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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Lebenserinnerungen mit humoristischer Frische reproducirte. Besonders fand er in den dortigen Klöstern Zustände, welche ihm später die historischen Ueberlieferungen der Hohenstaufengeschichte glaubhafter erscheinen ließen. Die angeordnete Aufhebung dieser Institute förderte allerlei Indiscretionen zu Tage, bald in Form eines in der Klosterbibliothek befindlichen Exemplars von Boccaccio’s „Decameron“, das unter der Firma eines „Gebetbuches für alle Tage der Woche“ figurirte, bald in einer geheimen Nonnencorrespondenz.

Nach seiner Rückkunft nach Berlin trieb Raumer eine Zeit lang, wie einst der junge Kammerassessor Goethe, das Geschäft der Militäraushebung; aber schon im Jahre 1804 faßte er den Entschluß, nicht blos Geschichte mit machen zu helfen, sondern sie selbst zu schreiben, wozu er durch seine Bekanntschaft mit dem berühmten Historiker Johannes von Müller noch besondere Anregung erhielt. Schon da wandte er nach seinem eigenen Geständnisse Kopf und Herz den Hohenstaufen zu, und er ließ sich durch das schwere scholastische Latein nicht abschrecken, sich durch die Sentenzen Peter’s des Lombarden durchzuarbeiten. Johannes von Müller förderte auch seine erste Schrift („Gespräche über Krieg und Handel“) zum Druck. Nachdem er eine Stelle in Posen abgelehnt, folgte seine Anstellung als Domänenrath in Königs-Wusterhausen. Der in diese Zeit fallende Einzug Napoleon’s in Berlin nach der verhängnißvollen Schlacht bei Jena hatte bei aller Misere für Raumer den Vortheil, daß er durch den „außerordentlich abgekürzten Geschäftsgang“ große Muße für seine geschichtlichen Studien fand.

Das nahe gelegene Berlin ermöglichte ihm den Umgang mit gleichstrebenden Genossen, wie mit dem Aesthetiker Solger, mit Steffens, Krause, Schleiermacher und besonders mit dem trotz des Kammerdienstes schon damals „minnesingernden und nibelungenden“ von der Hagen. Das Jahr 1810 führte ihn wieder nach Berlin zurück in das Departement des Herrn von Altenstein, wo er den gelehrten und unpraktischen Niebuhr corrigiren sollte. Das staatswirthschaftliche Feld, das er dort zu bebauen hatte, war die Regulirung der durch die Lasten des Krieges zu einer immensen Höhe aufgelaufenen Staatsschulden. Die Finanzpläne, die Steuerprojecte schwirrten damals gerade so in der Luft herum wie heutzutage. Consumtions- und Luxussteuern, Patentsteuern, Stempel und Accisen aller Art, sogar das ominöse Tabaksmonopol kamen in Sicht. Aus allen Ständen im Lande flogen die Vorschläge, oft von der abenteuerlichsten Art, in die Staatskanzlei.

Raumer’s geschäftliche Tüchtigkeit gewann ihm die Gunst und das Vertrauen des Staatskanzlers von Hardenberg in so hohem Maße, daß dieser ihn in seine unmittelbare persönliche Nähe zog, wodurch in der Meinung des Volks Raumer’s Einfluß auf diesen Staatsmann weit vergrößert wurde; man nannte ihn wohl mit scherzender Ironie den „kleinen Staatskanzler“. Um diese Zeit wollte der Kanzler ihn auch beim Könige zur Verleihung des rothen Adlerordens dritter Classe vorschlagen. Raumer bat ihn aber dringend und mit Erfolg, dies nicht zu thun, „da gewiß sehr Viele ihn dessen unwürdig hielten und verbreiten würden, er hätte sich den Orden bei ihm aus Anmaßung und Eitelkeit erbettelt“. Raumer erhielt denn auch dreißig Jahre später den Adlerorden vierter Classe.

Bald aber stellte sich für ihn doch die Unverträglichkeit des königlichen Dienstes mit seinen geschichtlichen Forschungen heraus, und der Conflict, in welchen er dabei gerieth, war kein geringer. Die Aussichten, welche der Staatsdienst ihm bot, waren glänzende; auch der pecuniäre Vortheil war in jedem Falle auf Seiten des Staatsdieners, aber der Drang des Genius wurde immer mächtiger und ging zuletzt siegreich aus dem Kampfe hervor. Hardenberg vermittelte dem nun einmal fest Entschlossenen 1811 die Uebertragung der Professur der Geschichte an der Universität Breslau.

In das friedliche Heim des Gelehrten fand nun auch die verbannte Liebe endlich den Weg, und Raumer heirathete eine Landsmännin, Luise von Görschen, Tochter des Obersten von Görschen in Dessau. Auch Freund Hagen, der Nibelunge, war ihm schon nach Breslau vorangegangen, und es bildete sich um ihn ein höchst angenehmer Gesellschaftskreis, während auch das Theater eine von ihm mit Vorliebe gesuchte Unterhaltung bot. Da fiel in diese akademische Idylle hinein die Kunde vom Untergange der französischen Armee auf den Eisfeldern Rußlands, der Aufruf zur Rettung des Vaterlandes an Alle, die „den Flamberg führen konnten“. Sollte er mit zu Felde ziehen? Lange erwog Raumer die Frage, bis er sich zuletzt doch für den „Officierdienst der Wissenschaft“ entschied, der ihm als erfolgreicher galt.

Aeußerst förderlich für sein Hohenstaufen-Werk erwies sich ein königliches Reisestipendium von 1500 Thaler. Jenseits der Alpen durchforschte er die italienischen Archive und drang sogar bis in die den deutschen protestantischen Gelehrten seither verschlossene Bibliothek des Vaticans vor. Schätzebeladen kehrte er heim, und die stille Ereignißlosigkeit der nächsten Jahre fesselte ihn ungehemmt an den Studirtisch. Erst die Ermordung Kotzebue’s brachte die stagnirende Fluth des akademischen Lebens in Fluß und gab ihm in seiner Eigenschaft als Universitätsrector Gelegenheit, das durch jene That sittlich verwirrte Urtheil auf das besonnene Maß zurückzuführen. Mit Entschiedenheit verurtheilte er aber das spätere Vorgehen der Regierung, die nicht darauf ausging, „das Gute vom Irrigen zu scheiden und auf eine vernünftige Mitte hinzuarbeiten, sondern mit ungenügend begründetem Argwohn und thörichter Furchtsamkeit in’s Extreme verfiel und durch Anklagen und Verhaftungen das Unrecht und die Thorheit der Gegner überbot“; so bekämpfte er denn „die Demagogen- und Demokratenriecherei, welche leider als ein Beweis echter Vaterlandsliebe angesehen wurde“.

Dieses Hinarbeiten auf eine vernünftige Mitte enthält gewissermaßen das politische Glaubensbekenntniß Raumer’s. Alles Revolutionäre war ihm verhaßt, möchte es von oben oder von unten kommen; er war der Mann der Reform, des besonnenen Fortschritts. Jene wilden Mittel multipliciren die Uebel nur, meinte er, statt sie zu vertilgen. Freilich sagte er sich auch, daß eine solche Mittelstellung ihren Träger leicht der Verkennung anheim giebt, und so mußte er sich gefallen lassen, von den Einen Obscurant und Tyrannenknecht, von den Andern wieder Jakobiner und Revolutionär gescholten zu werden. Schon seine Pflicht als Geschichtsforscher schien es ihm aber zu gebieten, über den Parteien zu stehen. Er hielt an Allem, was er für wahr und recht erkannt hatte, mit charaktervollem Freimuthe fest und scheute sich selbst auf Kosten äußerer Vortheile nicht, seiner Ueberzeugung mannhaft Ausdruck zu geben.

Er war seinem Wunsche entsprechend noch im Jahre 1819 an die erledigte Professur für Staatswissenschaft und Geschichte in Berlin berufen worden. Dort, in unmittelbarer Nähe des tonangebenden Bureaukratismus, hatte er wiederholt Gelegenheit, seine Charakterfestigkeit zu erproben, so zunächst in dem Falle, als er im Jahre 1822 zur Feier der fünfundwanzigjährigen Regierung des Königs die Festrede zu halten hatte und sich dabei weigerte, die seither bei akademischen Acten allein gebräuchliche lateinische Sprache zu brauchen, vielmehr es der Sache für angemessen hielt, deutsch zu reden. Der Senat beharrte dabei, daß „der Mund der Universität“ nur lateinisch sprechen könne. Raumer beharrte bei seiner Ansicht, und das Ministerium entschied sich schließlich auch für ihn. Fortan bildete der Gebrauch der deutschen Sprache die Regel.

In einer seiner vermischten Schriften, welche sich über die preußische Städte-Ordnung verbreitete, hatte er gerügt, daß viele Schulen zu wenig Rücksicht nähmen auf den künftigen Lebensberuf, daß oft dort mit großem Zeitaufwande Dinge gelehrt würden, welche unbrauchbar blieben und die man schnell wieder vergesse. Das Ministerium erklärte über dieses Urtheil seine Mißbilligung, und als Raumer in freimüthig unbefangener Weise dagegen sich vertheidigte, zog ihm diese eine Ordnungsstrafe von zehn Thalern zu.

Auch mit dem Obercensurcollegium, zu dessen Mitglied er berufen worden war, gerieth er sehr bald in Differenzen, und als man dann seine obenerwähnte Jubiläumsrede, in welcher er die Einführung einer Verfassung und mancherlei andere Reformen für nothwendig erklärt hatte, wie ein „Quintanerexercitium“ bis zur Unmöglichkeit des Drucks „durchcorrigirt“ hatte, hielt er es für angezeigt, die Sitzungen des Collegs nicht mehr zu besuchen und, als man dies nicht gestatten wollte, seine Entlassung als Mitglied zu fordern.

In einen ähnlichen Conflict mit den herrschenden Anschauungen gerieth Raumer noch in späteren Jahren, bei Gelegenheit einer von ihm zur Gedächtnißfeier Friedrich’s des Zweiten in der Akademie der Wissenschaften am 20. Januar 1847 gehaltenen freisinnigen Rede, in welcher er den großen König gegen die Verketzerung der Berliner Theologen in Schutz nahm, von denen Einer sich nicht entblödet hatte, zu behaupten, Friedrich habe seinem Volke die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_467.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)