, ihm eine eigene gedrängte Betrachtung zu widmen. Davon im nächsten Artikel!




Blätter und Blüthen.

Für die kranken Kinder der Armen. „Gründet Feriencolonien –“ durch die gesammte deutsche Presse geht dieser Mahnruf an den Mildthätigkeitssinn der wohlhabenderen Bürger, dem auch wir uns freudig anschließen. Es gilt, schwächliche Schulkinder armer Stadtbewohner für die Zeit der Sommerferien aus der Luft der engen Straßen und dumpfen Wohnräume zu entfernen und ihnen in der freien Natur, in der Stille eines Landsitzes startenden und erquickenden Aufenthalt zu bereiten. Tausende und aber Tausende unserer Kinder erliegen langsam zehrenden Krankheiten, welche jedem künstlichen Mittel trotzen und die nur weichen können vor der Macht der allheilenden Natur. Die Aerzte wissen es selbst am besten, und sie verschreiben daher ein Heilmittel aus einer von den Städten gar weit entfernten Apotheke, deren „duftige Kräuter noch in der Mutter Erde Wurzeln“: sie verordnen den Aufenthalt in der freien Natur. Glücklich, wer seine Kranken in diese große Heilanstalt bringen kann! Ihm ist in den meisten Fällen die Rettung seiner lieben Kleinen sicher - aber nur Reiche und Wohlhabende sind in so beneidenswerter Lage. Laßt uns dagegen die Arbeiterviertel unserer Großstädte einmal betreten! Dort wanken auf dem sonnenerhitzten Pflaster, in der staubigen Luft zu Hunderten die kleinen schwächlichen Gestalten, Spuren frühzeitiger Leiden in den blassen, mageren Gesichtchen. Die krankheitsschwangere Luft der unsauberen Gassen hat ihre Gesundheit untergraben, und nur ein längerer Aufenthalt auf dem Lande kann ihnen die verlorene wiedergeben; das wissen die liebevoll sorgenden Eltern sehr wohl – aber in dem angstvollen Ringen mit dem gleichenden Dämon der Krankheit sinken machtlos ihre Arme, denn Geld kostet die vielverheißende Cur, Geld – und die Eltern der Kinder – sind arme Leute.

Aber hört! Es giebt ein Mittel, die fahlen Kinderwangen mit jugendfrischen Farben zu röthen und Thränen von Mutteraugen zu trocknen: trotz Armuth und Noth ermöglicht man den kleinen Patienten die oben angedeutete Wohlthat eines gesunden Sommeraufenthaltes.

Vor einigen Jahren traten wohlthätige, warmfühlende Menschen zusammen, die es sich zur Aufgabe machten, Feriencolonien zu gründen, d. h. die armen schwächlichen Kinder während der Ferienzeit in ruhigen Bergdörfern oder in gesunden Landsitzen unter der Aufsicht ihrer Lehrer oder Lehrerinnen zu verpflegen.

Mit geringen Mitteln, welche ihnen die öffentliche Mildtätigkeit spendete, begannen diese Wohltäter der Kindheit ihr segensreiches Wirken und errangen überraschende, wunderbare Erfolge. Erfrischt an Körper und Geist, von dem Gefühl des Dankes gegen die barmherzigen Helfer beseelt, kehrten die Kleinen in ihre Heimath zurück, und die Aerzte bestätigten überall die wundersam günstige Einwirkung des ländlichen Aufenthaltes auf die untergrabene Gesundheit, die Lehrer aber priesen einstimmig den versittlichenden Einfluß der Feriencolonie auf das Gemüt der Kinder.

Bald folgten diesem guten Beispiele fast alle großen Städte nicht allein Deutschlands, sondern nahezu der ganzen civilisirten Welt, und zwar überall mit demselben guten Erfolge. Die „Gartenlaube“ wird auf diesen Gegenstand in Kurzem ausführlich zurückkommen und ihren Lesern die Feriencolonien in Bild und Wort vorführen. Heute aber, wo es gilt, diese wohlthätige Einrichtung da zu erhalten und zu verbreiten, wo sie die ersten Wurzeln bereits geschlagen, sie da neu zu pflanzen, wo ihr Segen noch unbekannt ist, heute wenden wir uns zur Förderung der Sache an den weiten Leserkreis der „Gartenlaube“. An die alten Freunde der Feriencolonien richten wir das Gesuch, in ihrer Wohltätigkeit nicht zu erlahmen, an diejenigen aber, welche dem Unternehmen bis jetzt noch kühl gegenüber standen, die warme Bitte, ihr Herz menschenfreundlichem Fühlen zugänglich zu machen.

Niemand, der dazu irgend wie im Stande ist, sollte an dem Opferstock der Feriencolonie vorübergehen, ohne sein Scherflein für die gute Sache beigetragen zu haben. Und brauchen wir noch zu versichern, daß jede diesem Zwecke zugewandte milde Gabe sich reichlich lohnen wird? Die dem frühzeitigen Siechthum und vorschnellen Tode entrissene Generation, sie wird einst dem Volke die Schuld abtragen, nicht nur durch ihrer Hände rüstige Arbeit, sondern auch durch die dankbare Gesinnung, die ihren Gemeinsinn stärken und ihre Herzen mit warmer Nächstenliebe erfüllen wird.

Die Redaction.




Eine Vorbereitungsschule für Weltreisende soll in Folge einer Anregung des internationalen geographischen Instituts zu Bern begründet werden. Nach dem vorlegenden Project wird der Unterricht vor Allem praktische Ziele verfolgen. Die Schüler sollen mit ihren Lehrern Ausflüge machen, über welche sie dann Berichte zu erstatten haben. Am Schluß eines jeden Cursus wird eine drei- bis viermonatliche Reise nach den Küstenländern des Mittelländischen Meeres angetreten, auf der die Schüler in selbstständiger Beobachtung fremder Länder und Völker sich üben sollen. – Daß eine Anzahl so geschulter Reisender sowohl der Wissenschaft wie dem Handel einen nicht zu unterschätzenden Nutzen bringen würde, liegt auf der Hand. Zu wünschen ist es deshalb, daß die civilisirten Staaten das Project auf das Nachdrücklichste unterstützen




Es ist nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das zweite Quartal dieses Jahrgangs. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahres aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.

Die Verlagshandlung.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_420.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)