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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

schrecklichsten Gefahren bereitet, wie sie herrschender Unglaube, leichtsinnige Zweifelsucht und frevelnde Verachtung des Heiligen herbeiführten; er habe durch den Mangel an Glauben sogar Schlachten verloren, und was dergl. m., während ein Anderer sich gegen das bekannte Wort des Königs: „In meinem Reiche muß Jeder nach seiner Façon selig werden,“ so weit ereiferte, daß er Friedrich mit Kain zusammenstellte. Man erblickte in diesem Grundsatze eine besondere Gefahr für die in jener Zeit besonders vertheidigte Lehre von einer Landeskirche. Raumer führte dem entgegen in seiner Rede aus, daß, sobald sich ein Volk aus dumpfem Hinleben, aus knechtischer Unterwürfigkeit zu persönlicher Selbstständigkeit erhebt, sobald es denkt, fühlt und handelt, nothwendig auch verschiedene Ergebnisse des Denkens, Fühlens und Handelns auf religiösem und kirchlichem Boden entstehen müßten und es zur Thorheit würde, Alle für alle Zeiten an dasselbe dürre Latten- und Gitterwerk unbedingter menschlicher Vorschriften festbinden zu wollen. Die Freiheit erzeuge nothwendig Verschiedenheiten und Gegensätze. Gerade diese Duldsamkeit des Königs in religiösen Dingen habe seine Popularität wesentlich begründet.

Diese Aeußerungen Raumer’s zogen ihm das Mißfallen hoher und höchster Kreise zu, und da die Akademie bei der wider ihn erhobenen Anklage ihr Mitglied nicht in Schutz nahm, so legte er sein Amt als deren Secretär nieder und schied auch aus dem Institute aus.

Raumer war dabei nichts weniger als irreligiös. Sein Glaube ruhte auf der Basis des Gemüths und der forschenden Erkenntniß. Es war die Religion der Liebe und Toleranz, die er überall in seinen Schriften predigte, der Liebe, von der er einmal in einem Briefe an seine Schwester Agnes so schön sagt: „wer recht lieben kann, ist reich, auch wenn ihn Niemand wieder liebt.“ „Ist es wohl,“ schreibt er an einer anderen Stelle, „religiös, Jemand daraus ein Verbrechen zu machen, daß er Dies oder Das von den Dogmen nicht glaubt? Ich werde mich hüten, diejenigen Zeiten zu loben, wo man verbrannt wurde, wenn man nicht an die Brodwandlung und an ein wohl arrangirtes Fegefeuer glaubte.“

Trotz aller dieser Mißhelligkeiten hing Raumer mit treuer Liebe an dem ihm zur zweiten Heimath gewordenen Berlin und an dem preußischen Staate. Deshalb lehnte er eine 1826 an ihn ergehende Berufung nach München, trotz der günstigeren pecuniären Stellung, ab.

Inzwischen war nun auch das Werk seines Lebens, seine „Geschichte der Hohenstaufen“ in sechs Bänden, längst zur Vollendung gediehen. Es erfuhr, wie Raumer selbst sagt, die verschiedenartigste Beurtheilung vom übermäßigen Lob bis zum herbsten Tadel. Der letztere ging besonders von den Ultrakatholiken und Ultraprotestanten aus. In beiden extremen Lagern konnte man die schonungslose Wahrheit nicht vertragen, mit welcher Raumer die Schäden des hierarchischen Regiments und die Sünden der mittelalterlichen Geistlichkeit aufdeckte. Um so mehr konnte er sich an den Urtheilen seines literarischen Freundes Ludwig Tieck und seines Collegen Heeren in Göttingen erfreuen. „Das Interesse,“ schreibt der Letztere ihm unterm 24. Mai 1826 aus Göttingen, „welches Ihr Werk mir einflößt, war vielfach. Der Gegenstand ist von solcher Wichtigkeit, daß in der ganzen Geschichte des Mittelalters kein anderer damit verglichen werden kann. Sind es doch aus diesem Zeitraume die größten Charaktere, die hier auftreten, und was ist die Geschichte ohne diese? Es war eine schwere Aufgabe, hier diejenige Unparteilichkeit zu beobachten, welche bei der Darstellung des Kampfes so entgegengesetzter Gewalten so schwierig ist. Auch diese Aufgabe ist von Ihnen glücklich gelöst. Was aber Ihrem Werke eigentlich sein Leben einflößt, ihm seine Dauer sichert, ist Ihre lebendige Theilnahme an dem Gegenstande. Es giebt keinen großen Geschichtsschreiber ohne jene eigene Theilnahme, die aus dem Gemüthe des Historikers hervorgehen muß.“

Die Wirkung des Werkes auf das Publicum war eine starke und nachhaltige; dazu trugen jene Lebendigkeit der Auffassung, die Gefälligkeit der Darstellung und der Hauch der Romantik, der das Ganze durchzog, wohl das Meiste mit bei. Es war auch nicht eine bloße chronologische Geschichte der Hohenstaufen-Kaiser; es war eine Geschichte des ganzen Zeitalters nach all seinen Lebensrichtungen hin, welche hier Raumer im Gegensatz zu der früheren Art der Geschichtsschreibung gab. Die Auffassung war eine durchaus unbefangene, bei welcher das eigene Ich des Forschenden parteilos zurücktrat. Wenn auch die etwas mangelhafte Kritik der benutzten Quellen den wissenschaftlichen Werth besonders gegenüber den späteren Forschungen eines Ranke und Anderer etwas beeinträchtigt, der nationale und literarische Werth des Werkes bleibt immerhin noch ein bedeutender.

Auch nach Vollendung dieser großen Lebensaufgabe legte Raumer die Hände nicht in den Schooß. Die Arbeit war ihm Bedürfniß. „Ich arbeite täglich und unermüdet darauf los – das ist meine Natur und Pflicht; ich werde dabei heiter und guten Muthes verharren.“

So schrieb er noch eine „Geschichte Europas seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts“ in acht Bänden, welche mit den Vorzügen der Hohenstaufen doch nicht deren Erfolg verband. Es fehlt hier vor Allem der fesselnde Zug des Nationalen.

Eine Frucht seiner in den zwanziger und dreißiger Jahren unternommenen Reisen, die sich bis nach Nordamerika ausdehnten, waren die „Briefe aus Paris“’ (1831), „England“ (1835 und 1841) und die „Beiträge zur neuen Geschichte aus dem britischen Museum und Reichsarchiv“ (1835 bis 1839), ferner sein „Italien“ und „die Vereinigten Staaten von Nordamerika“.

Durch das seit 1830 fortlaufend herausgegebene historische Taschenbuch wußte er das Interesse für Geschichte zu verallgemeinern und es dem Banne akademischer Abschließung zu entrücken.

Das Jahr Achtundvierzig rief Raumer um seiner Freisinnigkeit willen in die politische Arena. Er wurde zum Mitgliede des deutschen Parlaments gewählt und dabei unter Anderem ausersehen, den Pariser Gesandtschaftsposten zu vertreten. In dieser Stellung leistete Raumer wohl nicht ganz das, was man etwa von ihm erwartet hatte. War er schon auf dem Katheder kein glücklicher Redner, so war er es noch weniger auf der Tribüne. Ohnedies schien dem Apostel des besonnenen Fortschritts, der bereits über die letzten Stufen männlicher Thatkraft hinaus war, der revolutionäre Zug, der die Verhältnisse damals vielfach beherrschte, nicht zu behagen. Gewisse radikale Rauhheiten verletzten sein feineres Empfinden, und die betretenen Wege schienen ihm nicht überall die rechten zu sein. Später wurde er noch Mitglied der ersten Kammer in Berlin, und als er 1855 als Professor emeritirt wurde, setzte er gleichwohl seine Vorlesungen noch bis 1865 fort. Noch immer legte er nicht die Feder aus der Hand. So erschien 1869 von ihm ein Handbuch der Geschichte der Literatur. Erst am 14. Mai 1873 schloß der Zweiundneunzigjährige für immer die Augen.

Es war, als ob ihm, dem Einzelnen, die Vorsehung zum Entgelt für die Rastlosigkeit und Redlichkeit seines Strebens die Marksteine des Lebens weiter hinausschieben wollte, als sie es sonst uns Sterblichen zu verhängen pflegt; erfahren sollte er noch, daß auch unsere Zeit die Kraft besitze, große Charaktere erzeugen, wie sie einst jene Zeit der Staufen gesehen, daß sie die Schaffenskraft hege, nach dem großen Kaiser Rothbart einen Kaiser Weißbart erstehen zu lassen, der uns der Repräsentant des wieder aufgerichteten deutschen Reiches ist.





Ungleiche Seelen.

Novelle von R. Artaria.
(Fortsetzung.)
4.

Es war Abend geworden, und der Marcus-Platz, dieser „schönste Ballsaal der Welt“, dessen Decke das Sternen-Firmament bildet, strahlte in feenhafter Beleuchtung. Ueberall waren vielarmige Gascandelaber aufgestellt, und in der Mitte goß eine rasch aus der Erde gezauberte Fontaine elektrisch-leuchtende Wasserfluthen in ein weites Becken; ringsumher wogten im taghellen Lichtglanze Massen von Menschen auf und ab, und alle Köpfe waren den Fenstern des königlichen Palastes zugewandt; denn dort mußten sich die Monarchen zeigen, wenn die Tafel zu Ende war.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_468.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)