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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

bis zum Ende. Daß nicht am Niemen, sondern an der Seine der Krieg endige, war schon in Petersburg Stein’s rastloses Streben.

Er zog die Russen herüber zum großen Weltkampfe; er feuerte die Briten an, den nie wiederkehrenden Augenblick rüstig auszunützen; er wirkte nach Deutschland herüber, daß es sich sammele und ordne zum Kampfe für seine Unabhängigkeit; von den denkwürdigen Tagen von Königsberg, Breslau, Kalisch bis Leipzig und Frankfurt ist nichts Großes und Denkwürdiges geschehen, womit sein Name nicht unlösbar verflochten wäre. Hatte Stein in rastloser, geduldiger Arbeit einst die Vorbereitungen zur Erhebung geleitet, so war er nun, da die Stunden des Sieges gekommen, mit gleicher Energie bemüht, die Schwäche und Lauheit in der Ausnutzung der Erfolge zu bekämpfen.

Als bei Leipzig das Gebäude des französischen Imperators zertrümmert lag, war er der Ersten einer, die entschlossen darauf drangen, den Sieg bis zur letzten äußersten Entscheidung zu verfolgen. Von der Newa bis zum Niemen, vom Niemen bis zum Rhein, vom Rhein bis zur Seine hatte er die große Wendung der Dinge führen helfen, und als er endlich siegreich mit den verbündeten Monarchen in die französische Hauptstadt eingezogen war, da war wiederum er der Erste, der zweien Forderungen für Deutschland – Forderungen, die leider erst zwei Menschenalter später sich erfüllen sollten – energischen Ausdruck verlieh: denen nach einer starken Bundesverfassung und nach dem Wiedererwerb des Elsaß mit Straßburg. „Europa ist daran gelegen,“ schrieb er an den Czaren Alexander, „daß Deutschland einer staatlichen und bürgerlichen Freiheit genieße, daß der Souveränetät der Fürsten Grenzen gezogen werden, daß die schreienden Mißbräuche der Gewalt ein Ende nehmen und daß das Herz unseres Welttheils aufhöre, ein weiter Sammelplatz von Unterdrückern und Unterdrückten zu sein.“ Was dazumal, in den Friedensschlüssen von 1814 und 1815, sowie auf dem Wiener Congreß für Deutschland erreicht war, es war zum weitaus größten Theile des Freiherrn vom Stein unvergeßliches Verdienst.

Mit dem Sturz seines Todfeindes, des Kaisers Napoleon, endet auch Stein’s großes öffentliches Leben. In freigewählter Zurückgezogenheit lebte er fortan in kleinerem Kreise, nicht ohne schmerzlich zu empfinden, wie so manche der ihm theuersten Hoffnungen unerfüllt geblieben, aber doch voll Zuversicht in des Vaterlandes Zukunft und voll reger, warmer Theilnahme an allen seinen Angelegenheiten. Am 29. Juli 1831 beschloß der fast Vierundsiebenzigjährige sein gesegnetes Dasein; zwei imposante Denkmale von Erz – das eine in der Nähe der heimathlichen Burg zu Nassau an der Lahn, das andere im Mittelpunkte der Hauptstadt des von ihm so heiß erstrebten, aber erst vierzig Jahre nach seinem Tode zur Wahrheit gewordenen Deutschen Reiches – sichern auch äußerlich sein Andenken im Herzen unseres Volkes. –

Gleich dem Freiherrn vom Stein tritt auch der um drei Jahre jüngere Neidhardt von Gneisenau erst in Folge der unheilvollen Octobertage von 1806 in den Vordergrund der Ereignisse. Gegenüber der Schande, mit welcher die meisten preußischen Festungen dem siegenden Soldatenkaiser übergeben wurden, trat die Vertheidigung Kolbergs durch Schill und Nettelbeck wie ein glänzender Stern des Patriotismus hervor. Aber Kolbergs Commandant, der alte pedantische General Loucadon, gegen dessen Willen die Festung von den Bürgern und den Schill’schen Freischaaren vertheidigt wurde, war kein Mann für diesen Posten. Die Patrioten um den König sorgten dafür, daß der richtige Mann dorthin gesandt wurde: es war Gneisenau, damals Major und bald darauf Oberst, welcher im Frühjahr von 1807 als Commandant in Kolberg eintraf und die schwache Festung gegen ein schweres Bombardement und einen überlegenen Feind mit einer Umsicht und Energie vertheidigte, die seinen Namen plötzlich weit berühmt machten. Er hielt Kolberg bis zum Tilsiter Frieden, womit dieser Platz für den preußischen Staat gerettet war.

Durch diese Heldenthat aber gehörte Gneisenau fortan zu den wenigen Officieren, zu denen das Volk in jener Zeit der schweren Noth mit Vertrauen aufblickte und die vom Könige mit der Mission, für Preußen ein neues Heer nach neuem System zu schaffen, betraut wurden. Bereits im Juli 1807 trat die Reorganisationscommission zusammen; ihr Vorsitzender war Scharnhorst, der Gneisenau sofort mit hineinzog und diese unersetzliche Kraft am meisten zu würdigen wußte. Jene Männer waren es, welche damals Preußens neues Militärsystem auf volksthümlicher Grundlage und in demokratischem Geiste aufbauten, und wie es sich bewährte, das zeigte zunächst sechs Jahre später der große Befreiungskampf. Gneisenau war einer der eifrigsten Vertreter jener Reformen, die er schon vor der Katastrophe von Jena für nothwendig gehalten hatte; er vor Allen arbeitete mit Scharnhorst die Organisation der Landwehr aus; er vor Allen war auch an jener patriotischen Verschwörung betheiligt, die schon 1808 eine Erhebung des Volkes vorbereitete und alle Kräfte aufbot, den König aus Napoleon’s Bann zu befreien. Umsonst: der König schloß voller Besorgniß vor dem mit Rußland verbündeten Frankreich jenen beklagenswerten Tractat mit Napoleon, der Preußen so ziemlich zur Stellung eines Vasallenstaates herabdrückte. Mit diesem Ereigniß verloren die Patrioten Hoffnung und Muth, und als sodann 1809 auch Oesterreichs Waffen abermals unterlegen waren, da wurden jene Braven, einer nach dem andern, von der französisch gesinnten Hofpartei und von den Napoleonischen Spähern aus der Umgebung des Königs verdrängt. Scharnhorst allem hielt Stand, aber Stein mußte nach Oesterreich fliehen, und Gneisenau, an des Vaterlandes Befreiung verzweifelnd, ging nach England.

Auch jenseit des Canals arbeitete dieser edle Geist unablässig an Preußens und Deutschlands Wiederaufrichtung. Durch Briefe blieb er mit den Patrioten in Verbindung; der König vertraute ihm und betrachtete ihn als seinen geheimen politischen Agenten in London. So kam das verhängnißvolle Jahr 1812, und je mehr sich durch die Vorgänge in Rußland die Hoffnungen wieder belebten, desto eifriger betrieb Gneisenau ein Bündniß mit England für den Fall, daß Deutschland mit Preußen sich gegen den Unterdrücker erhebe. Und als nun endlich die große Stunde schlug, als York der Erste war, der das französische Joch abschüttelte, Ostpreußen in hellem Aufstande war, der König Berlin verließ und Breslau alle Patrioten zum Kriege gegen Napoleon versammelte: da kam am 11. März 1813 auch Gneisenau von England nach der schlesischen Hauptstadt mit der Verheißung englischer Hülfe und dem Versprechen der Landung eines englisch-schwedischen Heeres. Das war ein Wort von entscheidendem Gewicht, und Gneisenau konnte es mit Stolz geben. Denn durch seine Bemühungen vornehmlich, durch seine Reisen nach Stockholm, Petersburg und Wien war dieser Erfolg zumeist ermöglicht worden. Mit Gneisenau aber war ein Dränger nach vorwärts mehr in’s preußische Cabinet gekommen; Hardenberg wurde jetzt bestürmt, der König mit seinem Zaudern übermannt und acht Tage später war der Krieg an Frankreich erklärt. Nach Beendigung seiner politischen Mission trat Gneisenau sofort wieder in den Kriegsrath ein, um gemeinschaftlich mit Scharnhorst den Feldzugsplan zu unterwerfen.

Als Generalmajor und Generalquartiermacher im Blücher’schen Corps entfaltete er fortan jene geniale Thätigkeit eines Feldherrn, die in unzähligen Schwierigkeiten sich glanzvoll erproben sollte; sein militärischer Blick, die rasche Uebersicht, der durchdringende Scharfsinn, die Bestimmtheit, Zweckmäßigkeit und Ruhe seiner Anordnungen haben ihn als Feldherrn dem Genie eines Napoleon als ebenbürtig erwiesen. Als der verwundete Scharnhorst die Armee nach der Großgörschener Schlacht verließ, um sich in Aufopferung für das österreichische Bündniß den Tod auf der Reise zu holen, wurde Gneisenau, sein Freund und Geistesdioskur, der alleinige Chef des Generalstabes, als welcher er mit dem Meisterstück des Rückzuges von Großgörschen und Lützen nach Breslau begann, um hiernächst während des Waffenstillstandes die Organisation der schlesischen Landwehr zu Ende zu führen.

Daß nach Wiedereröffnung der Feindseligkeiten einem Generalstabschef wie Gneisenau – man hat ihn später treffend den Moltke der Befreiungskriege genannt – ein Schlachtengeneral wie der alte Blücher zur Seite stand, war eine selten glückliche Fügung des Geschickes; für Gneisenau’s Kopf war Blücher der ergänzende, thatkräftige Arm, und in einer ununterbrochenen Reihe von Ereignissen, bis zum Ende des Krieges, feierte diese glückliche Vermählung zweier solcher Heldengeister ihre Triumphe. Zuerst an der Katzbach, dann bei dem meisterhaft geleiteten Uebergange der schlesischen Armee über die Elbe bei Wartenburg, dann bei Leipzig, wo das rechtzeitige Eintreffen dieses Corps, trotz des eben bestandenen mörderischen Treffens bei Möckern, von ausschlaggebender Bedeutung für die Entscheidungsschlacht wurde. Am Rheine sollte Halt gemacht werden – so verlangten es die Apostel eines faulen Friedens, aber: „Vorwärts, vorwärts, nach Paris!“ riefen Gneisenau und Blücher und marschirten, sehr zu Napoleon’s Erstaunen, über den Rhein direct auf die französische Hauptstadt, so wie es Gneisenau im Kriegsrathe durchgesetzt hatte.

Und wieder, beim Beginne des Feldzuges von 1815, stand der Unermüdliche als General der Infanterie auf seinem Posten neben Blücher, und Beide haben in jenem letzten furchtbaren Ringen ihre kriegerische Laufbahn mit unsterblichem Ruhme beendigt. Nach der verlorenen Schlacht bei Ligny setzten Gneisenau und Blücher, die Geschlagenen, in Gewaltmärschen dem Sieger nach, erreichten ihn, halbtodt vor Nässe und Erschöpfung, bei Waterloo, wo Wellington kaum noch Stand zu halten vermochte, und – Belle-Alliance war die letzte Schlacht des Kaiserreiches. Zum zweiten Mal sah die französische Hauptstadt, nachdem bei Gemappes und Quatrebras noch die Trümmer des Kaiserheeres vernichtet worden, die sieggekrönten deutschen Feldherren in ihre Mauern einziehen. Nach wiederhergestelltem Frieden erhielt Gneisenau, der schon nach dem ersten Pariser Einzüge in den Grafenstand erhoben worden war, das Gouvernement der Rheinprovinz. 1818 ernannte ihn der König zum Gouverneur von Berlin und 1825 zum Generalfeldmarschall. Als im Frühjahr 1831 der polnische Aufstand sich den preußischen Grenzen näherte, erhielt der alte Feldherr das Oberkommando über die östlichen Armeekorps, aber schon wenige Monate später, in der Nacht vom 23. zum 24. August, erlag er zu Posen der Cholera im Alter von einundsiebenzig Jahren. Auch sein Standbild, inmitten der Stadt Berlin und zur Seite des alten Blücher, hält das Andenken des Helden Gneisenau bei den nachwachsenden Geschlechtern in ehernen Ehren.




Kant’s Grabcapelle in Königsberg. (Mit Abbildung S. 497.) „Cineres mortales immortalis Kantii“ (die sterblichen Ueberreste des unsterblichen Kant) – diese vielsagende Inschrift las man am letzten Februar des Jahres 1804 auf einem Sarge, den die Studirenden der Königsberger Hochschule an jenem Tage nach der in den Arcaden an der Nordseite der Domkirche gelegenen Professorengruft trugen. Kant, der unsterbliche Denker, hatte am 12. Februar jenes Jahres das Zeitliche gesegnet.

Fünf Jahre nach diesem Begräbniß ehrte ein Freund des Verstorbenen, Kriegsrath Scheffner, das Andenken Kant’s, indem er die Professorengruft in eine bedeckte Spazierhalle für die im Collegium Albertinum Wohnenden verwandeln ließ. Die Stelle, an welcher die irdische Hülle des großen Philosophen ruht, wurde damals durch einen einfachen Sandstein mit einer lateinischen Inschrift (vergl. unsere Abbildung S. 497) bezeichnet, die in deutscher Uebersetzung also lautet:

„Grabstätte
Immanuel Kant’s,
geboren am 22. April 1724
gestorben am 12. Februar 1804.

Dieses Denkmal widmete ihm sein Freund

Scheffner 1809“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_503.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)