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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

ist der Bartwuchs ungemein spärlich; – Backenbärte sieht man kaum und einen Schnurrbart darf der Chinese erst von seinen dreißigsten Jahre an tragen, aber auch der wird nie starke so sehr ihn sein Inhaber auch als schönsten Schmuck pflegt. Vor den eben erwähnten Göttern stehen Opfertische, die zu den Festen mit reichen Gaben bestellt und durch hunderte von Kerzen geschmückt werden. Diese Opfergaben, welche nicht berührt werden dürfen, bestehen meistens – es ist fast komisch zu sagen – aus abgezogenen Hammeln.

Betreten wir den Vorhof des Palais, so bietet sich uns ein trauriger Anblick – unser Auge fällt auf einen Haufen bestrafter Verbrecher; der eine trägt um seinen Hals ein Viereck aus schweren Bohlen von einem halben Fuß Dicke, welche der Verurtheilte oft einen Monat lang Tag und Nacht tragen muß; ein anderer Verbrecher liegt am Boden; denn seine Füße stecken im spanischen Bock; ein dritter ruht ebenfalls. weil die eben erhaltene Bastonade ihm ein Auftreten auf die Fußsohlen unmöglich machst.


Russisch-chinesische Post.
Nach einer Skizze von A. Larsen auf Holz gezeichnet von H. Heubner.


Weiterhin steht unter einer Veranda ein mit einem Tigerfelle bedeckter Stuhl, und hier thront der Machthaber, wenn er ein Urtheil fällt. Der Gouverneur zeigt sich selten; einmal im Jahre ladet er alle russischen Beamten zu einem officiellen Diner, das aber ärmlich ist im Vergleich zu den Mahlzeiten, die Einem der chinesische Kaufmann auftischt. Doch nehmen mir Abschied von den hohen Behörden Mai-ma-tschins, um auch das Leben gewöhnlicher Sterblicher in der eigentümlichen Stadt kennen zu lernen.

Ein angenehmes Bild fesselt unser Auge, wenn wir den Hof eines chinesischen Kaufmannshauses betreten. Die Wände aller Wohnräume, die auf den Hof hinausgehen, haben Fenster; der reinlich gehaltener Raum prangt in prächtigem Blumenschmuck, und hell grüßt uns der Gesang der chinesischen Nachtigall und vieler anderer bunter Vögel. Freudig empfangt uns der Wirth, und seinem Beispiele folgen alle seine Commis; sofort werden wir zum Thee eingeladen und treten in’s Haus; aus einem kleinen Entrée führen nach rechts und links durch Holzgeflecht verhängte Thüren in die Paradegemächer, deren Hinterwand eine zwei Fuß hohe Estrade schmückt; vor dieser steht ein Tisch mit einem Messingbecken voll glühender Kohlen, neben Welchem aus Papier zusammengerollte Stäbchen liegen. Wirth und Gast nehmen nun die Ehrenplätze rechts und links vom Kohlenbecken ein. und es beginnt alsbald das leckere Mahl, welches sich aus Thee, getrockneten Früchten und chinesischen Confituren zusammensetzt. Gar kunstgerecht versteht der Wirth die Stäbchen, nachdem er sie an den Kohlen zum glimmen gebracht, zu entflammen; nun bietet er seinen Gästen das Feuer zur Cigarette, und schmunzelt vergnügt, wenn auch wir, seinem Beispiele folgend, das glimmende Stäbchen bis zur Flamme anzublasen versuchen und es uns natürlich nicht gelingt. Nach einer Weile kramt er seine Schätze an Seidenstoffen und anderen chinesischen Waaren aus und freut sich, wenn sie Gefallen erregen. Als wir uns aber zum Scheiden rüsten, entläßt uns unser liebenswürdiger Wirth nur gegen das Versprechen, ihn am andern Tage zu Mittag zu besuchen, und packt noch Süßigkeiten für die etwa zu Hause wartenden Kinder ein.

Am andern Tage verfehlen wir natürlich nicht, uns zur bestimmten Stunde in dem gastlichen Hause unseres neuen Freundes einzufinden. Welch ein geschäftiges Treiben empfängt uns dort. Der Tisch ist gedeckt, und statt der Teller stehen kleine Schälchen halb so groß wie eine Untertasse, da und statt der Weingläser Näpfchen von einhalb Zoll Tiefe und ein Zoll Durchmesser; dazu kommen kleine Zinnkessel, die auf Kuhlen gewärmt werden. Der Wirth gießt aus dem Kesselchen eine helle warme Flüssigkeit in die Näpfchen; es ist Maigolo, der chinesische Reisschnaps. der warm getrunken wird. Nun folgen in rascher Reihe fünfzig bis hundert Gerichte: Mollusken, Seetang, allerlei Ungeziefer, närrische Pflanzen. Fleisch, in ganz schmale Striemchen geschnitten, Nudelsuppe etc. und Alles wird von demselben Schälchen mit chinesischem Essig (einer dunklen aromatischen Flüssigkeit, die keine Aehnlichkeit mit unserem Essig hat) genossen. Endlich erscheint ein Gefäß, wie eine Theemaschine, nur viel niedriger und bauchiger; wieder wird gegessen; zum Schluß wird ein unzerstückelt gebratener Hammel präsentirt und natürlich verspeist. Der Wirth und seine Commis sitzen nicht mit am Tische, sondern bedienen die Gäste. die nach vergeblichen Versuch, die Speisen auf chinesische Art mit zwei Stäbchen

in den Mund zu bringen, endlich zu Messer und Gabel greifen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_465.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)