Seite:Die Gartenlaube (1881) 462.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

seinen bisher westlichen Lauf mit scharfer Biegung gen Norden. Langsam und breiter sich ausdehnend, strömt er aus den Bergen hinaus in’s Flachland: aus dem poetischen, heiteren Jugendtraum in die verstandesnüchterne Periode des Mannesalters – ein Bild des Menschenlebens.

Solcher Art ist der Weg unseres Rheines durch das schöne Schweizerland, ein Weg, den der große Fremdenstrom nur an wenigen Punkten kreuzt oder berührt. Selbst dort, wo der wilde Alpensohn, zu scheinbarer Reise gediehen, den Reisenden im bequemen Dampfer auf seinem Rücken dahin trägt, wird er verhältnißmäßig nur wenig aufgesucht. Dort aber wollen wir ihn heute betrachten.

Entweder auf dem von den ernsten Tannenbergen des Schwarzwaldes herabsteigenden Schienenwege oder im schnellen Dampfboote die heitere, blaublitzende Fläche des Schwabenmeeres kreuzend, nähern wir uns der altehrwürdigen Bischofsstadt Constanz, die mit ihrem hochragenden Dome stolz über die weiten Gewässer schaut. Wie stattlich sie sich auch heutigen Tages noch darstellt, wie herrlich auch ihre Lage ist, so wurzelt doch das Interesse, welches sie dem Wanderer einflößt, fast ausschließlich in der Vergangenheit.

Wer sich die Geschichte der Stadt in ihren bedeutsamsten Momenten vor Augen geführt sehen will, der richte seine ersten Schritte nach dem hart am Seegestade sich erhebenden Kaufhause, einem massiven düsteren Bau des vierzehnten Jahrhunderts, in dem das berühmteste Concil auf deutschem Boden seine Sitzungen abhielt. Der große, wohlerhaltene Conciliumssaal ist neuerdings durch die Maler Pecht und Schwörer mit interessanten Fresken ausgeschmückt, die uns in chronologischer Folge die wechselnden Geschicke der alten, einst so mächtigen Stadt zeigen. In den Straßen der Stadt begrüßt uns noch manch stattliches Giebelhaus aus früheren Jahrhunderten, vor allen aber fesselt uns das unscheinbare Gebäude, in welchem einst Kaiser Sigismund den Burggrafen Friedrich von Nürnberg mit der Mark Brandenburg belehnte. Jener 18. April des Jahres 1417 war wohl der wichtigste und folgenschwerste Tag in der Geschichte des Hohenzollernhauses, ein Tag, ohne welchen es jetzt vielleicht kein neues deutsches Reich gäbe. Weiter schreitend, gelangen wir zu dem stattlichen Dom, dessen ursprüngliche, dem zehnten Jahrhundert entstammende Anlage im Laufe der Zeiten vielfach durchgreifenden Veränderungen unterworfen wurde. Heute prangt er im Innern mit plastischem und malerischem Schmuck aus der gothischen Periode. Ihn schmückte Wessenberg's Andenken. (Vergl. „Gartenlaube“ 1863, Nr. 3.)

Man trennt sich schwer von der alten, interessanten Stadt. Aber das Dampfboot, das an den breiten Quadern des Hafendamms landet, pfeift bereits zum letzten Male. Vom Sonnenglanz übergossen, dehnt sich der Bodensee unabsehbar vor unseren Blicken; jenseits schimmert, in blauem Duft verloren, die lange Kette der Vorarlberger und Appenzeller Alpen, aus deren Mitte die kühne Gestalt des Säntis gewaltig hervorragt. Sehnsuchtsvolle Gedanken schweifen hinüber nach jenen Schluchten oder auch nach dem reizenden, in stiller Seebucht sich sonnenden Eilande Mainau, dem Buen-Retiro des Großherzogs von Baden, in dessen wellenumrauschten Blüthengärten Kaiser Wilhelm oft und gern verweilt.

Unser Dampfer jedoch verfolgt andere Ziele. Langsam rauscht er aus dem Hafen, vorbei an dem kleinen weißen Leuchtturme, vorbei auch an den grauen Mauern des alten Dominikanerklosters, in dessen Kreuzgängen sich jetzt eine bunte internationale Menschenmenge tummelt; denn das ehrwürdige, von reizenden Anlagen und Terrassen umgebene Stift ist zum eleganten Hotel umgewandelt. Dann eine scharfe Wendung nach links, und unter einer stattlichen mit steinernen Standbildern geschmückten Brücke hindurch gelangen wir in ein engeres Fahrwasser, in den dem weiten See in prächtigen Wogen entströmenden Rhein. Die Ufer des Flusses sind hier flach und sumpfig; noch lange begrenzt Constanz mit seinen schlanken Thürmen den Blick; dahinter liegt als schmaler Silberstreifen der Bodensee. Bald erscheint zur Linken ein altertümliches Castell mit massigen Thürmen, Es ist Schloß Gottlieben, Anno 1250 vom Constanzer Bischof Eberhard von Waldburg erbaut und jetzt dem gräflichen Geschlechte von Beroldingen gehörig. Die düstere, altersgraue Wasserveste hat durch Huß, der lange in ihrem Banne gefangen saß, eine traurige Berühmtheit erlangt; gleichzeitig mit ihm ward auch der lasterhafte Papst Johann der Dreiundzwanzigste hier in Gewahrsam gehalten, und dreißig Jahre später mußte Felix Hämmerlin, der unglückliche Züricher Chorherr, seine kühnen Strafpredigten gegen die Sittenlosigkeit des Clerus mit langer peinvoller Einkerkerung in Gottliebens Mauern büßen.

Kurz nachdem der Rhein an dieser so traurige Erinnerungen weckenden Veste vorbei geströmt ist, erweitert er sich zu einem stattlichen Wasserbecken. Das ist der krystallklare Untersee, der seine Wellen bis zu den fernen Hegauer Bergen schickt. Lactus venetus heißt er in den Chroniken des Mittelalters, und in seinen blauen Fluten findet sich ein seltener Fischreichthum, Gegenstand eines ausgebreiteten Handels. Hauptartikel desselben ist der Gangfisch, wie der Blaufelchen, einer der schmackhaftesten Fische des Sees, in seiner unerwachsenen Jugend genannt wird. Marinirt und geräuchert werden die „Gangfischli“, im Geschmacke eine Art Mittelding zwischen Bückling und Sardelle, in Tönnchen verpackt und weithin versendet. Früher wurden sie wohl noch in größerer Menge gefangen, als heutzutage; denn wie in der schwäbischen Chronik des Martin Crusius (Ende des sechszehnten Jahrhunderts) zu lesen ist, gewann man damals mit einem Zuge oft an 40,000 Stück der kleinen Fische, welche der Chronist folgendermaßen beschreibt „Sie sehen weiß aus, sind etwas kleiner denn die Häringe und lassen sich wohl essen, wenn sie eingesalzen und gedörrt sind.“

Der Untersee gewährt einen höchst anmuthigen Anblick. Seine Ufer erheben sich zu sanften Hügeln, die mit Reben bepflanzt und oft von malerische Schlössern gekrönt sind. Unten am Strande aber schimmern aus Fruchtbaumwäldern freundliche Fischerdörfchen hervor. Was Gustav Schwab vom Bodensee singt, das gilt auch von dessen kleinerem Nachbar:

„Der Hauch des Herrn treibt deine Boote;
Dein Netz soll voll von Fischen sein:
Dein Volk nährt sich vom eig’nen Brode
Und trinkt den selbstgezog’nen Wein.“

Das nördliche Ufer des Unterstes ist badisch, das südliche aber gehört zum Canton Thurgau. Hier landet das Dampfboot zuerst in Ermatingen, einem idyllischen Fischerdorfe, das von einem Kranze herrlich gelegener Villen und Schlösser umgeben ist. Von hohem Hügel winkt das stattliche, zinnengeschmückte Schloß Salenstein herab, und von einer tieferen Terrasse desselben Hügels das weißschimmernde Arenenberg, das vor allen Schlössern der Umgegend unser Interesse fesselt; denn seine Besitzerin ist jene merkwürdige Frau, die aus dem Dunkel eines verarmten spanischen Grandenhauses auf den damals glänzendsten Thron der Welt gehoben ward, bis sie ein hartes, aber selbst heraufbeschworenes Geschick abermals in die Vergessenheit hinabriß. In der Geschichte der Napoleoniden spielt Schloß Arenenberg eine wichtige Rolle. Hier verlebte die Exkönigin Hortense als Herzogin von St. Leu manches Jahr; hier wuchs ihr Sohn, der nachmalige Kaiser Napoleon der Dritte, auf; hier versammelte sich eine Zeitlang Alles, was mit Anhänglichkeit und Treue an dem gestürzten Herrscherhaus hing. Die ganze Gegend konnte damals eine bonapartistische Colonie genannt werben. Das nahe Schloß Eugensberg bewohnte Hortensens Bruder, der Herzog von Leuchtenberg, und auch Stephanie Beauharnais, die Großherzogin von Baden, weilte oft in der Nähe ihrer Verwandten aus einer kleinen ihr zugehörigen Besitzung. Nach dem im Jahre 1837 erfolgten Tode der Königin Hortense änderten sich die Verhältnisse. Ihr Sohn, der damals zur Verwirklichung seiner hochstiegenden Pläne flüssiger Geldmittel bedurfte, veräußert das Schlößchen, kauft es aber als Kaiser der Franzosen zurück, um es seiner Gemahlin zum Geschenk zu machen. Letztere hat hier, namentlich als Wittwe, wiederholt die Sommermonate verbracht. Und einen reizenderen Sommersitz kann sich auch die kühnste Phantasie nicht ausmalen. Der prächtige Park mit seinen herrlichen Baumgruppen, schattigen Laubgängen und plätschernden Fontainen steigt bis zu den klaren grünen Fluthen des Sees hinab; überall, namentlich von der obersten Terrasse, bieten sich herrliche Fernsichten über den schimmernden Wasserspiegel die langgestreckte Insel Reichenau und darüber hinweg, weit in’s deutsche Land hinein bis zu des Schwarzwaldes bläulichen Felsenhöhen. Vor einigen Jahren erging das Gerücht, der Arenenberger Park, ja das Schloß selbst, seien durch einen Erdrutsch gefährdet; man fürchtete schon, die ganze reizende Schöpfung könne eines Tages den Hügel hinabgleiten und im See versinken; aber diese Befürchtungen scheinen grundlos oder doch übertrieben gewesen zu sein.

Was nun das Innere des äußerlich sehr schmucklosen Schlößchens

anlangt, so verdient dasselbe in Wahrheit, ein Napoleoniden-Museum

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_462.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)