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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

definitiv zurück, das sage ich Dir; ich gab mir gestern Mühe genug, ihn auf andere Gedanken zu bringen.“

„Mag er!“ sagte achselzuckend Leontine. „Er ist mir total gleichgültig; man kann doch nicht heirathen ohne – –“

„Darüber warst Du vor acht Tagen anderer Ansicht und wirst es wieder sein, wenn die Tollheit verflogen ist, die Dir jetzt den Kopf einnimmt. Nur ist dann die Gelegenheit auch vorüber und zwar auf immer. Komme zu Dir, Leontine – ich bitte Dich. Was soll es denn werden mit diesem jungen Künstler ohne Namen und Verdienst?“

„Und wenn ich nun dächte, ihn zu heirathen – Vater?“

„Heirathen?! … ah!“ kam dieser nach einer momentanen Sprachlosigkeit wieder zu Worte, „Du! … diesen jungen Menschen, der höchstens eben so alt ist, wie Du! … Aber mit wem rede ich denn – mit Leontine von Willek , der bisher keine Partie groß und glänzend genug war, oder mit einem sentimentalen Bürgermädchen – nein, sogar die wissen heutzutage etwas Gescheidteres zu thun, als arme Künstler zu heiraten.“

Der Baron war. nahe daran, zornig zu werden, doch ging dies gegen seine Grundsätze, er faßte sich also wieder, schritt ein paar Mal aus und ab und fuhr dann in ruhigerem Tolle fort:

„Kind, Kind, Dir ist Venedig zu Kopfe gestiegen; ich kenne das, man fühlt plötzlich den Abstand zu seinem nackten modernen Leben und sehnt sich nach einer poetischen Existenz. Ich gebe Dir auch zu, daß ein Dasein voll Glanz und Sorglosigkeit mit einem Gatten wie dieser Erich Björnson beneidenswert sein könnte, aber leider fügen sich die Dinge uns dieser Erde nicht so – und ein Leben in Sorge und Mangel ist abscheulich, an wessen Seite man es auch führt.“

„Es müßte ja nicht Mangel sein,“ beharrte Leontine. „Björnson wird in kurzer Zeit seinen Weg machen; ich habe viele Künstlerfrauen gesehen, die ein reizendes Leben führten.“

„In Renaissancezimmern für zehntausend Gulden mit Marmorkaminen – Frau P. und Frau von W., nichtwahr? Die eine reich von Hause aus, die andere Frau eines Glückspilzes, der seinen Pinsel dem Geschmack der Gründer anzubequemen versteht. Wird das Erich Björnson, kann er es, was meinst Du?“

Leontine schwieg. Die beiden Köpfe dachten ein paar Augenblicke dieselben Gedanken. Dann sagte sie plötzlich:

„Woher kommt es den, daß ich seit gestern, wo mir diese Idee zum ersten Mal ernstlich kam, wie in ein neues Leben hineinsehe? Wenn wir nun bisher nur im Irrthum gelebt hätten, Papa? Es kommt mir auf einmal vor, als wüßten wir gar nicht, wo der Kern des Lebens eigentlich liegt, und gäben uns jahraus jahrein die größte Mühe – um taube Schalen.“

Baron Willek wies sarkastisch lächelnd auf das luxuriöse Frühstücksgeräth:

„Sie sind doch ganz hübsch versilbert, diese Schalen, und für die jenseitigen Kerne muß man besondere Zähne haben. Dein Herr Björnson hat sie, wie jeder Parvenü, Du aber hast sie nicht und würdest das bei ruhigem Blute auch sehr wohl einsehen.“

„Das käme auf die Probe an,“ erwiderte sie hartnäckig.

„Nein,“ sagte ihr Vater scharf und bestimmt, „die Probe wird nicht gemacht – das sage ich Dir. Ich sehe nun ein Leben lang dem Spiele zu; am Ende lernt man die Regeln. Factische Verhältnisse und vorübergehende Empfindungen mit einander vermengen, das heißt die Partie ruiniren, wie es alle unbedeutenden Köpfe täglich thun. Hinterher jammern sie dann über das Schicksal. – Jeder Mensch sieht ein Ziel vor Augen, nach dem er streben muß. Für Dich heißt das Losungswort Reichtum. Vergiß es keinen Augenblick! Nur unter dieser Bedingung kannst Du für alle Zeit bleiben, wie Du heute bist.“

„Ich kann auch als Künstlerin meinen Weg machen.“

Baron Willek zuckte ungeduldig die Achseln.

„Wir sind unter uns, ich denke, wir lassen die Redensarten bei Seite. Bist Du eine Künstlernatur? Kannst Du mir im Ernste von diesem faute de mieux sprechen? Ich möchte Dich wohl sehen, in zehn Jahren, hinter der Staffelei. Ja, ja, es klingt Alles sehr prosaisch, was ich sage, aber Du selbst weißt am besten, wie sehr. ich recht habe. Du bist zu klug, um nicht einzusehen, daß ich die Wahrheit rede.“

Sie antwortete nicht; sie dachte an Erich’s Worte von gestern, an seine überzeugte Sicherheit von dem idealen Inhalte des Lebens. Auch er wollte die Wahrheit haben; wer hatte sie denn nun wirklich?

In ihre zweifelnden Gedanken hinein tönte wieder die gedämpfte, gleichmütige Stimme.

„Ich lege Dir einfach die Verhältnisse vor, urtheile selbst! Meine Finanzen haben durch die Börsenkrisis einen solchen Stoß erhalten, daß ich vom nächsten Herbste an energisch reduciren muß. Reich waren wir nie, wie Du weißt; ich habe Deiner Ausbildung manches Opfer gebracht, aber fernerhin kann ich es nicht mehr; es handelt sich jetzt um die Existenz. Von einer Wintersaison in unseren gewohnten Kreisen in Wien kann keine Rede mehr sein; wir müssen eine Mittelstadt wählen und dort sehr zurückgezogen leben, um auszukommen. Male Dir das Alles aus! Die widerwärtige Beschränkung, welche nur untergeordnete Menschen als dauernden Zustand ertragen – streiche Alles, was Du Luxus nennen mußt, aus Deinem Leben, nimm dazu, daß ja auch die mögliche künftige Verbindung mit diesem jungen Manne vielleicht nichts mehr als eine Seifenblase ist – ich halte sie sogar entschieden dafür. Die Jahre, die er sicher noch braucht, um sich empor zu arbeiten, sind Deine letzten Jugendjahre ... muß ich es Dir noch ausmalen, was dann Deine Situation ist, wenn Ihr Euch nach Jahren wieder seht, Du älter geworden und er von tausend neuen Eindrücken bewegt ...?“

„Das kannst Du Dir erspare,“ fuhr Leontine empört auf, „ich würde mich nie aus Gnade heiraten lassen.“

Sie wandte dem Vater den Rücken zu und sah mit zusammengepreßten Lippen über die Balconbrüstung hinaus.

„Ich nehme das auch nicht an,“ erwiderte Jener sehr gelassen, „aber Du wirst mir zugeben, daß Dein Leben dann vollständig ruiniert wäre. Und um was? Um das Vergnügen – einmal in Venedig fünf Tage lang sehr verliebt gewesen zu sein.“

Seines Effectes sicher, ließ sich Baron Willek am Tisch nieder und begann ziemlich umständlich sich ein Glas Sodawasser Zurecht zu machen.

Leontine stand unbeweglich abgekehrt. Die Arme hatte sie über der Brust verschränkt, und ihre Augen starrten hinüber auf die lachende Morgenherrlichkeit da draußen in der Welt. Dort glänzte Maria della Salute rötlich in den Strahlen der Morgensonne aus feinblauem Duft heraus; die Gondeln glitten so sanft über den Wasserspiegel – was ging das Alles sie noch an? Gestern, ja gestern, da hatte sie mit ihm hier gestanden, und die ganze Schönheit der Welt schien sein persönliches Eigenthum zu sein; eine Spur seines Wesens war an Allem haften geblieben. Heute stand sie wieder als Fremde davor; der kurze Enthusiasmus eines Tages welkte unter der kalten Hand, die sich darauf legte; einer jener plötzlichen Stimmungswechsel, die entscheidender in das Menschenleben eingreifen, als äußere Ereignisse, schloß die Pforte zu, durch welche ihre Seele sich halt der Freiheit zuwenden wollen. Es war ihr nüchtern, kalt und schlimm zu Muthe.

Der Baron stand auf und sagte, als erriete er ihre Gedanken, indem er ihr sanft die Hand aus den Arm legte:

„Ich bin kein bornirter Komödienvater, liebe Leontine, welcher poltert: Die Liebe ist nichts als eine Illusion. Im Gegentheil, ich sage Dir: Liebe ist etwas, ist sehr viel sogar, für kurze Zeit die zauberhafteste Verklärung des gewöhnlichen Lebens, und wenn man sie haben kann ohne Skandal und ohne seine Verhältnisse zu brouilliren, soll man beide Hände darnach ausstrecke. Das ist Euch Frauen freilich nur sehr selten möglich – wir haben es darin besser. Für die Einen wie die Andern aber gilt als unumstößliche Gewißheit: sie geht vorbei, und die guten oder elenden Verhältnisse bleiben zurück. Man befindet sich auf die Dauer nur in dem wohl, was der eigenen Persönlichkeit entspricht. Die Deinige verlangt, mehr als hundert andere, ein Leben im großen Stil, und wo wirst Du zum zweite Male das finden, was Dir hier geboten wird?“

„An der Seite eines solchen Mannes!“ warf das Fräulein mit bitterer Geringschätzung ein.

„Erlaube mir, mein Kind;“ entgegnete der Baron sehr lebhaft, „Du befindest Dich hier in einem großen Irrthum. Der Mann ist durchaus salonfähig, aus keiner schlechten Familie, ein sehr tüchtiger. Charakter. und in seinem Fache eine Autorität. Du kannst sicher sein, um diese Partie beneidet zu werden; vor sehr großen Verhältnissen haben alle Menschen Hochachtung, und wenn die Herren Idealisten sie verachten, so ist es nur, weil sie als arme Teufel gar keine Ahnung von dem Machtgefühl haben, das der Besitz verleiht. Geld ist nicht Glück, aber das beste Surrogat

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_454.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)