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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

einen überaus häßlichen und unwissenden Volksstamm denken. In Wirklichkeit aber findet man bei denselben nicht selten männliche und weibliche Individuen von besonderer Schönheit; denn die früher allerdings vorhanden gewesenen Merkmale der vorstehenden Backenknochen, der etwas plattgedrückten Nase, der dünnen Lippen und schiefliegenden Augen sind durch zahlreiche gemischte Ehen zwischen Norwegern und Lappen mehr oder weniger verschwunden. Will man echt lappische Gesichter sehen, so muß man dieselben schon im schwedischen Lappmarken, unter norwegischen Berglappen und den Lappen im Stifte Drontheim suchen. Der niedrige Wuchs, sowie der Mangel an Reinlichkeit hat unzweifelhaft dazu beigetragen, die Lappen in den Ruf der Häßlichkeit zu bringen; dazu kommt noch ihre wenig schöne, aber der Beschaffenheit des Klimas sehr angemessene Kleidung, obwohl die Eigenthümlichkeit derselben ein gewisses malerisches, den harten und rauhen Umgebungen entsprechendes Gepräge nicht vermissen läßt (vergl. Abbildung auf S. 480). Das wichtigste Kleidungsstück ist ein geräumiges meist weißgräuliches Wamms von „Wadmel“ mit emporstehendem Kragen, zugeschnitten wie ein Mannshemd; der Langschnitt desselben ist an der Brust mit Borden gefärbten Tuches besetzt.

Zum Putzen werden auch blaue, grüne, braune und hochrothe Wammse von feinem Tuche getragen, die an den Säumen und Schultern immer ausgestickt und an den Händen sowie den unteren Theilen mit anderfarbigen Tuchstreifen, meist gelben oder blauen und rothen, geschmückt sind. Unter dem Wammse tragen sie im Winter einen Schafpelz mit der Wolle nach innen, unmittelbar am Leibe; denn Leinwand gebrauchen sie nur selten. Das Ganze wird von einem breiten, ledernen Gürtel umspannt, der das Wamms etwas emporhebt, so daß es oben in Falten über den Gürtel hinausfällt; an diesem hängen sodann auch die Schlüssel und das Messer, welches auch als Handaxt gebraucht wird. Die Beinkleider sind ebenfalls von ungefärbtem „Wadmel“, unten eng und so lang, daß sie in die sogenannten „Komagen“, eine Art Halbstiefeln, eingebunden werden können. Diese Komagen werden für den Sommer und den Fischfang von Kuhleder, für den Winter aber von dem Kopffelle des Renthieres genäht und mit einem selbstgewebten langen und breiten Wollenbande so fest zusammengebunden, daß kein Wasser eindringen kann. Auch die Beinkleider werden um die Hüften mit einem Bande zusammengeschnürt. Da die Lappen keine Strümpfe gebrauchen, werden die Schuhe mit einer Art Gras gefüllt, das eigens dafür eingesammelt und präparirt wird, um es geschmeidig und weich zu machen. Auf dem Kopfe tragen sie eine Mütze mit einer Quaste und einer rothen oder gelben Tuchborde geziert. Die Mütze hat in den verschiedenen Gegenden eine andere Form, bald läuft sie spitz nach oben aus, bald ist sie mit viereckigem Hutkopfe, wie eine polnische, versehen. Um den Hals haben sie ein leinenes Tuch, dessen Enden zu einem Beutel zusammengenäht sind, in dem sie kleine Dinge aufbewahren, z. B. das Feuerzeug, den Geldbeutel etc., während größere Sachen in den Busen und in die Falten des geräumigen Wammses gesteckt werden. Zur Wintertracht und auf Reisen sind sie mit Pelzen von Renthierhäuten versehen.

Der Lappe ist freundlich und gutartig von Gemüth; er ist auch nicht ohne geistige Anlagen, wie sich denn auch die meisten Lappen in den Seedistricten über Alles, was zum täglichen Leben gehört, in der norwegischen Sprache ausdrücken können. Unbekannt mit den meisten Lebensgenüssen, von einer unbezwingbaren Natur umgeben, in Armuth versunken, besitzen diese Menschen jenen tief-stillen Sinn, der selbst die schwersten Mühen und Entbehrungen mit unerschütterlicher Ruhe auszuhalten vermag. Im Uebrigen genießen sie denselben Schulunterricht wie jeder andere Norweger und lernen die norwegische Sprache in der Schule.

Thomas von Westen war es bekanntlich, welcher bei den Lappen die letzten Ueberreste des Heidenthums ausrottete, indem er zu diesem Zwecke (1714 bis 1722) mehrere Reisen nach Finnmarken unternahm, Lehrer und Missionäre einsetzte und die Götzenbilder entfernte. Der Religionsunterricht wurde sodann bis 1774 in lappischer Sprache, von dieser Zeit ab norwegisch ertheilt und hierauf in den nächsten fünfzig Jahren das Norwegisiren fortgesetzt. Die Missionswirksamkeit hörte nun auf, aber das allmähliche Verschwinden der lappischen Bücher war der religiösen Entwickelung dieses Volkes nicht günstig, weil es nicht verstand, was es in der ihm fremden norwegischen Sprache las. Man kam daher seit 1837 wieder auf den Unterricht in lappischer Sprache zurück, aber es leben noch ältere Männer und Frauen, die bei dem erstmaligen norwegischen Jugendunterricht vollständig unwissend geblieben sind. Kein Wunder daher, daß es vor nicht langer Zeit sogar noch einen heidnischen Lappen gab, freilich ein alleinstehendes, aber immerhin interessantes Beispiel inmitten des neunzehnten Jahrhunderts.

Von diesem europäischen Heiden, einem Berglappen, wird erzählt, daß er vor etwa dreißig Jahren in einer nicht weit von Hammerfest befindlichen Pfarre lebte und am Gestade einer Bucht einen aufrecht stehenden Stein als seinen Götzen verehrte. Alljährlich, wenn er mit seinen Renthieren vom Hochgebirge nach den Inseln an der Küste gezogen kam, brachte er dem Steine in vollem Ernste auf alte heidnische Weise Opfer dar, in der Ueberzeugung, der Götze könne ihm Glück oder Unglück in Bezug auf die Renthierzucht bringen.

Dieser Berglappe hieß Rastus, und es ist möglich, daß er noch lebt. Wie alle Lappen war er in seiner Jugend getauft und in der ihm unverständlichen norwegischen Sprache confirmirt worden. Nach der Confirmation warf er sein Buch weg und opferte seinem Götzen. Nun war es in jener Zeit den norwegischen Berglappen noch erlaubt, ihre Heerden im Winter über die Grenze auf das russisch-finnländische Gebiet zu treiben. Wenn nun Rastus im späten Frühjahre wieder von dort nach der norwegischen Küste übersiedelte, wo sein Götze stand, kaufte er jedesmal vorher etwas Butter und Branntwein, darin bestand das darzubringende Opfer; denn mit der Butter salbte er zuerst den Kopf des Götzen, und goß dann über denselben den Branntwein aus, weil er wahrscheinlich aus eigener Erfahrung wußte, daß ein Schnaps nach fetter Speise etwas Angenehmes ist. Längere Zeit hindurch war denn auch Rastus Alles nach Wunsch gegangen; der Götze schien zufrieden; denn die Renthiere warfen oft Zwillinge und die Heerde nahm zu.

Da ereignete sich etwas Ungewöhnliches. Als Rastus einst im Frühjahr wiederum mit seiner Renthierheerde gegen die Küste kam, hatte er entweder keinen Branntwein aus Finnland mitgebracht oder der Versuchung nachgegeben und ihn selber getrunken. Das wäre durch die Mühseligkeiten dieser Wanderungen erklärlich, auf denen die Berglappen oft Weib, Kinder, Renthierkälber und kleine Hunde über die großen, eiskalten und reißenden Bergströme tragen müssen. Genug, der Götze sollte sich diesmal mit dem Buttertractamente begnügen. Er rächte sich aber für diese Vernachlässigung grausam genug; denn als Rastus nach vollbrachtem Opfer seine Heerde an einem steinigen Abhange dahintrieb, ganz nahe dem Berge, an dessen Fuße der Götze stand, zog plötzlich ein Gewitter herauf. Der Blitz schlägt in die Bergspitze, und eine Lawine herabrollender Steine zerschmettert zwei der besten Renthiere. Nun gehörte Rastus nicht zu den sanften Charakteren, sondern war sogar berüchtigt wegen seines heftigen Gemüths. Daß ihn der Götze eines elenden Schnapses wegen so furchtbar strafen wolle, das hieß dem Rastus mehr bieten, als sein Fleisch und Blut vertragen konnten. Von unbezwinglicher Wuth ergriffen, riß der Rasende die Ueberreste seiner Thiere aus dem Steinhaufen hervor und schlug die blutigen Fleischstücke dem Götzen in’s Gesicht, indem er schrie: „Da hast Du, was Du selbst geschlachtet hast, aber von diesem Tage an sollst Du nimmermehr Opfer von meiner Hand kosten.“ Dies geschah, wie gesagt, vor etwa dreißig Jahren. Vielleicht hat das Ereigniß dazu beigetragen, Rastus so weit zu bekehren, daß er als Christ sterben wird oder gar schon gestorben ist, und also jener Götze der letzte gewesen, dem ein Lappe seine Anbetung gewidmet hat.

Der Reisende, welcher in der Sommerzeit nach Hammerfest kommt, unterläßt es meistens auch nicht, das Nordcap zu besuchen, das nördlichste Vorgebirge Europas. Das Nordcap liegt auf der Magerinsel, die durch einen engen Sund von dem festen Lande getrennt ist. Seine Entfernung von Hammerfest beträgt etwa fünf Meilen, und von hier gehen wöchentlich mehrere Dampfschiffe zum Nordcap.

Das Vorgebirge fällt fast senkrecht in’s Eismeer ab und kehrt trotzig seine harte Wand gegen die tobenden Wellen, welche der Nordwind ihr entgegenpeitscht. Wer hier einsam steht, den unendlichen Spiegel des Eismeeres vor Augen und das dumpfe Dröhnen der Brandungen unter den Füßen, der wird mächtig ergriffen von einem ernsten, fast überwältigenden Gefühle der Größe und Erhabenheit dieser sonst so notdürftigen und kargen Natur.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_482.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)