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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

und nieder. In dem schwarzen Tuchkleide, eine Spitzenhülle leicht über den Kopf geworfen, glich sie einem Schatten, dunkel und geräuschlos.

Fügen’s Augen und Gedanken folgten ihr nach; so oft sie während ihres Wanderns in den Bereich der einzigen Lampe trat, die noch brannte, erschien ihm die herrliche Gestalt imposanter als je; zu keiner Stunde hatte ihre dunkle Schönheit einen so übermächtigen Eindruck auf ihn geübt, während ihn zugleich der scharfe Gegensatz überschauerte, der sich zwischen ihrem Denken und Empfinden und dem seinigen fühlbar machte. Eine Fluth widersprechender Gedanken quoll in ihm auf; all das Ungesagte lag schwer wie eine Bürde aus seinem beunruhigten Geiste. Während er so stumm saß, dem Fenster abgekehrt, erinnerte ihn eine leichte Berührung seines Armes an die vergessene Nähe Jana’s, welche sich die ganze Zeit über schweigend verhalten hatte. Auch jetzt sprach sie nichts, sondern deutete nur hinab.

Die hellen Kirchenfenster erloschen hier und dort; dafür sammelten sich dicht neben den Gotteshäusern eine Menge zitternder Lichtfunken, schwebten eine Weile auf und nieder wie Glühwürmchen um Johanni und bewegten sich dann, gleich goldenen Linien, vorwärts. Die Fackeln waren auf den Kirchhöfen neu entzündet worden, und nun zogen die vereinzelt Gekommenen in Processionen nach Hause. Wandernde Wolken verhüllten den Mond, doch blieb die Nacht durchsichtig – jeder einzelne der funkelnden Sterne schien zu beben. Eindringlicher noch als zuvor ergriff die keusche Ruhe dieser klaren Winternacht Fügen’s Gemüth; gleich allen Musikern hatte er instinctives Landschaftsgefühl, welches sich leicht seiner Stimmung, nicht selten seinen Compositionen einprägte. Die eben empfundene Dissonanz zerfloß vollends in Harmonie, als Jana mit ihrer sanften, innigen Stimme halblaut sagte:

„Ich danke Ihnen.“

„Wofür?“ fragte er ohne Erstaunen im liebreichsten Ton.

„Für Ihre Worte vorhin! Es ist so wahr, daß der Himmel tausendmal mehr schenkt, als er Einem schuldig wäre, und – es macht mich so froh, daß Sie, klug und gelehrt, doch auch getreu an Gottes Walten glauben. Sie haben Religion – wie viel lieb ist das!“

Jana hatte sich, während sie sprach, ein wenig vorgebeugt; ihr feines Gesicht sah im blassen Sternenlicht wie von Freude durchgeistigt aus. Er nahm ihre Hand in die seine und sagte etwas hastig, wenn auch in gleich gedämpftem Tone:

„Wer weiß, ob Sie mit mir zufrieden bleiben, wenn wir einmal mehr hierüber sprechen! Eins aber ist wahr: gewiß, gewiß, ich habe Religion. Und so, wie ich sie verstehe, ist sie mir, was dem Menschen sein Vaterland, dem Kinde seine Wärterin. Man kann sich davon zeitweise entfernen, dann aber sehnt man sich danach.“ Er brach ab und wandte den Kopf der Tiefe des Saales zu. „Sie geht in die Fremde,“ sagte er. „Ob sie sich aber sehnt? Mir scheint eher, sie will noch weiter fort.“

„Sie ist nur verschiedenen Glaubens,“ sagte Jana traurig. „Ich kenne davon nicht viel, aber es giebt dabei Manches, was anders ist als bei uns und nicht so tröstlich. Seit ich mit ihr lebe, weiß ich ja, daß es nichts Schlimmes ist um die Protestanten, aber sie dauern mich. Denken Sie nur Eins – sie kennen es nicht, daß man für seine Todten betet, was doch Christenpflicht ist. Da mein’ ich, müßt es sich noch viel bitterlicher weinen, weil man gar nichts mehr thun kann, als eben weinen.“

„Haben Sie denn für einen lieben Todten zu beten, Jana, weil Sie das so gut wissen?“ fragte er treuherzig.

Sie fuhr zusammen und löste ihre Hand plötzlich aus der seinen. Ohne zu antworten, stand auch sie nun auf, drückte einen Moment ihre Stirn gegen die kalten Scheiben, ging dann mit ihrem gewohnten leisen Schritt nach dem Tische, wo etliche Leuchter standen, und zündete die Kerzen an. Eben schlug es auf der alten Stutzuhr Eins.

Genoveva, von dem Klang und zugleich vom helleren Lichte berührt, näherte sich.

„Gute Nacht,“ sagte sie im gewohnten melodischen Ton. Jede Spur der leidenschaftlichen Regung, welche zuvor in ihren Zügen aufgeloht, war daraus verschwunden. Als sie Fügen die Hand bot und ihr Auge seinem ernst forschenden Blicke begegnete, irrte ein Lächeln um ihre Lippen. Es schien ihm ironisch – das verdroß ihn. Er wandte sich etwas rasch ab, und war im Begriff, während Genoveva vorausging, noch ein Wort an Jana zu richten. Als er aber aus ihrer Hand den Leuchter nahm, sah er große Tropfen an ihren gesenkten Wimpern hängen. Nun blieb er einen Moment vor ihr stehen, sagte aber nur. „Gute Nacht!“ und ging nach seinem Zimmer, ohne sich weiter umzuschauen.

„Wer mag aus Frauen klug werden!“ dachte er und sann sich erst spät in den Schlaf hinein.




10.

Die Tage wurden länger, und schon lockten einzelne milde Stunden in’s Freie. Weiden und Erlen blühten als Verkünder des nahen Frühlings; zwar schlüpfte noch kein grüner Keim aus dem Boden, aber dennoch begann es sich im Schooß der Erde zu regen. Im Thale quollen allerwärts lang gefesselte Wasser dem Inn entgegen, und wenn andere ihres Gleichen auch in der Klamm, den Schluchten der Berge noch seufzten verrieth schwaches Glucksen doch schon, wie bald auch sie den Schnee überwältigt haben würden, der sie bändigte; schon tropfte es leise von Stein zu Stein.

Fügen weilte noch immer auf der Moosburg. Seit er die Composition eines großen Musikwerkes begonnen, galt es als selbstverständlich, daß diese Aufgabe hier vollendet werde. Er ward längst nicht mehr als Gast, sondern als zum Hause gehörig betrachtet; man hatte sich nicht nur in einander eingelebt; es waren auch allerlei Beziehungen und Aufgaben entstanden.

Fügen’s Erbieten, den unterbrochenen Clavierunterricht Jana’s seinerseits wieder aufzunehmen, wurde von Dieser mit heimlicher Freude, von Genoveva mit aufrichtiger Dankbarkeit ergriffen. Niemand hätte gewagt, an den Meister selbst solches Ansinnen zu stellen da es aber von ihm ausging, wurde die erfreuliche Gelegenheit, Jana so weit vorwärts zu bringen, daß sie künftig ihre Lieder sich selbst begleiten könnte, als große Annehmlichkeit geschätzt. Fügen brachte damit kein Opfer, weil Jana ihm nicht nur sympathisch, sondern auch durch und durch musikalisch war. Bestimmte Stunden wurden festgesetzt und pünktlich eingehalten.

Im Verlaufe der Zeit nahm der Meister noch einen zweiten Schüler an. Jana’s jüngster Bruder Lois kam jeden Sonntag Nachmittags sie zu besuchen – nicht blos der Schwester, sondern auch der Kinder wegen, welche dem schweigsamen Knaben sehr anhingen, und denen er ein unermüdlicher Spielgefährte war. Von Maxi ließ er sich sogar tyrannisiren. Sein ernstes, nachdenkliches Gesicht war Fügen schon beim ersten Zusammentreffen an der Mühle aufgefallen und im Laufe der Zeit, als Lois seine Scheu etwas überwunden hatte, ward der Mann durch die künstlerischen Instincte des Knaben wiederholt frappirt. Als ihn Fügen einmal des Sonntags, nachdem Jana’s Uebungsstunde beendet war, vor dem Flügel ertappte, wo Lois sich ein eben gehörtes Mozart’sches Thema mit merkwürdigem Gedächtniß auf den Tasten zusammensuchte, warf er die Frage hin, ob er wohl auch Lust hätte, Clavierspielen zu lernen? Ein leidenschaftlicher Freudenblitz, der aus des Knaben meist so dämmernden Augen brach, war Antwort genug.

Seitdem besaß der Meister einen regelmäßigen Sonntagsschüler. Nicht die Lernenden waren es aber, denen sein höchstes Künstlerinteresse zugehörte – dies galt einem kaum erst erwachenden Ohre. Sobald der Flügel erklang, ließ Fügen’s Liebling, der kleine Siegmund, vom liebsten Spiele, schlich sich in das Musikzimmer und blieb dort regungslos in einer Ecke sitzen, bis er plötzlich, gleichsam überwältigt, hinweglief oder gar in Schluchzen ausbrach; das geschah ihm namentlich bei großer Musik. Jana strebte das Kind fern zu halten; seine Mutter war anderer Meinung. Sie that ihm niemals Zwang an, diesen Nervenreiz zu überwinden, verbot aber, ihn zurückzuhalten, wenn er in stets wiederkehrendem Drange den Tönen zustrebte, welche ihn doch zu foltern schienen, sobald sie ausdrucksmächtig wurden. In diesem Punkte stimmte Fügen mit ihr überein, was sonst nicht oft der Fall war, wenn es sich um Siegmund handelte. Zu Allem, was er an Frau voll Riedegg ungewöhnlich fand, gehörte auch ihr Verhalten dem kleinen Sohne gegenüber. Mit welcher Leidenschaft sie ihn liebte, verrieth jeder unbewachte Augenblick; er war offenbar der Mittelpunkt, der Brennpunkt ihres Daseins. Diese Liebe war aber von einer Strenge durchwoben, welche bei Siegmund’s zartem Alter fast übermäßig erschien. Unverkennbar strebte Genoveva, ihn auf alle Weise körperlich und geistig zu stählen. Nie gab sie ihm gegenüber einem Impulse nach; nie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_523.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)