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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Blätter und Blüthen.

Die Fahrt zur Alm. (Mit Abbildung Seite 433.) Wenn in den Gärten der Niederungen längst der Hollunder blüht und die Bäume im reichsten Schmucke dastehen, wenn draußen auf den Fluren sich schon Blume an Blume drängt und die junge Saat in die Aehren schießt, dann ist’s oben auf den Bergen immer noch winterlich öde. Noch deckt eine harte Schneekruste die Matten und Triften; höchstens auf einzelnen freigewordenen Felsspalten kriecht eine der alpinen Frühblumen hervor: die Laubbäume strecken noch hoffnungsvoll ihre nackten Arme der Sonne entgegen, und nur stellenweise hebt sich das Krautwerk unter den Tannen zum Wachsthum. Nach einer andern Richtung hin äußert sich jedoch das wiedererwachte Leben auf den Höhen in unverkennbarer Weise. Der Waldbach, welcher während des laugen Winterschlafs träge und kaum sichtbar zwischen dem Gestein hingeschlichen ist, hat seine Kraft wieder gefunden; aus tausend Adern strömt ihm das belebende Element zu, rauschend durchzieht er die gewohnte Bahn, eilt durch Schluchten und Höhlen, springt über Felsenabhänge und singt sein berauschendes Lied, daß es weit hinabschallt, bis hinab in die Thäler.

Jetzt schon macht sich der Alpenbewohner auf und wandert zu Berge, um zu sehen, wie der böse Winter mit dem sommerlichen Heim des Menschen gehaust hat. Da liegt ein Zaun von der Wucht der Schneemassen zu Boden gedrückt; der Sturmwind hat da und dort an der kleinen Hütte Schaden gethan; Erdrutsche haben die primitive Wasserleitung verschoben oder verschüttet; Wege sind unfahrbar geworden – es giebt viel zu verbessern, zu richten und herzustellen. Ueber diesen Arbeiten vergeht der schöne Mai und wohl auch ein Stück Juni. Während dessen ist die Sonne nicht unthätig geblieben; ihre steigende Gluth hat den eisigen Panzer von den Halden genommene warme Regengüsse haben die schlafenden Keime erschlossen, und wunderbar schnell grünt und blüht nun Alles dort oben. Um Johanni, zur Zeit der Sonnenwende endlich rüsten sich die Aelpler zur Bergfahrt.

Das Alpenvieh ist lange schon im Stalle ungeduldig geworden; wenn von draußen herein durch den dumpfen Stall die laue, würzige Frühlingsluft streicht, dann heben die Thiere unruhig ihre Köpfe empor und verlangen durch die enge Pforte hinaus, durch welche die luftigen Boten des Sommers sie locken.

Der Tag ist endlich angebrochen, den der Bauer oder Hofbesitzer zur Auffahrt bestimmt hat. Die wenigen Fahrnisse, weiche zur Alpenwirthschaft nöthig sind, befinden sich bereits auf einen Karren verpackt, der, so weit es gehen will, von einem kräftigen Roß gezogen wird; die kleineren Geräthe, Mundvorräthe und Bedürfnisse der Hütteninwohner werden auf „Kraxen“ oder in Rucksäcke verpackt; der Viehbesitzer hält noch eine kleine Zwiesprache mit demjenigen, dem er seine Vierfüßler anvertraut, und empfiehlt ihm Sorgfalt und Achtsamkeit; dann wird gebetet; die Hausfrau giebt wohl noch einen „Weichbrunn“’ mit und empfiehlt das Vieh auch ihrerseits dem kräftigen Schutze St. Leonhards oder Wendelin’s.

Nun beginnt die Toilette; die Glocken und Schellen sind schon bereit, und die schönste und beste Kuh erhält die große Zugschelle; das Jungvieh wird mit kleinem Schellenzeug oder gar nur mit Schlittenrollen behängt; denn es muß sich die höhere Auszeichnung (den Orden erster Classe) erst noch verdienen und zwar nur durch persönliche Leistung. Der Heerdenpatriarch, der grimme Feind der Touristen, der gewaltige Stier allein erhält keine Glocke; dafür befestigt man ihm den Melkstuhl auf seinen kurzen Hörnern.

Nun wird die Stallthür geöffnet und hastig entflieht die vierfüßige Schaar dem dumpfen Winterasyl. Ein Hirte oder Senne geht voran; dann folgt die Rinderheerde in ungestümem Drängen; ihrem Zuge schließen sich noch die vierfüßigen Proletarier des Almenreichs an: der muthwillige Gaisbock und etliche Ziegen, eine kleine Zahl von Schafen und manchmal auch einiges Borstenvieh, das einer erfreulichen Mast mit dem Abfall aus der Käserei entgegensieht. Helles Jauchzen kündet den Nachbarn weit in die Runde den Beginn der Reise, und fröhliches Jodeln tönt als Gegengruß von Feld und Hügel – Alle freuen sich mit den Fortziehenden der anbrechenden schöneren Jahreszeit. Langsam geht der Zug bergan, und jetzt schon beginnt die Thätigkeit der erfahrenen Hirten; denn das Jungvieh ist noch nicht vertraut mit den Fährlichkeiten der Passage; je höher man gestiegen, desto munterer, man möchte sagen glücklicher zeigt sich das Vieh; der natürliche Instinct läßt es die Freiheit, der es entgegenzieht, ahnen. Diesen Moment hat der Zeichner der beigegebenen Illustration glücklich erfaßt. Die Reisegesellschaft befindet sich schon nahe der Alm; ein Theil der Thiere schreitet rüstig vorwärts; andere bleiben zurück, sich an der ungewohnten Umgebung weidend; der Stier hält sich, eingedenk seiner Beschützerrolle, am Schlusse des Zuges, dem in munteren Sprüngen der neugierige, naschhafte Ziegenbock und die Schafe folgen; mehrere Sennen mit dern „Renf“ oder der „Kraxe“ auf dem Rücken schreiten wohlgemuth dahin, und dem Zuge haben sich ferner ein paar Jäger angeschlossen; denn auch sie sind an dem Beginn der Saison hier oben lebhaft interessirt; sie haben die gastlichen Stätten liebgewonnen und gehören sozusagen zur Familie.

Die landschaftlichen Reize, welche diese Scene umrahmen, sprechen deutlich genug aus, was die Natur an majestätischer Schönheit bietet, sodaß man fast etwas wie Sehnsucht im Herzen empfindet und nacheilen möchte in das sommerliche Paradies. Oben angekommen, werden die Thiere, von denen die meisten ihre alten Plätze noch kennen, im Stalle versorgt; die Sennerin packt ihre Habseligkeiten aus, und in der kürzesten Frist ist wieder Alles genau so im Gange, wie dies im Vorsommer der Fall war. Als ob kein monatelanger Winter dazwischen gelegen, steht sie am Herde und schürt das Feuer, um den ersten Imbiß zu bereiten, an dem heute mehrere Gäste theilnehmen; zur offenen Thür hinaus schallt ihr frohes, heiteres Liede dazwischen klingen harmonisch die Glocken im Stalle bald leise, bald stärker; in breiten Wolken dringt der Rauch aus dem Schindeldache, und wie mit einem Zauberschlage ist das volle Leben aus den stillen, einsamen Höhen wieder eingekehrt.

B. Rauchenegger.




Zwei historische Verse – ein Beitrag zur Biographie eines deutschen Patrioten. Der unglückliche Ausgang der Schlachten bei Jena und Auerstädt am 14. October 1806 hatte über das Schicksal unseres Vaterlandes entschieden.

Mit Bangen sah der Deutsche in die Zukunft, aber nicht ohne Muth. Das zeigten Männer, welche Gut und Blut und Freiheit für die heilige Sache des Vaterlandes wagten. Das zeigte das Volk, als es begeistert zum Kampfe sich erhob, zum Kampfe des Rechtes gegen die Willkür.

Mancher Edle mußte verbluten, mußte schimpflich auf dem Richtplatze sterben, weil sein Edelmuth, seine Opferfreudigkeit, sein kühnes Sprechen und Handeln dem Machthaber Napoleon gefährlich dünkten. Andere mußten in’s Ausland fliehen.

Einen solchen Flüchtling finden wir auf seinem Wege nach Lübeck von wo er sich in einen russischen Hafen begeben will, an einem stürmischen Spätherbsttage auf der Landstraße, welche die beiden Städte Mölln und Ratzeburg verbindet und sich über diese hinaus nach entgegengesetzten Seiten gegen Hamburg und Lübeck zieht. Ein heulender Sturm treibt dem Wanderer den feinen durchdringenden Regen in’s Gesicht. Müde und gedankenvoll blickt er vor sich hin und sein Gang verräth Erschöpfung. Wohl während einer Staude mochte er von Mölln aus den Wald durchwandert haben, als dieser sich lichtete. Am Saume lag ein Gut.

Er schritt auf das entfache Wohnhaus zu, um sich ein Obdach zu erbitten. Der Besitzer – einer meiner Voreltern, aus dessen Ueberlieferungen ich diese kleine Geschichte kenne – prüfte den seltsamen Besuch lange; denn seine Menschenkenntniß mochte ihm sagen, daß der, welcher vor ihm stand, Besonderes erlebt habe und von besonderen Umständen geleitet werde. Ueberdies war bei den unruhigen Zeiten Vorsicht geboten. Sei es nun wegen des vertrauenerweckenden Eindrucks, den der später Gast machte, sei es seines würdigen Auftretens wegen – der Landmann nahm ihn auf.

Nachdem der Erschöpfte sich an der ländlichen Abendmahlzeit gestäkt hatte, unterhielten sich die beiden Männer noch lange über die schweren Zeiten in denen man lebte, und immer aufmerksamer horchte der schlichte Wirth den verständigen und ernsten Reden seines Gastes, der indessen über seine Person, woher er komme und wohin er wolle, Schweigen bewahrte und stets bestrebt war, das Gespräch von sich abzulenken. Spät suchte der Fremde sein Lager auf, und auch die Familie des Landmanns ging zur Ruhe, ohne zu wissen, wem sie Obdach gewährte.

Schon früh am andern Morgen war das ganze Haus wach, und Alles versammele sich zur Frühkost. Auch der Fremde erschien und nahm Theil an der Mahlzeit. Dann aber, als schon der Morgen voll hereingebrochen war, rüstete er sich zum Abschiede mit herzlichen Dankesworten gegen seinen freundlichen Wirth und dessen Familie. – Noch lange gedachte man auf dem Gute des unbekannten Mannes, der so einsichtsvoll über die Zeitverhältnisse gesprochen und voll Hoffnung auf bessere Zeiten vertröstet hatte, doch erfuhr man nicht, wer er war, bis der Zufall es verrieth.

Das Zimmer, in welchem der Fremde während seines Aufenthaltes gewohnt hatte, wurde kurze Zeit nach dem erzählten Vorfall gereinigt. Neben anderen Bildern schmückten die Portraits Napoleon’s des Ersten und des Erzherzogs Karl von Oesterreich die Wände desselben, und als sie gesäubert wurden, entdeckte man auf ihren Rückseiten folgende mit Bleistift geschriebene Strophen.

Hinter Napoleon’s Bildniß stand.

„Als Du geboren wardst,
Der größte aller Geister,
Trat Satanas zurück
Und sprach: ,Du bist mein Meister.’“

Hinter dem Bilde Karl’s von Oesterreich aber las man:

„Auf Dir ruht jedes Deutschen Blick.
Gott sei mit Dir und geb’ Dir Glück
Daß Du die Hunde treibst zurück!“

Unter beiden Strophen stand der Namenszug eines allgefeierten Mannes, eines der größten Staatsmänner und Vaterlandsfreunde jener Tage – des Freiherrn von Stein.

In markigen Worten hatte er die Bedeutung der beiden Männer, die an der Spitze zweier Nationen sich feindlich gegenüberstanden charakterisirt.

Diese an sich unbedeutende kleine Mittheilung aus dem Leben eines deutschen Patrioten dürften wir heute, wo ganz Deutschland die fünfzigste Wiederkehr von dessen Todestage (29. Juni) feiert, nicht zur Unzeit gebracht haben.

Die Bilder, auf denen der Freiherr von Stein sich verewigte, werden noch heute in unserer Familie aufbewahrt.

H. W.





„Vom Kreml zur Alhambra“ von Max Nordau (Leipzig, Bernhard Schlicke). Auf die unter diesem Titel erschienenen Culturstunden unseres allbeliebten Mitarbeiters wollen wir nicht versäumen unsere Leser hinzuweisen. Es ist eine Gallerie so ziemlich der gesamten civilisirten Nationen Europas, welcher wir in Nordau’s Sammelwerke, das soeben in zweiter Auflage die Presse verlassen hat, begegnen. Das gegenwärtig durch die St. Petersburger Ereignisse in den Vordergrund des Interesses gerückte Rußland eröffnet den Reigen unter den hier niedergelegten

Völkerstudien; von Rußland führt uns der Verfasser im ersten Bande

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_435.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)