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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

wieder. Was alles gegen ihn stand, wußte er, aber auch, daß er Gewalt über sie besaß, und daß er siegen wollte und siegen mußte. Aber wie heute in ihre Nähe kommen?! Es war gestern keine bestimmte Verabredung getroffen worden; erst jetzt fiel ihm ein, daß der Baron eine darauf bezügliche Frage von ihm ausweichend beantwortet hatte.

Hinfahren in’s Hotel?! Nein, unter solchen Umständen nicht! Aber sehen und sprechen mußte er sie um jeden Preis. Ein Zusammensein mit ihr allein … seine Gedanken arbeiteten heftig; er plante Möglichkeiten und verwarf sie wieder; plötzlich blieb er willen im Zimmer stehen und sagte laut: „Antonio!“

„Johann Casimir,“ corrigirte eine wohlbekannte Stimme hinter der großen Staffelei hervor, „der malerische Name Antonio hat mit meiner geringen Person nichts zu schaffen.“

„Bartels!“ rief Erich unmuthig, „was zum Teufel treibst Du da?“

Der dicke Bildhauer legte die ergriffene Kohle wieder vor die große Leinwand hin.

„Ich war im Begriff, mich Dir schriftlich bemerkbar zu machen, mein Theurer, weil das Anreden nichts hilft. Bist Du wieder soweit bei Besinnung, ja? Schön, dann wollen wir überlegen, wo wir heut zu Mittag essen werden – dies dürfte in diesem Augenblick in Venedig ein ebenso schwieriges wie zeitraubendes Unternehmen sein.“

„Ich hatte ohnedies vor, zu gehen,“ sagte Erich zerstreut; dann blieb er wieder in völliger Gedankenlosigkeit vor der Staffelei stehen und drehte die Kohle zwischen den Fingern.

Kopfschüttelnd sah ihn der Alte an; kopfschüttelnd suchte er dann durch das ganze Atelier Erich’s Hut, bis er den achtlos in einen Winkel geworfenen endlich ausfindig machte, und brummte vor sich hin, während er ihm einige freundschaftliche Hiebe mit dem Taschentuch versetzte:

„Da sollen doch gleich drei Millionen siedende Donnerwetter drein schlagen – der Junge ist ja rein wie ausgewechselt. Das ist nicht mehr in der Natur; so stellt man sich aus bloßer Verliebtheit nicht an – der hat Heirathsgedanken und weiß nicht, wo aus und ein. Natürlich! Es braucht Einem auf dieser Welt nur einmal vierzehn Tage erträglich zu gehen, so sieht man sich geschwind um, wie man sein Schicksal am besten verpfuschen kann – damit man doch ja nichts vor seinen Nebenmenschen voraus hat. Und allemal in solche blasse Meerweiber mit kalten Nixenaugen muß sich der richtige Künstler verlieben – das ist schon so herkömmlich von Alters. Nun, ich wünsche ihm einen gesegneten Korb und bald, recht bald, damit er gründlich von den vornehmen Passionen geheilt wird. Könnte ich nur etwas dazu beitragen, ich thäte es mit dem größten Vergnügen.“

Mit diesen liebevollen Empfindungen überreichte er dem „verwünschten Jungen“ seinen Hut, und Beide verließen das Atelier als nahe Freunde, von denen Keiner im Geringsten weiß, was der Andere denkt.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Der Nachlaß eines Junggesellen. (Illustration S. 448 und 449.) Unser Künstler führt uns in eine ziemlich bunt zusammengewürfelte Gesellschaft, die offenbar zum größten Theil den mittleren und unteren Ständen angehört, wie wir sie in Auctionen vorzugsweise vertreten finden. Es ist einerlei, oh wir uns in den verehrten Anwesenden die Erben des seligen Junggesellen vorstellen oder die landesüblichen Auctionsbesucher, welche diesmal eine ganz besonders berechtigte Neugierde, vielleicht auch eine erhöhete Kauflust hier zusammengetrieben hat.

Nur eine einzige Gruppe, scheint es, ist von einem andern Gefühl als dem der Neugierde oder der Kunst beseelt; in ihr bildet augenscheinlich der Erblasser den Gegenstand der Unterhaltung: wir meinen die Gruppe linker Hand; denn dort, wo die alte Haushälterin des Dahingeschiedenen den zwei jüngeren Damen ihr bekümmertes Herz ausschüttet, sehen wir die einzigen Gesichter, aus welchen eine sehr leise Spur von Theilnahme sich bemerklich macht. Die Damen sind wohl zwei Schwestern; die eine blickt voll Gläubigkeit zur Erzählerin auf, während unter den Brauen der anderen doch der Zweifel hervorlauert, indeß ihre Linke den wahrscheinlich ebenfalls nachgelassenen Pudel vertraulich hinterm Ohre krabbelt.

Als die zur Leitung der Erbtheilung oder Besorgung der Auction berufenen Personen erscheinen der alte Herr am Tisch vor seinem Schreibmaterial und der dienende Mann, der, auf dem Stuhle stehend, soeben ein Ding wie einen stark mitgenommenen Schlafrock zur Schau ausbietet, ohne jedoch mehr als etwa drei oder vier Augenpaare auf sich zu lenken. Dagegen gebührt der Gruppe am Tische des alten Schreibers unsere besondere Aufmerksamkeit; denn hier ist dem Künstler ein Cabinetsstückchen von Darstellung prüfender Neugierde gelungen. Wahrscheinlich ist’s ein Schmuckgegenstand, ein Juwel, das als etwas Geheimnisvolles so grossen Untersuchungseifer anregt und mit der Loupe geschäftseifrigst betrachtet wird. Diese Gruppe bildet den Mittelgrund des Bildes. Die übrige Gesellschaft bedarf keines Commentars. Werfen wir daher lieber auf die todten Gegenstände des Gemäldes, auf den Nachlaß, einen Blick! Wir erkennen sofort, daß in diesen Räumen ein Mann gehaust hat, der als Naturforscher und Reisender gelebt hat und schwerlich an langer Weile gestorben ist. Hier spricht jeder einzelne Gegenstand, am deutlichsten der vielgewanderte Reisekoffer rechter Hand, der zugleich die Zeugen der gemächlichen Stunden daheim trägt: die Studirlampe, die Thee- und Kaffeemaschine, das Bierseidel und die sich an ihm anlehnenden Tabakspfeifen. Der hohe Haufen von Matratzen, Decken und Teppichen verräth uns ebenso wie die Spiegel und die Bilder, daß der Besitzer in nichts weniger als in Armuth lebte, und die orientalischen Waffen, die Gefäße, die ebenfalls von weither zu sein scheinen, beweisen, daß der Mann die Welt gesehen. Und was nun so wild durch einander am Boden liegt, die Bücher und die Gläser mit allerlei Gethier und die ausgestopften Vögel nebst dem stattlichen Globus – wie war wohl dies Alles einst dem Einsamen an das Herz gewachsen, und – da Junggesellen meistens Menschen von peinlichster Ordnungsliebe zu sein pflegen – wie hat gewiß jedes Stück einst seinen bestimmten Platz gehabt, die Bücherbretter und Simse gefüllt, die Möbeln und die Wände geziert! Im Grabe drehte er sich um, sähe er jetzt das abscheuliche Durcheinander seiner sonst so ängstlich gepflegten Herrlichkeiten.

So ergeht es den Hagestolzen nach ihrem Ende. Hätte der Mann Weib und Kinder hinterlassen, so lebten Trauernde, die seinen Nachlaß ehrten und die auch sein Grab mit Blumen schmückten, noch lange, lange. Das hast du nun davon, du alter Junggeselle: weil du für dich allein gelebt hast, so bist du nun auch für dich allein gestorben.




Heißes Eis. Man erzählt von einem russischen Baron von Münchhausen, daß er fabelhafte Dinge zu berichten wußte, wenn man ihn auf den harten Winter von Anno so und soviel brachte. Da hatte man nämlich in Moskau mächtige Kanonen aus Eis gegossen und schoß mit glühenden Stückkugeln aus Eis daraus, und in einem ganz aus Eisquadern ausgebauten Hause stand ein eisener (nicht eiserner) Kachelofen, der nicht schmolz, obgleich man ihn bis zur dunklen Rothgluth heizte. So kalt war es damals. An diese Geschichte wird man unwillkürlich erinnert, wenn man erfährt, daß der englische Physiker Thomas Carnelley vor Kurzem Eis auf 100, ja auf 180 Grad erhitzt hat, ohne daß es geschmolzen ist; es verdampfte nur sichtbarlich und schwand, ohne zu schmelzen, dahin. Wie der geneigte Leser weiß, beziehen sich die bekannten Siedepunkte des Wassers (100 Grad), des Alkohols (78 Grad), des Aethers (40 Grad) und der anderen Flüssigkeiten immer auf den mittleren Luftdruck von 760 Millimeter Quecksilbersäule, und auf hohen Bergen kochen Wasser und alle Flüssigkeiten um mehrere Grade früher, ja in stark luftverdünnten Behältern genügt schon die Handwärme, um das Wasser zum lebhaftesten Kochen zu bringen. Aehnlich wie mit dem Sieden verhält ’es sich nun aber auch mit dem Schmelzen der Körper, und manche Stoffe, wie z. B. Arsenmetall, kann man überhaupt nur bei verstärktem Luftdruck schmelzen, weil sie bei gewöhnlichem Luftdruck sich in der Hitze verflüchtigen, ohne zu schmelzen. Aus hiermit in Verbindung stehenden Betrachtungen schloß nun Carnelley, daß, wenn man Eis in einem Raum erhitzte, dessen Druck stets unterhalb der Spannung des Wasserdampfs bei 0 Grad, das heißt unterhalb 4,6 Millimeter Quecksilberdruck erhalten würde, das Eis bei Temperaturen, die den Schmelzpunkt weit übersteigen, nur verdampfen, nicht aber schmelzen würde. Er hat diesen Versuch auch mit bestem Erfolge in einem Apparate ausgeführt, dessen Eigentümlichkeit darin besteht, daß die Wassrdämpfe, die sich von dem in dem Apparate befindlichen Eise entwickeln, beständig in einem mit einer energischen Kältemischung umgebenen Recipienten verdichtet und so aus dem luftverdünnten Raume beständig entfernt werden. Der Versuch bewies seine Voraussetzungen; denn obgleich eine Anzahl voll Gasflammen auf die weite Glasröhre, welche das Eis umschloß, gerichtet wurden, und obwohl ein darin befindliches Thermometer auf 120, ja 180 Grad stieg, schmolz das Eis nicht, sondern verdampfte nur langsam.




Unser heutiges Hirschbild (S. 453) ist die letzte „Gartenlauben“-Gabe Heinrich Leutemann’s, des langjährigen und allbeliebten Mitarbeiters der „Gartenlaube“, der fast seit ihrer Begründung treu in den Reihen der Unsrigen steht und in dieser langen Zeit rüstig und unermüdlich unseren Lesern seine oft lebhaft bewegten, oft ruhig-schönen, immer aber interessanten und lebenswahren Thierbilder in bunter Reihe vorgeführt hat. In Folge eines schweren und unheilbaren Augenleidens vor mehr als Jahresfrist leider gezwungen, seiner Kunst dauernd zu entsagen, nimmt Heinrich Leutemann mit diesem bereits vor vier Jahren gezeichneten Hirschbilde von den Lesern Abschied. Mit dem wackeren Künstler scheidet aus den Reihen unserer Zeichner eine langbewährte und um die „Gartenlaube“ mannigfach verdiente Kraft, der unser fortdauernder Dank gesichert bleibt.

Das Leutemann’sche Bild ist ein Stimmungsbild und bedarf als solches wohl kaum eines erläuternden Textes; spricht es doch genügend für sich selbst: Abend im Walde, Stille ringsum – der König des Forstes, das stolze, geweihgekrönte Haupt erhoben, durchschreitet mit weit geöffneten Nüstern spähend das Revier; aus den Schatten des Waldes tritt er hinaus auf das abendlich ruhige Feld, mit klugen Augen forschend, ob der Weg offen, ob Gefahr im Anzuge – das etwa ist der Moment, den der Künstler uns mit so vielem Geschick vor’s Auge stellt.




Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_456.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)