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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

die höchst trivialen Fanfaren des italienischen „Königsmarsches“ ertönten: der Platz erzitterte von Neuem unter dem Rufen und Händeklatschen, und wieder verneigten sich die Herrscher oben am Fenster. Es war ein bewegtes, buntes Menschengewoge auf dem Marcus-Platze.

Schöne Frauen in Balltoilette sahen von den teppichbehangenen Brüstungen herunter; es war als seien die alten Glanzzeiten der Stadt mit ihrer ganzen Poesie wiedergekehrt.

Mitten in dem Gedränge lehnte ein junger Mann regungslos an einem der Bogenfenster, die Augen unverwandt nach dem Stockweck emporgerichtet, in welchem sich das elegante französische Restaurant befindet. Die hohen Fenster des Speisesaals waren geöffnet, und eine Gruppe von Herren und Damen zeichnete sich scharf von dem hellerleuchteten Hintergrunde ab. Erich – denn er war der stumme Beobachter – sah deutlich, wie sich die lange Figur seines Rivalen wiederholt verbindlich zu derjenigen Dame neigte, welche er unter Tausenden am Schlage seines Herzens erkannt hätte – und er biß sich grimmig auf die Lippen.

Man bereitete sich offenbar zum Aufbruch; die Gruppe löste sich auf, und dienstbeflissene Kellner brachten die Umhüllungen der Damen. Erich sah eben noch, wie Nordstetter den wohlbekannten weichen grauen Mantel um Leontinens Schultern legte und sie das schwarze Spitzentuch über den Kopf warf; dann zog er sich hinter den Treppenvorsprung zurück und wartete.

Es hätte des großen dunklen Hutes gar nicht bedurft, den er in die Augen gedrückt hatte, um sich unkenntlich zu machen; denn er sah blaß und verändert genug aus in seiner Aufregung.

Jetzt traten sie heraus in die laue Abendluft, Zwei um Zwei, die Fürstin am Arme des Barons, der Fürst voraus, dann der Prinz mit einigen jungen Damen, zuletzt Nordstetter mit Leontine. Erich ließ sie passiren; dann wand er sich in der gleichen Richtung, aber auf kürzerem Wege rasch durch das Gedränge und war ihnen bald ein gutes Stück voraus.

Sein Herz schlug gewaltig – was er vorhatte, war ein kühnes Rechnen mit dem Augenblick; es konnte ebenso leicht glücken, wie mißlingen. Daß es still und ohne Aufsehen abgehen müsse, war die Bedingung Antonio’s, mit welchem er heute Mittag zwei Stunden in der kleinen Kneipe zur „Margarita“ gesessen hatte, um ihn durch alle Mittel der Bitte und Bestechung für seinen Plan zu gewinnen

Da stand er nun am Quai; er blickte auf das unabsehbare Barkengewimmel hinab, welches in dem Netze von zitternden Lichtstrahlen über den schwarzen Wellen wogte. Antonio mußte darunter sein, und in der That wollte es der Zufall, daß Erich’s scharfe Augen den Alten bald aus dem flackernden Halbdunkel herausgefunden hatten. Leicht und gewandt schwang er sich über zwei, drei zunächstliegende Schiffe und glitt wie ein Schatten in die gedeckte Gondel neben Antonius offener Barke.

„Alles in Ordnung?“ flüsterte er zu diesem hinüber.

„Still!“ war die Antwort. „Haltet Euch drinnen so ruhig wie die Maus in ihrem Loche! Gasparino weiß, was er zu thun hat. Und sorgt mir nur, daß die Signora nicht schreit, wenn sie Euch ansichtig wird!“

Erich schlüpfte in den kleinen dunklen Raum und ließ die Vorhänge nieder. Sarg von außen, verschwiegene Liebesstätte von innen – auf Erden giebt es kein besseres Asyl für ein glückliches Paar, als die venetianische Gondel.

Erich spähte aufmerksam durch die Fenster – noch war von der Gesellschaft drüben am Ufer nichts sichtbar. Eine Wolkenwand bedeckte den Mond; Dogenpalast und Marcus-Säule ragten dunkel und gewaltig über den Lichtglanz der Piazetta empor; in den Schiffen rings schwankten tausend Laternen auf und ab, wie ihre Spiegelbilder drunten in den nächtlichen Wellen. Weiter hinaus leuchteten die Umrisse der großen Oceanfahrer in Feuerschnüren von zahllosen an einander gereihten Flämmchen, und in einiger Entfernung lag dunkel und unbeweglich das Feuerwartschiff.

Lachen und Rufen der Tausende, die schon in den vollgepackten Backen saßen, und Derer, die noch vom Quai herunter strömten, helles Aufschreien der Weiber und Scherzreden der Männer mischten sich mit den Klängen der Musik vom Marcus-Platze her – es war eine echte „venetianische Nacht“.

Jetzt sah man den Baron vom Ufer aus winken; die Schiffe machten sich mühsam Bahn, die offene Barke voraus, welche rasch von dem ersten Theile der Gesellschaft, der Fürstin und ihren Zunächststehenden gefüllt wurde.

„Es reicht nicht,“ rief Nordstetter, der nebst dem Baron und Leontine übrig war, mit gut gespielter Verlegenheit, „was thun?“

Der Fürst wollte wieder aussteigen; zugleich wies Antonio auf seinen neben ihm haltenden Genossen, der eifrig die Mütze herabriß.

„Bleiben Sie!“ rief Baron Willek, „da ist noch Einer. – Hierher, mein Junge!“

Der schmale Schiffsschnabel schob sich in den kleinen Raum zwischen die anderen herein, und Leontine überschritt leicht an der ausgestreckten Hand des Gondoliers die schwankende Spitze.

„Weiche doch zurück, Du Dummkopf!“ rief in diesem Momente Antonio, „ich kann ja nicht hinaus kommen, wenn Du mir nicht Platz machst.“

Bereitwillig gehorchte der Junge und trieb, wie für einen Augenblick, die Gondel aus dem Gedränge rückwärts. Währenddem sagte Nordstetter leise und rasch zu dem Baron:

„Wollen Sie mir die große Gunst erweisen, Fräulein Leontine die nächste halbe Stunde unter meinen Schutz zu stellen? Ich möchte ihr Vieles sagen; es war heute ein so schöner Tag –“

Baron Willek ließ sich nicht dazu herab, den Erstaunten zu spielen.

„Wenn es Leontine recht ist,“ sagte er gleichmütig, „ich finde überall meinen Platz.“

„Ich danke Ihnen,“ erwiderte mit einem raschen Händedrucke der Banquier, „wo werden wir uns wieder treffen nach dem Feuerwerke?“

„Im Hotel, denke ich; wir werden dann wohl des Spectakels für heute genug haben.“

„Auf Wiedersehen denn!“

Und Nordstetter drehte sich rasch nach der andern Seite. Aber wie vom Blitze getroffen blieb er stehen – die Gondel war fort. Aus seinen Ruf war der Baron mit zwei Schritten wieder zur Stelle, und beide strengten während der nächsten Minuten Auge und Lunge ganz erfolglos an; es war unmöglich, in dem grellen Durcheinander von Licht und Schatten etwas Anderes als die nächsten Schiffe und ihre Insassen zu unterscheiden.

„Rufen Sie doch des Schiffers Namen!“

„Ich weiß ihn ja nicht.“

„Und Fräulein Leontine – sie muß ihm doch befehlen, wieder hierher zu kommen.“

„Sie spricht ja kein Italienisch – Gott weiß, was der Mensch aus ihren Zeichen versteht! Das Gedränge ist ja so furchtbar, daß er vielleicht hier nicht wieder anlanden kann.“

Dem Baron war gar nicht wohl bei der Sache; der Gedanke, daß Leontine die Absicht ebenfalls durchschaut und den günstigen Umstand benutzt habe, das Feuerwerk allein zu genießen, ging ihm mit großer Wahrscheinlichkeit auf. Aehnlich genug sah es ihr ja. Er bemühte sich indessen ruhig zu erscheinen und eine andere Barke aufzutreiben indem er seinen Schwiegersohn in spe zu überzeugen suchte, wie bald sie durch ein rasches Hin- und Herkreuzen dem ungeschickten Schiffer wieder begegnen müßten.

Jetzt fuhr auch die erste Rakete mit langem Kometenschweif in den dunklen Nachthimmel, und ihr nach rauschte eine Feuergarbe, als bräche Vesuv oder Aetna los, für einen Augenblick das ganze Firmament bedeckend. Es schien sich in ein endloses Meer von Glanz aufgelöst zu haben – dichte Feuerschwärme, voll farbigen Leuchtkugeln tausendfach durchwirbelt, breiteten sich über die Himmelsfläche aus und fielen dann als Millionen feuriger Pfeile wieder zur Erde nieder, sodaß es dem aufwärts gerichteten Blicke wirklich schien als senke sich der Himmel mit allen seinen Sternen langsam herab.

Kaum war der letzte Leuchtkörper in den schwarzen Fluthen versunken, so schleuderte der unermüdliche Krater unter Zischen und Knattern neue Feuerströme empor, die auf weitem Umkreise die Lagunen taghell erleuchtetem und ein Ah! der Bewunderung um’s andere erklang ringsum von unzähligen Lippen. Dazu glühten Dogenpalast und Marcus-Thurm in bald rothem, bald grünem bengalischem Lichte, und die dunklen Schiffe zogen schwarze Furchen in die wiederspiegelnden Feuerfluthen – es war wie ein Blick in die Wunder der Tausend und Einen Nacht.

Und während dieser rauschenden Herrlichkeiten wiegte sich

weit draußen eine einsame Gondel auf den stilleren Wassern … Der aufblitzende Feuerschein spiegelte sich in den dunklen Augen des Gondoliers, der unverwandt das Angesicht darnach gerichtet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_470.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)