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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

aber man komme nur einmal in ein solches Local, wenn irgend eine Ministerkrisis oder ein anderes politisches Ereigniß die Gemüther in Aufregung versetzt! Da ist z. B. in Florenz nicht weit von der Piazza de la Signora ein eleganter kleiner Salon, in dem seiner Zeit, besonders während Florenz italienische Reichshauptstadt war, alle großen Politiker verkehrten. Versetzen wir uns in’s Jahr 1871, in die Zeit des deutsch-französischen Krieges, indem wir uns dem Salon nähern! Schon von fern erschallen laute verworrene Stimmen durch die nur mit grünem netzartigem Vorhang geschlossene Thür, und allmählich vernehmen wir aus dem Chaos die Namen Garibaldi, Napoleone etc. Indem wir den Vorhang bei Seite schieben, dröhnt uns ein Zornausbruch gegen die Deutschen entgegen, während sich zugleich ein ergötzliches Genrebild darbietet. Der Chef, den Seifenpinsel in der Hand, vertritt, mit Händen und Füßen agitirend, was er eben gesagt und was er eine halbe Stunde vorher von einem liberalen Staatsmanne vernommen, mit solcher Heftigkeit als seine Meinung und erweckt dadurch so lebhaften Gedankenaustausch, daß die Meisten der Wartenden und der gerade Bedienten sich von ihren Sitzen erheben, Partei ergreifend, eine lebhafte Debatte anspinnen, die – in Anbetracht der Rasirmesser, der leidenschaftlichen Reden, der funkelnden Augen, der heftig bewegten Arme und Füße – auf einen Neuling wohl einen beunruhigenden Eindruck zu machen geeignet ist.

In den Vormittagsstunden waren die zwölf oder mehr Sessel des Salons fast stets besetzt, während noch etliche Personen herumstanden; denn die Stunden, die dort verbracht wurden, waren für das Leben in der That nicht völlig verloren, und an Abwechselung fehlte es nie. Eben hatte eine politische Nachricht einen gewaltigen Sturm erzeugt und in beängstigender Weise arbeitete das von erregter Hand geführte Messer auf dem Gesichte des Kunden, da trat denn vielleicht ein als Witzmacher Allen bekannter alter Herr, ein Marchese, herein, der stets alle Hände und Taschen voll der „saubersten“ Stadtneuigkeiten hatte; es war seine Gewohnheit, stets in stereotyper Weise zu verfahren: erst durch Andeutungen aller Art die Neugier und die Erwartungen aller Anwesenden auf das Höchste zu spannen, worauf dann irgend eine triviale Skandalgeschichte über eine hohe oder höchststehende Persönlichkeit folgte. Neues gab es in dieser Hinsicht immer; denn das italienische Leben bietet ja Stoff genug; Gelächter gab es auch stets, und der Barbier und seine Gehülfen thaten dann natürlich das Ihrige, diese Neuigkeiten allen späteren Kunden mit den nöthigen Zierrathen und Andeutungen zu erzählen sodaß man wenige Stunden später dieselben an sich unbedeutenden Geschichten in’s Ungeheuere aufgebauscht und völlig entstellt am entgegengesetzten Ende der Stadt wiedererzählen hörte. Als Regel gilt hierfür: je unglaublicher, je unfeiner die Skandalgeschichten sind, desto begieriger nehmen die Fama und die Menschen sie auf.

Es ist wohl anzunehmen, daß die Läden intelligenter Barbiere auch heute noch in Italien wichtige Vermittler zwischen allen Ständen sind, weil jeder Kunde, ob er Proletarier oder Minister ist, sich hier als Mensch zeigt und sich dem Mitmenschen gegenüber so gerirt; auch unterliegt es kaum einem Zweifel, daß durch die Discussionen in den Barbierstuben auf das politische Leben ein gewisser Einfluß ausgeübt wird, weil doch die entgegengesetzten Meinungen in freier, zwangloser und furchtloser Weise discutirt werden.

Va bene – Vayamos!

Also auf nach Spanien! Der Barbier- und Coiffeursalon spielt natürlich auch dort wie in allen romanischen Ländern, und besonders auch in Frankreich, eine gewichtige Rolle; denn man denke doch nur, daß die Herren Spanier und Franzosen zuweilen eine Stunde und mehr zur Herstellung ihrer eleganten Haar- und Bartfrisur bedürfen, aber die große Bedeutung des italienischen hat weder der französische noch der spanische Barbierladen.

Man kann eigentlich kaum sagen, wo der Spanier ganz besonders der Klatschsucht obliegt. Für Madrid ist die Puerta del Sol um die elfte Vormittagsstunde der Markt für Neuigkeiten; um diese Tageszeit macht der große Platz immer den Eindruck, als ob ein Pronunciamiento, eine aufrührerische Kundgebung gegen die Regierung, beabsichtigt wäre. Nächstdem dient zu diesem Zweck der Paseo oder die Alameda, die öffentliche Promenade, und diese gilt für alle Städte als Zusammenkunftsort der feinen Welt für gewisse Tagesstunden, wobei das Zurschaustellen der Kostbarkeiten und prächtigen Kleidung, das Sehen und Gesehenwerden, auch das Sprechen und Besprechen der Hauptzweck ist. In späten Abendstunden, wenn die Promenade im Prado und Buen Retiro in Madrid beendet ist, garnirt man, das heißt das männliche Geschlecht, mit seiner Gestalt die Straßenecken, die Eingänge in die Cafés und die äußern Mauern derselben und macht seine Bemerkungen über die Vorübergehenden, bis man sich zu weiterem erbaulichem Klatsch in das Innere eines Cafés begiebt und sich dort über einem Täßchen Chocolade, über einem Glase Orchata con chufas, Eis, Chico chico oder andern Getränken die Zeit vertreibt, wenn man nicht das Bedürfniß fühlt, noch in einem politischen Club seine Lungen in höherem Maße zu erweitern und zu stärken, als es der Café-Klatsch ermöglicht.

Setzen wir nun unsern Stab in die ultima Thule des südwestlichen Europa: nach Portugal.

Das Klima ist dort für den Nordländer gefährlich, wohl auch für den Eingeborenen selbst, sollte man denken: denn nirgends findet man so viele Apotheken wie dort. Schlagen wir aber die statistischen Bücher auf, hätte ich beinahe gesagt, als ob es derartige Bücher dort gäbe; die Statistik ist daselbst eben noch ein ganz kleines Kind; informiren wir uns also über die Sterblichkeit, so ergiebt sich als Resultat, daß sie doch merkwürdig gering ist – vielleicht wegen der vielen Apotheken? Nun gut, es passirt uns möglicher Weise das Unglück, uns unwohl zu fuhlen; wir gehen daher in eine Apotheke, um dort ein Präservativ oder ein Heilmittel zu kaufen. Es ist Abend, und wir sind vielleicht erstaunt, den Laden, der uns als Apotheke bezeichnet worden, mit Herren gefüllt zu sehen, die dort offenbar wenig oder nichts zu thun haben. Wir denken vielleicht, es werde dort eine politische oder andere Versammlnug abgehalten und wir haben den rechten Ort verfehlt. Lassen wir uns nicht abschrecken, wagen wir uns nur hinein! Die Ruhe, die dort herrscht, beweist uns, daß wir keine politische Versammlung stören; man verhält sich still; man beobachtet die Ringlein des Rauchs der Cigarette und hört, nur dann und wann eine spöttische Bemerkung fallen lassend, auf einen der Anwesenden, der mit schwindelerregender Geschwindigkeit und bewunderungswürdiger Ausdauer in einer zungenbrecherischen Sprache, die aus lauter Nasenlauten, Zischlauten, Consonanten und etlichen „U“ zu bestehen scheint, einen Vortrag hält. Unser Eintritt in den Laden ruft allerdings eine Veränderung hervor; der Redner schweigt, und wir werden nun der Gegenstand sämmtlicher anwesenden dreißig bis vierzig Augen, Pincenez, Monocles und was es sonst fur Werkzeuge zur Unterstützung der Sehnerven geben mag; mit portugiesischer Gemächlichkeit erhebt sich allmählich oder löst sich von einer der Gruppen, die sich gebildet haben, einer der Herren, tritt hinter den Ladentisch, um uns zu fragen, was wir wünschen, und uns dann zu erklären, daß das Gewünschte nicht vorhanden ist. Während dessen hören wir spitze Bemerkungen über unsere Kleidung, unser Portugiesisch – kurz, man lacht über uns und macht Witze auf unsere Kosten. Das Alles darf uns nicht im Geringsten beirren; denn erstens müssen wir wissen, daß der Portugiese stets den Schalk im Nacken hat und zu Späßen geneigt ist, und daß wir ferner in das tollste Wespennest gefallen sind; denn die Apotheke ist der Ort, an dem der Portugiese kannegießert und seinen Klatsch auskramt. Außerdem versammelt man sich auch noch, gerade wie in Spanien, an den Außenseiten der Cafés, macht Glossen über die Vorübergehenden und arbeitet für Mutter Fama. Stundenlang sieht man die Leutchen dort an einer Stelle stehen, ihre Cigaretten rauchen, mit den Stöckchen spielen und – klatschen.

Gehen wir nun einmal, da wir so nahe sind, nach Afrika hinüber; nach ’’Marokko, Tunesien, Tripolis’’. Da ist der Fondug für die niederen Classen der Reisenden, das Café und der Bazar für alle Uebrigen, was für den Portugiesen die Apotheke, für den Italiener der Coiffeursalon ist; da politisirt und klatscht man über einem Schälchen Mocca. Treten wir in die Bazare von Tunis! Die Kaufleute scheinen da nichts Anderes zu thun zu haben, als ihre Freunde zu empfangen. Ein ambulanter Kawadschi (Kaffeeverkäufer) versieht euch sofort mit dem nöthigen Reizmittel für eure von der Hitze abgespannten Nerven. So, nun macht es euch nur bei irgend einem eurer kaufmännischen Freunde bequem, legt die Schuhe ab, laßt die unbequeme Bank, setzt euch vielmehr hübsch auf den Ladentisch, krenzt die Beine, fertigt euch ein Cigarettchen – so läßt es sich ganz bequem plaudern. Nun schmiedet nur

mit euren Freunden Pläne gegen die Franzosen, überlegt, wie ihr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_494.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)