Seite:Die Gartenlaube (1881) 434.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Der Vernichtungskrieg gegen die Laternen-Männer.

Die Laternen-Anzünder auf dem Aussterbe-Etat. – Ein Zauberstück Döbler’s. – Klinkerfues’ sich selbst entzündende Laternen. – Beleuchtungs-Effecte in der französischen Nationalkammer und im Berliner Schlosse. – Bean’s elektrische Zünder. –Bennet’s und Flürscheim’s Einrichtungen.

Es giebt vermuthlich wenig ehrliche Beschäftigungen, gegen welche in neuerer Zeit so viele Drohungen und meuchelmörderische Angriffe gerichtet worden sind, als gegen die der Laternenmänner. Wir meinen hiermit natürlich nicht die Genossen Rochefort’s, sondern den großen Haufen jener dunklen Ehrenmänner, welche dafür sorgen, daß es am Abende in den großen Städten zur rechten Zeit hell auf den Straßen wird, und wiederum, daß am folgenden Morgen pünktlich der ungeheuren Gasverschwendung durch Auslöschen Einhalt gethan wird. Um dieser lichtfreundlichen und unserer Zeit scheinbar unentbehrlichen Classe städtischer Beamten das Lebenslicht auszublasen, sind im letzten Jahrzehnte schier unzählige Versuche gemacht worden, und die immerwährende Weiterverfolgung derselben läßt in der That das Schlimmste für sie befürchten. Aber wenn man von einem Thurme oder sonst einem erhöhten Standpunkte aus die unendlichen Flammenreihen der großen Städte überschaut oder einen Blick wirft in die Unkostenrechnungen, welche die Unterhaltung dieser Schaaren Lucifer’s, des Lichtbringers, verursacht, dann begreift man die Berserkerwuth, mit welcher die moderne Physik und Technik auf den Ruin dieser Männer ausgeht. In London bezahlt man für die Bedienung (Anzünden, Auslöschen und Reinigen) jeder einzelnen Gaslaterne pro Jahr nahezu ein Pfund Sterling, also für 180,000 Laternen ebenso viel tausend Pfund Sterling.

Man begreift darnach, daß schon bald nach dem Bekanntwerden der in den noch immer beliebten Platinfeuerzeugen verwertheten Erfindung Döbereiner’s die Idee auftauchte, in ähnlicher Weise die Selbstentzündung der Gasflammen durch feinzertheiltes Platin zu bewirken. Der bekannte Professor der „höheren Physik“ Döbler begründete auf die Eigenschaft des Platinmohrs, im Leuchtgase zu erglühen, sein effectvolles Zauberstück, die hundert Flammen eines Kronleuchters auf einen Pistolenschuß zu entzünden. Es wurde nämlich auf jeden Brenner eine Papierhülse mit Schießbaumwolle, in der etwas Platinmohr enthalten war, aufgesetzt, und Döbler gab mit seinem Pistolenschuß nur das Signal zum Oeffnen des Haupthahnes, wobei sich sämmtliche Flammen, jede mit einer kleinen Explosion, entzündeten.

Das Zauberstück verdient hier nur als Vorläufer einer wirklich genialen deutschen Erfindung erwähnt zu werden, sofern der Director der Göttinger Sternwarte, W. Klinkerfues, im Jahre 1871 die Idee, zahlreiche Gasströme durch das freiwillige Heißwerden von Platin in demselben zu entzünden, neu aufnahm. Er hatte nämlich die interessante Beobachtung gemacht, daß ein dünner Platindraht, der durch einen Hindurchgehenden galvanischen Strom erhitzt wird, einen Leuchtgasstrom entzündet, lange bevor er selbst zum Glühen kommt. Da zu dieser Erwärmung ein schwächerer galvanischer Strom, wie ihn ein einfaches Element liefert, hinreicht, so versah er jede Laterne mit einem solchen.

Durch eine einfache hydrostatische Vorrichtung hob der des Abends in den Röhren erhöhte Gasdruck gleichzeitig eine Flüssigkeitssperrung in den Brennerröhren auf und setzte das Element in Thätigkeit, sodaß alle Gasflammen der Stadt sich wie mit einem Zauberschlage entzündeten. Mit der Aufhebung des Gasdruckes erlöschen zwar auch alle Flammen durch Zurücktreten der Sperrflüssigkeit zu gleicher Zeit, doch könnte man durch Anbringung verschieden hoher Flüssigkeitssäulen und Anwendung entsprechender Druckverschiedenheiten auch nach Belieben nur einen bestimmten Theil oder alle Flammen entzünden und auslöschen. In der That fungirte der Apparat in Göttingen längere Zeit zur Zufriedenheit (ob noch heute, vermag der Verfasser nicht zu sagen), ohne sich aber in weiteren Kreisen Vertrauen erwerben zu können.

Man ging auf die ältere Idee zurück, die Lampen auf elektrischem Wege durch überspringende Funken von einer Centralstation aus zu entzünden. Hierbei gerieth man aber in die Nothwendigkeit, zu jeder Laterne eine besondere elektrische Leitung zu führen, ein Verfahren, welches wieder mit unverhältnißmäßigen Kosten verknüpft gewesen wäre. In gewissen Fällen jedoch, wo es hauptsächlich darauf ankommt, die Störungen zu vermeiden, welche in innern Räumlichkeiten das Anzünden von Kron- und Wandleuchtern verursacht, z. B. bei den bis in den Abend fortgesetzten Sitzungen gelehrter oder politischer Körperschaften, ist man auf dieses Princip zurückgekommen. In diesem Falle wird zu jeder Flamme eine besondere Leitung geführt, während die Rückleitung allen Flammen gemeinsam ist. Ueber jeder einzelnen Flamme ist die betreffende Leitung unterbrochen, und der Zündfunke springt zwischen zwei Platinspitzen über. Sämmtliche Leitungen gehen nach einem Centralapparate, woselbst jede einzelne Flamme durch einen besonderen Knopf vertreten ist, dessen Andrücken ihren Zündfunken hervorruft.

Nachdem der deutsche Physiker Ruhmkorff in Paris schon früher einen derartigen Apparat für das Amphitheater der Sorbonne in Thätigkeit gesetzt hatte, construirte Gaiffe 1874 eine ähnliche Einrichtung für den Sitzungssaal der französischen Nationalversammlung in Versailles, durch welchen in Zeit von anderthalb Secunden 365 Flammen, wie durch ebenso viele Blitze, entzündet wurden. Früher hatte man die Gasflammen vom Beginne der Sitzung an niedrig brennen lassen und stark unter der dadurch erzeugten Hitze gelitten. Die Unterhaltungskosten der aus vier Elementen und einem Ruhmkorff’schen Inductionsapparat bestehenden Vorrichtung sind beinahe gleich Null, da die Batterie jedesmal nur einen Augenblick thätig ist, und die Einrichtung bewährte sich ausgezeichnet.

Im Weißen Saale des königlichen Schlosses zu Berlin hat man seit etwa Jahresfrist eine ähnliche Veranstaltung getroffen, hier aber, um die 3200 Flammen der prächtigen Krystallkronleuchter und Candelaber mit einem Schlage zu entzünden. Wenn bei hohen Hoffestlichkeiten zunächst theatralische Aufführungen in dem halbdunklen Prachtsaale stattgefunden haben, wobei alles Licht von der Bühne kommt, so ist das helle Lichtmeer, welches sich plötzlich ergießt, von wahrhaft feenhafter Wirkung.

Während in einem so kleinen und gesicherten Bezirke, wie er in diesen Fällen in Betracht kam, die leitende Verbindung mit den einzelnen Flammen leicht herzustellen war, würde es unverhältnißmäßige Schwierigkeiten und Kosten verursachen, wenn man sämmtliche Laternen eines größern Rayons durch besondere Leitungen mit der Centralstation verbinden wollte. Man mußte deshalb darauf sinnen, mit einer einzigen, von Laterne zu Laterne fortlaufenden elektrischen Leitung auszukommen, ein Problem, welches auch von dem Ingenieur Bean glücklich gelöst wurde. Seine Einrichtung ist so fein ersonnen, daß wir sie, obwohl sie nicht auf weiteren Gebieten zur Anwendung gekommen ist, kurz beschreiben wollen, sei es auch nur, um die Schwierigkeiten, die sich hier der elektrischen Zündung entgegenstellen, dadurch anzudeuten. Die ganze Einrichtung zerfällt in eine pneumatische Veranstaltung, die das Oeffnen und Schließen der Hähne bewirkt, und in die elektrische Zündvorrichtung, welche beide von einer Centralstation, deren es in jeder größeren Stadt natürlich eine gewisse Anzahl geben muß, geleitet werden. Eine zusammenhängende bleierne Röhrenleitung endigt bei jeder Laterne in einer kleinen Metallkapsel mit luftdicht schließendem elastischem Deckel, der sich aufbaucht, wenn in dem Röhrensystem Luftverdichtung erzeugt wird, und einbiegt, wenn man die Luft verdünnt. Außen, in der Mitte dieses elastischen Deckels, ist ein Metallhebel angelöthet, welcher den Gashahn bei der Verdichtung öffnet und bei der Verdünnung schließt. Die Bleiröhren dienen gleichzeitig als die eine Leitung für den galvanischen Strom, der sich dadurch von Flamme zu Flamme verbreitet, daß er sich bei jeder einzelnen durch einen automatisch wirkenden elektromagnetischen Apparat von selbst unterbricht, den zur Entzündung dienenden Funken erzeugt, und nun erst durch Umschaltung der Leitung sich selbst seinen Weg bis zur nächsten Laterne öffnet, wo sich das Spiel wiederholt und so fort ohne Aufenthalt bis zur letzten Laterne. Da auf diese Weise der Strom immer nur auf eine einzige Laterne wirkt, so bedarf es nur eines verhältnißmäßig schwachen Stromes, aber die Complicirtheit des ganzen Systems läßt Betriebsstörungen fast unvermeidlich erscheinen.

Viel einfacher erscheint daher eine Idee, die in den Jahren 1873 bis 1874 gleichzeitig von einer Anzahl amerikanischer, englischer und deutscher Ingenieure, wie H. Bennet in London, Leopold Baumeister, Michael Flürscheim und Franz Korwan in Deutschland zur Ausführung gebracht wurde. Sie besteht darin, daß man das Feuer den Tag über gar nicht ausgehen läßt, dasselbe aber nur mit einem minimalen Gasverbrauche speist, der sehr viel geringer ist, als die Kosten der Laternenanzünder. Ueber jedem Ausflußrohr mündet nämlich ein kleines Rohr, durch welches am Tage nur so viel Gas entweicht, um ein ganz kleines Flämmchen zu unterhalten, dessen gesammter Gasverbrauch im Jahre etwa 1 Mark beträgt. Bei dem niedrigen Tagesdrucke verhindert eine einfache Vorrichtung, z. B. eine Quecksilbersperrung, die am Hauptrohre angebracht ist, die Speisung des Hauptbrenners, dieser erlischt, und nur die kleine Tagesflamme bleibt brennend, um Abends, sobald durch erhöhten Druck Gas aus dem Hauptbrenner heraustritt, dieses anzuzünden.

Insbesondere bewährte sich die dieser Idee von Michael Flürscheim in Gaggenau bei Rastatt gegebene Form, und Heidelberg war der erste größere Ort, an welchem (1879) die Erfindung die Feuerprobe durchmachte und zur Anerkennung in weiteren Kreisen kam. Gemeinderath und Gasdirection bezeugten nach monatelanger Erfahrung dem Erfinder, daß die 34 Laternen der Leopoldstraße sich pünktlich und mit einem Schlage des Abends entzündeten, sobald der Gasdruck auf 14 bis 15 Linien gesteigert wurde, und erloschen, sobald er des Morgens auf 8 bis 9 Linien herabgestellt wurde. Die einzigen Störungen, welche vorkamen, wurden auf böswillige Eingriffe seitens der naturgemäß revoltirenden Zunft der in ihrem Erwerbe bedrohten Laternenmänner zurückgeführt. Zur besseren Verwerthung der Erfindung im Auslande trat der deutsche Erfinder seine Patente an das renommirte Haus Wilhelm Esser in London ab, und auch hier bewiesen mehrjährige Erfahrungen, daß die kleine Tagesflamme hinlänglich geschützt ist, um selbst den großen Stürmen, welche London häufiger als manche andere Stadt heimsuchen, zu widerstehen, während der Hauptbrenner bis zur Neuanzündung hermetisch abgeschlossen bleibt. Der Flürscheim-Effer’sche Apparat ist ganz aus Metall gefertigt und nimmt nicht mehr Raum ein, als ein gewöhnlicher Flammenregulator, sodaß er in jeder Laterne auf das Gasrohr aufgeschraubt und vermöge einer einfachen Verschiebung auf jeden Gasdruck eingestellt werden kann.

Es leidet wohl keinen Zweifel, daß diese Erfindung in der immer mehr vervollkommneten Gestalt, welche ihr in den letzten Jahren gegeben worden ist, sich bald einer allgemeineren Anwendung erfreuen wird. In vielen kleineren Städten ist sie bereits eingeführt, aber in den großen, wo derartige Neueinführungen viel Geld kosten und die Herstellung gleichmäßiger Druckverhältnisse in dem weitverzweigten System besondere Schwierigkeiten haben mag, auch wohl die größte Vervollkommnung des Systems abgewartet werden soll, ist man über das Stadium der Versuche noch nicht hinaus. In der deutschen Reichshauptstadt, wie in anderen Großstädten, sieht man die bedrohte Zunft der Verwalter des öffentlichen Lichtes in den Morgen- und Abendstunden nach wie vor mit dem langen prometheischen Stabe emsig von Laterne zu Laterne eilen. Wenn sie die Gefahren ahnen, welche ihnen drohen, mögen sie sich mit dem Gedanken trösten, daß das Laternenputzen ihnen vermuthlich von keiner mechanischen Vorrichtung abgenommen werden wird, sodaß sie auch ferner der Welt im Dienste der allgemeinen Erleuchtung und Aufklärung weiter nützen können.

C. St.



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_434.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)