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verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

führt, einen sehr ausführlichen Bericht geliefert. Wir erfahren aus demselben, daß dabei nicht nur auf die verschiedenen Stellungen des Körpers und ihren Wechsel, sondern auch auf die richtige Ausführung der Respiration während dieser Uebungen und Stellungen geachtet würde. Aehnliches finden wir bei anderen Völkern des Alterthums.

Durch die großen Fortschritte des gegenwärtigen ärztlichen Wissens ist die Massage, verbunden mit Gymnastik, aus dem Schutt der Jahrhunderte hervorgegangen, wie der Phönix aus der Asche, und die bedeutendsten Vertreter der Wissenschaft empfehlen jetzt ihre Anwendung gegen die verschiedenartigsten Krankheiten.

In der Anstalt von Metzger in Amsterdam wurden unter Anderem die folgenden Leiden behandelt: Chronischer Rheumatismus, Podagra, Muskelatrophie (eine eigenthümliche Form des Muskelschwunds), Muskellähmungen, Entzündungen der Gelenke, Schleimbeutel und Weichtheile, Nervenleiden verschiedener Art, Hüftweh, Gliedschwamm (am häufigsten am Knie- und Hüftgelenk vorkommend) und Frauenkrankheiten. In Bezug auf die letzteren theilte der schwedische Arzt Nordström aus Stockholm, der jetzt in Paris wohnt, eine große Anzahl von Erfolgen mit, die er vermittelst der Massage bei diesen erzielt hatte. Die wissenschaftliche schwedische Heilgymnastik, verbunden mit Massage, hat sich nach Aussage der Aerzte als vorzügliches Mittel bei chronischen Unterleibsleiden bewährt. Außerdem ist die Anwendung der Gymnastik bei Störungen der Blutcirculation, allgemeiner Nervenschwäche, Schwerathmigkeit, Muskelschwäche etc. empfohlen worden.

Es ist selbstverständlich, daß das vorstehende Verzeichniß der durch die Massirmethode zu heilenden Krankheiten keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann; dasselbe fand hier nur deshalb einen Platz, um damit einen oberflächlichen Einblick zu eröffnen in die ausgedehnte Anwendung, welche das genannte Heilverfahren augenblicklich findet; man muß aber alle Patienten dringend davor warnen, ohne ärztlichen Rath bei Charlatanen, welche Massage ausüben, eine Cur zu versuchen. Dagegen möge hier die Bemerkung noch angereiht werden, daß sich in Deutschland auch Gelegenheit findet, eine derartige Cur durchzumachen. In erster Linie ist hier Professor Esmarch in Kiel zu nennen, der dieses Verfahren in seiner Klinik eingeführt hat. Dann befinden sich noch besondere Anstalten für Massage in Verbindung mit wissenschaftlicher Heilgymnastik in Bremen (Professor Nikander), in Gotha (Augustinsen), in Hamburg (G. A. Unman, früher Docent am königlichen Centralinstitut in Stockholm), in Stuttgart (Dr. med. Roth) etc. Dem Vernehmen nach soll auch in Berlin neuerdings ein Institut für Massage zur Behandlung von Frauenkrankheiten errichtet worden sein.

Aber nicht nur für die Kranken, auch für die Gesunden ist diese Art von Gymnastik unter Umständen ungemein heilsam.

Vor nicht gar langer Zeit hatte ich Gelegenheit eine nach schwedischem Muster eingerichtete Anstalt zu besuchen und war überrascht, dort auch Gesunde anzutreffen, die mit großem Eifer ihre gymnastischen Uebungen ausführten. Als ich einem Manne mit frischer Gesichtsfarbe, kräftigem Körperbau und lebhaftem Wesen mein Erstaunen darüber ausdrückte, ihn in einer Heilanstalt anzutreffen, erzählte er mir, daß er seine kaufmännische Carrière in den Urwäldern Amerikas begonnen habe, und zwar zeitweise unter großer Muskelanstrengung. Er sei selbst genöthigt gewesen, oftmals Holz zu fällen. Später wäre er nach Europa zurückgekehrt, und das unnatürliche Stillleben auf dem Comptoirbocke habe sich für seinen an Arbeit gewöhnten Körper nicht als zuträglich erwiesen. Hierdurch sei er veranlaßt worden, ohne gerade krank gewesen zu sein, das gestörte Gleichgewicht zwischen Geistes- und Muskelarbeit durch tägliche gymnastische Uebungen wieder herzustellen. Der Mann war ganz entzückt über die Wirkung, die er hierdurch erzielt hatte, und konnte nicht genug betonen, wie wichtig es für die Menschen unserer Culturepoche sei, in der Geist und Nerven in übermäßiger Weise angestrengt würden, geregelte Leibesübungen zur Kräftigung der Gesundheit auszuführen. Ich konnte nicht das Gegentheil behaupten; denn es lag eine überzeugende Wahrheit in seinem Ausspruche.

Warum, kann man mit Recht fragen, wird denn von der so sehr beachtenswerthen Einrichtung solcher Institute und überhaupt von der Heilgymnastik im Großen und Ganzen ein so geringer Gebrauch gemacht, zumal die bezüglichen Bewegungen so äußerst einfach und ohne besondere Geschicklichkeit auszuführen sind? Wie viele Tausende von Menschen sind nicht dazu verdammt, tagein tagaus in ihren dumpfen Arbeitszimmern geistig geplagt und körperlich erschlafft in sitzender Stellung zuzubringen! Wie Viele sind nicht unter ihnen, bei denen die Keime eines schlummernden Leidens durch die jedenfalls nicht naturgemäße Beschäftigung ganz allmählich sich zu einem chronischen Uebel entfalten! Würden nicht Manche sich frisch und gesund erhalten können durch zweckmäßige, tägliche Leibesübungen?

Man denke an die oben bezeichnete altherkömmliche Thätigkeit des Ammasans der Japanesen, an das dort ebenfalls angeführte „Shampooing“ der alten Indier, an das nicht unerwähnt gebliebene steinalte System des Kong-Fou bei den Chinesen, an die vielbenutzte, zweckdienliche Gymnastik der alten Griechen und Römer – und man muß zugestehen, daß die Völker des Alterthums, lediglich ihrer Erfahrung folgend, in dieser Beziehung mehr zur Erhaltung der Gesundheit gethan haben, als wir.

Aber zur Heilgymnastik und zu anderen Arten von gesunder Bewegung hat man heutzutage leider wenig Zeit – so lange wenigstens, bis der Körper sich eines schlimmen Tages durch irgend ein störendes Leiden in Erinnerung bringt und dringend um Befreiung von seinen Schmerzen ersucht.

Dann fällt dem Kranken plötzlich ein, daß er einmal etwas über eine neue, aber doch uralte Heilmethode gelesen habe, die sich vielleicht für die Beseitigung seines lästigen Uebels eignen dürfte – über die Massage.

Dr. Julius Erdmann.




George Stephenson, der Vater des Eisenbahnwesens.

Erinnerungen an die Tage des Festes zu Newcastle.

„Allen Gewalten
Zum Trutz sich erhalten,
Nimmer sich beugen,
Kräftig sich zeigen,
Rufet die Arme
Der Götter herbei.“
 Goethe.

Unter niedrigen Dächern in der körper- und geistvernichtenden Atmosphäre des Mangels und Elends, fern von den Quellen des Wahren und Schönen werden oft Diejenigen geboren, die in den Annalen der Geschichte als die Erlöser, Wohlthäter und Richter des Menschengeschlechtes verzeichnet stehen. Und ihre Zahl würde noch größer sein, wenn so Manchem, der mit voller Entfaltung seiner Kräfte nach einem schönen Ideal ringt, der schwere Kampf um das Dasein, um die kärgliche Muße erspart bliebe, wenn so manchem ermüdeten Schwimmer eine Hand gereicht würde, ehe ihn die Fluthen des Lebens überwältigen und niederziehen. Erhebend ist das Schauspiel eines Menschenlebens, das, in den Tiefen der Gesellschaft aufleuchtend, auf ihren Höhen verlöscht, nachdem es nicht nur flammendes Licht über die Mitwelt ausgestrahlt, sondern auch durch die makellose Kraft eines männlichen Charakters eine wohlthätige Wärme in die Gemüther gegossen hat.

Das Alles gilt in vollstem Maße von George Stephenson (vergl. „Gartenlaube“ 1863, Nr. 27), der am 9. Juni 1781 zu Wylam in Northumberland als der Sohn eines armen Maschinenheizers geboren wurde. Er ist ein Mann, dessen Lebensgeschichte mehr als die manches Helden und Staatsmannes von der Jugend gekannt zu werden verdient; denn abgesehen davon, daß der Charakter Stephenson’s in seiner makellosen Reinheit jedes unverdorbene Gemüth anzieht, steht er uns Modernen in vieler Beziehung näher, als die Helden des Schlachtfeldes und der Diplomatie; sind seine Tugenden doch Tugenden für das tägliche Leben; denn täglich brauchen wir sie: sowohl in der Stunde der Ermattung, wie in derjenigen der Versuchung und Ungerechtigkeit gegen uns selbst und unsere Nächsten.

An Stephenson’s Vaterhause führte ein Schienenstrang vorüber, auf dem die Arbeiter die Kohlen aus der Grube förderten. Dies

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1881, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_446.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)