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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Land und Leute.

45. Hammerfest, die nördlichste Handelsstadt der Welt.

Die Zeit der friedlichen Welteroberungen des Geistes ist noch nicht abgeschlossen. Erst vor wenigen Jahren gelang es dem kühnen Nordenskjöld in den dunklen Fluthen des gefahrvollen Eismeeres einen neuen Handelsweg zu finden, aus welchem die Producte Nordasiens den europäischen Völkern billiger zugeführt werden können, als auf dem mühseligen Karawanenwege der russisch-asiatischen Steppen, und so folgt schon heute der unternehmungslustige Kaufmann den Spuren des gelehrten Entdeckers; hörte man doch vor mehr als Jahresfrist mit Staunen, daß Weizenladungen aus Sibirien nach Bremen angelangt wären, daß asiatisches Korn mit gutem Gewinn auf dem europäischen Markte verkauft und daß sibirisches Getreide zum ersten Male als Nahrungsmittel auf deutschem Boden feilgeboten worden. Mit großer Spannung warten wir jährlich auf Nachrichten über die im Sommer nach den Mündungen der Lena, des Ob, des Jenissei abgehenden Handelsexpeditionen, und mehr denn je wendet sich jetzt das allgemeine Interesse den früher nur wenig beachteten Polarländern zu.

Und so führen wir auch heute unsere Leser auf unsern Wanderungen durch fremde Länder nach dem hohen Norden, um dort das eigenartige Treiben in der nördlichsten Handelsstadt der Welt kennen zu lernen. Von den zahlreichen Reisenden, welche alljährlich die Wunderwelt Skandinaviens besuchen, gelangen nur Wenige bis in jene von den kalten Fluthen des Eismeeres umspülte Gegend norwegischen Landes, wo auf der etwa drei Meilen großen Kvalö-Insel unter 70° 39′ 40″ nördlicher Breite das stille Hammerfest liegt, und so dürfte unsere heutige Beschreibung den Meisten unter unsern Lesern neu und willkommen sein.

So lange die dänische Zollgesetzgebung den freien Verkehr selbst in diesem schwer zugänglichen Gebiete hemmte, befand sich an der Stelle, wo wir jetzt den Kirchturm der Stadt erblicken, nur eine einzige Handelsfactorei. Kaum war jedoch seit 1787 der Handel in den Finnmarken freigegeben worden, so begann auch in dieser Gegend ein reges Leben, und schon im Jahre 1880 hatte der Ort 77 Einwohner; die Zahl derselben stieg aber immerwährend, sodaß sie jetzt über 2000 beträgt.

Die Stadt liegt rings um eine kleine, fast kreisrunde Meeresbucht auf einem Vorgebirge, dessen äußere oder westliche Seite so unregelmäßig geformt ist, daß es scheint, als wollten sich die schroff-abfallenden Felsen jählings in die See stürzen. Steigt man auf die Höhe dieses Vorgebirges, so hat man gegen Westen eine Aussicht über die zwei Meilen breite Meeresenge nach den kahlen, mit Schnee und Gletschern bedeckten, etwa 1000 Meter hohen Gebirgszügen der Sörinsel und des Seilandes, während man in geringer Entfernung von der Stadt die kahle Felseninsel Haajem, zu deutsch: Helminsel erblickt. Unsere Abbildung zeigt diese Insel im Vordergrunde, die Sörinsel und das Seiland dagegen weiter abwärts.

Zu unseren Füßen liegt die Stadt mit ihrem zwar kleinen, aber tiefen Hafen, welcher den Schiffen guten Schutz gewährt, da er nur den vom Norden her anstürmenden Winden zugänglich ist. Längs der Bucht laufen parallel die Hauptstraßen mit großen und schönen Privathäusern und einigen öffentlichen Gebäuden, der Zollbude, dem Rathhause, dem Schulhause, der Post- und Telegraphenstation etc. Dicht am Meere erblicken wir dagegen die großen Packhäuser und Speicher der Kaufleute, während die ziemlich neue Kirche auf einer Anhöhe liegt. Wenn man mit dem Dampfschiffe von Süden nach Hammerfest kommt, ist ihr schlanker Thurm schon von weitem sichtbar.

Lappische Volkstypen aus Hammerfest.

Auch ein Erinnerungszeichen an die Großthaten der Wissenschaft erhebt sich in der Nähe der Stadt, die nördlichste Meridiansäule Europas, welche den Endpunkt der großen norwegisch-schwedisch-russischen Gradmessung bezeichnete (vergl. Abbildung auf S. 481). Diese mühselige und für die Geographie unendlich wichtige Arbeit begann bekanntlich im Jahre 1816 bei Ismail an der Donau und fand 1855 bei Hammerfest ihren Abschluß. Die Inschrift der Säule ist durch rauhe Stürme fast gänzlich zerstört, aber ohne Wehmuth geht der Wanderer an ihr vorüber; denn er weiß es wohl: die Thaten der Wissenschaft werden mit unvergänglichen Lettern in das Buch der Weltgeschichte eingetragen, und die Werke der freien Forschung überdauern alle Denkmäler aus morschem Steine.

Doch lassen wir unsere Blicke weiter schweifen! Dort an dem Storvand, einem kleinen Landsee, haben mehrere Kaufleute der Stadt schöne Landsitze errichtet. Hüten wir uns aber, einen Vergleich anzustellen zwischen diesen nördlichsten Landhäusern Europas und den schmucken Villen des Südens, die aus grünenden Gärten hevorschauen! Wüst und öde ist die Landschaft des Nordens. Höchstens ein verkrüppelter Birkenstrauch bildet hier und dort auf einer kleinen Halde die ganze Vegetation; nur wild zerklüftete Felsen und bald schäumende, bald krystallklare Gewässer sind überall zu schauen; hin und wieder springt ein aufgescheuchtes Renthier über das kahle Plateau, oder es fliegt ein einzelner Rabe über dasselbe hinweg; nur das schrille, von der Küste hertönende Geschrei der Möven unterbricht die tiefe Stille der wie erstorben liegenden Landschaft. Das ist ein Sommerbild der Umgebung von Hammerfest, welche während des langen, langen Winters durch die tiefe bleiche Schneedecke dem menschlichen Auge verhüllt wird.

Um so anmuthiger erscheint uns während der kurzen Sommerzeit das bunte Bild, welches uns der Hafen von Hammerfest bietet. Dampfer und Segler aus England, Holland und Deutschland bringen der Stadt allerlei Waaren, Erzeugnisse unserer Industrie; da liegen kornbeladen russische Schiffe aus Archangelsk vor Anker, und nordländische Jachten fahren hinaus und herein und flattern mit ihren weißen Segeln. Für alle ist aber die Zeit ihres Aufenthaltes in Hammerfest nur kurz bemessen; denn ehe der Sommer rasch verfliegt und der eisige Winterhauch die See mit festem Eiswalle verschließt, muß die Ladung an Thran und gedörrten Fischen geborgen sein, muß die weite Reise nach den Häfen Englands, Deutschlands und des mittelländischen Meeres angetreten werden. Und geschäftiger als anderswo ist aus diesem Grunde hier der Geschäftsmann. Mit raschen Tritten schreitet auf seinem Schiffsdecke der russische Kaufherr einher, von einem norwegischen Händler begleitet; rasch wird der Kaufpreis bestimmt; ungeduldig streicht der Russe dann und wann seiner langen Bart; denn soeben laufen einige Seelappen in ihren offenen Booten in den Hafen ein, und jetzt gilt es, an sie heranzukommen und ihnen die Ladung, die bald aus gedörrten Fischen, bald aus thrangefüllten Tonnen besteht, abzuhandeln, ehe ein unerwünschter Concurrent erscheint und den Preis erhöht.

Der Seelappe sitzt an dem Ruder in seinem weißen bordirten Wammse von „Wadmel“ (eine Art dicken wollenen Zeuges) und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_480.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)