Seite:Die Gartenlaube (1881) 507.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

um so mehr, je mehr er erwarb. Ohne es Richard am Nothwendigen fehlen zu lassen, erhielt er ihn nach allen Richtungen hin bei strenger Diät. Der Sohn ertrug jede vom Vater geteilte Entbehrung als selbstverständlich, und war nicht wenig ergriffen, als Dieser ihm ganz unerwartet Freiheit und Mittel bot, seinen heißesten Wünschen zu folgen. Sobald Richard's Abiturientenexamen bestanden war, sandte der Alte ihn nach Rom und Paris, um Kirchen- und Opernmusik zu studiren und sich in der Compositionslehre zu vervollkommnen; er griff hierzu sogar sein kleines, wohlgehütetes Capitalvermögen an. Des Jünglings lange gebundene Flügel regten sich kräftig; wechselnde Affecte gingen durch seine Tage; seine Intelligenz fand vielfache Anregung, der Brennpunkt seines Daseins war und blieb aber die Musik.

Der Name des jungen Künstlers ward bekannt; Empfehlungen und Förderung boten sich ihm sowohl in der Fremde wie in der Heimath; sein originelles Compositionstalent fand Anerkennung und gewann ihm die Unabhängigkeit, welche seinem Naturell unentbehrlich war. Im Lauf der Jahre wurde ihm der Dirigentenstab derselben städtischen Capelle angeboten, welcher sein nun hingeschiedener Vater als Mitglied angehört hatte; er mochte sich aber nicht für lange Dauer binden und hatte vorgezogen, die weniger reichlich dotirte, aber unabhängigere Stellung als Capellmeister eines Musikvereins anzunehmen, dessen Kräfte immerhin gut waren, welcher aber nur einen Theil seiner Zeit in Beschlag nahm. Ein Sturm, der plötzlich durch die Welt brauste, hob diese Verpachtung auf, indem er den Musikerverein gleich manchen anderen, in alle Winde verwehte – das Jahr 1848.

Fügen war Idealist; arglos, leicht entzündbar, aber auch leicht abgestoßen, niemals fähig sich nach einer andern Decke zu strecken, als der seiner Individualität, würde er sich vielleicht in Leidenschaften verbraucht haben, hätte nicht die Kunst jede gefährliche Rivalität zurückgedrängt. Persönlichkeiten wirkten weniger stark auf ihn, als Ideen; was über dem Treiben gemeinen Lebens stand, riß ihn leicht hin. So kam es, daß ihn das Revolutionsjahr in seine Wirbel zog. Sein braves Herz hatte sich allzeit empört, wenn er das Elend Armer, Unterdrückter sah; feurig erfaßte er das drastische Heilmittel einer Weltverbesserung, die er im idealsten Sinne begriff und mitzugestalten ersehnte. Welch ein Schmerz aber ergriff ihn, als er den Giganten, an den er geglaubt, schon nach kurzer Zeit in schwache verzerrte Linien zerfließen sah! In den Reihen, in die er sich gesellt, wurde es schwüler und schwüler; statt männlichen Wirkens kamen zügellose Phantasien zu Worte, und der Entschluß, sich alledem wie durch einen Ruck schnell zu entziehen, erwachte in ihm als Selbsterhaltungstrieb. Menschen und Dinge waren ihm verleidet; es litt ihn nicht mehr in der Hauptstadt, wo er sich täglich mehr ernüchtert und abgestoßen fühlte.

Diese Stimmung hatte den Meister nach Tirol geführt, wo er sich im Umgang mit schlichten Leuten, ein paar Lieblingsbüchern und seinen Gedanken wieder auf seine eigenen Ziele zu besinnen versuchte. Und nun fand er sich ganz unerwartet wohlgeborgen in fremder Häuslichkeit. Fast ohne sein Zuthun war ihm das geworden, wie im Märchen Wünsche ausgesprochen und durch gute Feeen sofort erfüllt werden. Es kam ihm vor, wie ein paradiesischer Traum nach unleidlichem Alpdruck. Der stets in einem Winkel seines inneren Menschen auf der Lauer stehende Enthusiasmus bemächtigte sich seiner Stimmung, und bald wogten auch musikalische Gedanken vor ihm auf, noch unfaßbar wie ziehende Wolken, aber auch darin den Wolken gleich, daß sich Umrisse bildeten, farbige, goldbesäumte. Es ward ihm glückselig zu Muthe; Tage und Wochen glitten ihm so freudig dahin, daß er sich selbst zuweilen ein wenig närrisch vorkam, weil sich doch eigentlich gar nichts Besonderes mit ihm zugetragen hatte.

Darin freilich irrte er; denn mit Einem, der nie ein wirkliches Hausleben gekannt und nun dessen wohltuenden Hauch athmet, trägt sich wirklich Besonderes zu. Auf mutterlose Kinderjahre voll Entbehrung war sein achtloses Junggesellenleben gefolgt, das Leben eines Wandervogels, überall und nirgend daheim, selbst dort, wo sein Nest stand, weder kundig noch fähig, sich dieses Nest irgendwie weich auszufüttern. Zum ersten Mal im Leben fand er sich als Glied eines geordneten Haushaltes, in Frauenpflege, im Genuß eines Comforts, den er täglich, stündlich als unendliches Behagen empfand, wenn er ihn auch zuvor nie vermißt hatte. Kein Unberufener störte ihn bei all seinem Dichten und Trachten; nach überreichen Stunden einsamen Schaffens warteten Anregung und Ruhe zugleich auf ihn, und das Alles genoß er daheim. Wie köstlich war ihm das, wie neu und lebenswerth!

Die Tage gingen auf der Moosburg in rhythmischem Schritt, einfach und gleichmäßig. Zwei weibliche Dienstboten besorgten Haus und Feld in stiller Weise, und Jana traf dafür die Anordnungen. Tags über bekam der Gast die Hausfrau niemals, Jana nur vorübergehend zu sehen; diese war dann immer mit den Kindern oder mit Blumen beschäftigt. Von seinem Fenster aus sah er sie das im Herbstflor stehende dem Wiesenplan abgewonnene Gärtchen pflegen, auch die letzten Früchte des Jahres sammeln.

Das einfache, aber stets sorgsam bereitete Mittagsmahl wurde dem Gast auf seinem Zimmer servirt, aber das Abendbrod, überhaupt die Abendstunden, genoß er mit den Frauen. Dies hatte sich anfangs nur ab und zu, halb zufällig ergeben, ward aber bald zur stehenden Gewohnheit. Schon zur Zeit seines Einzuges begannen sich die Tage zu kürzen. Das Einbrechen der Dunkelheit bestimmte die Zeit, zu welcher Frau von Riedegg in ihrem Wohngemach, einem Eckzimmer, sicher zu treffen war und der Hausgenosse sich willkommen wußte, er mochte sich früher oder später einfinden.

Dieses Eckzimmer, zwischen dem an die Terrasse grenzenden Saal und der Kinderstube gelegen, fand er besonders warm und traulich. Es war bis zur halben Höhe getäfelt; den übrigen Theil der Wände deckten alte Gobelins, deren noch frische Farben verschiedene Jagdzüge darstellte, figurenreich und lebendig, und die Einrichtung stimmte zum Charakter dieser Wandbekleidung. Auf geschnitzten Schränken standen Gruppen von Majoliken, dazwischen schwere deutsche Krüge und schlanke Gläser aus Venedig. Jetzt, bei schon vorgerückter Jahreszeit, war der getäfelte Boden mit einem dichten Teppich belegt.

In der Nähe des riesenhaften Ofens, dessen blaßgrünen Kacheln Scenen aus dem alten Testament eingebrannt waren, stand der ovale schwere Tisch, auf welchem das Material für die Abendbeschäftigung der Frauen ausgebreitet lag. Fügen wußte nun, daß er der Schloßherrin „Unrecht gethan“, als er ihre zurückgezogenen Stunden schöngeistiger Thätigkeit gewidmet glaubte. Sie schriftstellerte nicht, nein, sie brachte diese Zeit damit hin, Fächer zu malen, welche einem Geschäftshause in der Residenz zugingen. Als Fügen einmal Jana beim Einpacken einiger dieser zierlichen Kunstwerke betraf, zeigte sie ihm dieselben. Er verstand sich wenig auf Malerei, um so besser aber auf die Natur, und war entzückt von der Grazie dieser Blüthen und Phantasiegewinde, welche nur künstlerische Begabung so erdacht und ausgeführt haben konnte.

Obgleich Frau von Riedegg in seiner Gegenwart von dieser Uebung nicht sprach, wie sie sich denn überhaupt nicht über ihr Thun und Lassen zu äußern pflegte, so that sie doch auch nicht heimlich damit. Nicht selten nahm sie statt der Nadelarbeit des Abends eine ihrer Mappen zur Hand, um unter mancherlei Skizzen eine Wahl zu treffen, und zog Fügen's Geschmack dabei zu Rate. Die Behaglichkeit, welche er im Hause genoß, erhöhte sich ihm, seit er wußte, daß er nicht der Kostgänger einer vornehmen Müßiggängerin sei. Genovevas Persönlichkeit imponirte ihm nach wie vor, die Entdeckung aber, daß sich in dieser Juno eine den Anforderungen des Lebens tapfer gegenüberstehende Frau, eine Arbeiterin, gewissermaßen eine Künstlerin verberge, brachte sie ihm innerlich näher und machte sie ihm zugleich um Vieles interessanter, wie sie denn überhaupt seine Gedanken besonders dann oft beschäftigte, wenn er sich nicht in ihrer Gegenwart befand. Ihre Verhältnisse schienen ihm klar vor Augen zu liegen. Eine junge Wittwe, bei vornehmer Gewöhnung in ihren Mitteln beschränkt, und so darauf angewiesen, ein abgelegenes Eigenthum zu bewohnen, vielleicht weil Erinnerungen es ihr lieb machten, vielleicht auch weil es bei gegenwärtigen Zeitläuften nicht verkäuflich war, oder die alten Lebensgewohnheiten sich nur so durchführen ließen – was konnte ihm einleuchtender, wahrscheinlicher erscheinen? Daß sie mit ihrem Gatten hier gewohnt hatte, daß derselbe während einer Reise plötzlich auswärts verunglückt und die so hart Betroffene dann mit Kind und Gesinde aufgebrochen war, um erst nach einigen Jahren zurückzukehren, das war ihm schon früher erzählt worden. Wie kam es trotzdem, daß er das Gefühl nicht los werden konnte, in dieser Frau ein Rätsel vor sich zu haben? Vielleicht lag das aber nur in dem Contrast, der zwischen ihrer Lage und ihrer Persönlichkeit bestand Genoveva gab sich zwar einfach, aber sie war es nicht. Ihr geistreiches Gespräch, das nicht selten zu feuriger Lebhaftigkeit

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_507.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)