Seite:Die Gartenlaube (1881) 526.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

ihr eine Linke, an ihrer Spitze der oftpreußische Freiherr Leopold von Hoverbeck, dessen schneidige Entschiedenheit dem westfälischen Baron sehr bald eine widerwillige Achtung abzwang.

Am 7. Februar 1881 kam es zum Bruch. Bei der Adreßdebatte wurde ein von Hoverbeck dahin gestelltes Amendement, daß dem Könige die Führung des deutschen Heeres übertragen und Preußen die ihm gebührende Stellung „an der Spitze des deutschen Bundesstaates“ eingeräumt werde, von der Mehrheit der Fraction verworfen, und es schied nun eine Anzahl Mitglieder, darunter auch von Forckenbeck, aus. Sie traten mit Taddel, Waldeck und einigen anderen „Wilden“ vorläufig zu einem parlamentarischen Verein zusammen, der aus neunzehn Abgeordneten bestand und den ihm von Vincke augehängten Spottnamen „Junglitthauen“ selbst acceptirte.

Angesichts der Neuwahlen galt es nun, eine Vereinigung aller entschiedenen Liberalen, wie sie im Nationalverein für das Volk sich vollzogen hatte, auch im Parlamente herzustellen. Sie glückte. In einer Versammlung zu Berlin am 8. Juni 1881 unter dem Vorsitze des Professor Virchow wurde das Programm einstimmig festgestellt, das dann die Zeitungen vom 9. Juni 1881 veröffentlichten. Unterzeichnet war es von den bekannten Parlamentariern und fünfzehn Berlinern, darunter von späteren Abgeordneten die Professoren Mommsen und Virchow, Dr. Langerhans, Franz Duncker, von Unruh, sowie die Redacteure der „Vossischen Zeitung“, der „Volkszeitung“ und der „Nationalzeitung“.

An diesem Programm hält die deutsche Fortschrittspartei noch heute fest; es ist unter dem 24. März 1877 nur neu formuliert und auf Grund der veränderten Verhältnisse hier und da bestimmter gefaßt und erweitert worden. Bemerkenswerthe Sätze sind insbesondere folgende:

„Wir sind einig in der Treue für den König und in der festen Ueberzeugung, daß die Verfassung das unlösbare Band ist, welches Fürst und Volk zusammenhält.

Für unsere inneren Einrichtungen verlangen wir eine feste liberale Regierung, welche ihre Stärke in der Achtung der verfassungsmäßigen Rechte der Bürger sieht und es versteht, ihren Grundsätzen in allen Schichten der Beamtenwelt unnachsichtlich Geltung zu verschaffen.

In der Gesetzgehung scheint uns die strenge und consequente Verwirklichung des verfassungsmäßigen Rechtsstaats eine erste und unbedingte Nothwendigkeit.

Für die Ehre und die Machtstellung unseres Vaterlandes, wenn diese Güter durch einen Krieg gewahrt oder erlangt werden müssen, wird uns niemals ein Opfer zu groß sein; im Interesse einer nachhaltigen Kriegführung aber erscheint uns die größte Sparsamkeit für den Militär-Etat im Frieden geboten.“

Die neue Partei, welche zuerst den Muth hatte, in dem Parlamente eines Einzelstaates die Einigung Deutschlands auf ihr Banner zu schreiben, und als deutsche Fortschrittspartei in das preußische Abgeordnetenhalls zu einer Zeit einzog, wo die Reichsfreundlichkeit durchaus noch nicht unbedingt populär und nach oben zweifellos nicht „opportun“ war, errang um Wahltage, dem 8. December 1881, trotz aller gegnerischen Anstrengungen einen glänzenden Sieg. Doppelt und dreifach wurden die namhaftesten Fortschrifttsmänner gewählt, durunter der durch sein Duell mit dem General von Manteuffel schnell berühmt gewordene Berliner Stadtrichter Karl Twesten; zweiundachtzig Mitglieder zählte die offizielle, zwanzig die sogenannte „stille Fortschrittspartei“ in dem am 14. Januar 1862 zusammentretenden Abgeordnetenhaus, das schon am 11. März aus Grund des Hagen’schen Antrages wieder ausgelöst wurde. Das neue Haus zählte hunderteinundvierzig Fortschrittsmänner. Es befand sich einem streng conservativen Ministerium gegenüber; die „neue Aera“ hatte abgewirthschaftet, der Kriegsminister von Roon die Armeereorganisation durchgeführt, ohne die erforderlichen Mittel bewilligen zu lassen. Am 18. September 1862 ward der erste Autrag der Budgetcommission auf Sonderung und Streichung der Kosten für die ungesetzlichen Maßnahmen angenommen, und drei Tage später traf Herr von Bismarck-Schönhausen aus Paris ein, um seinen Botschafterposten mit dem des Ministerpräsidenten zu vertauschen. Er hatte sich in den Anfängen des preußischen Parlamentarismus 1847 und 1848 als einen der schneidigsten rnd rücksichtslosesten Vorfechter der äußersten Rechten bemerklich gemacht, war beim Bundestag nicht minder streitbar gegen das österreichische Uebergewicht aufgetreten und alsdann in Petersburg, zuletzt am französischen Hofe gewesen, wo er den Kaiser Napoleon und den Cäsarismus aus das Schärfste beobachtet und eingehend studirt hatte. Mit seiner Berufung erreichte der Militärconflict sofort den Höhepunkt. Nicht um die Sache, um die Form handelte es sich, und der Kampf wurde geführt um die grundlegenden verfassungsmäßigen Rechte der Volksvertretung.

Die Regierung scheute kein Mittel; denn es erfolgten Auflösung über Auflösung, Maßregelung der liberalen Beamten, Knebelung der Presse durch die berüchtigten Ordonnanzen, Eingriffe in das Versammlungsrecht, sogar in die Redefreiheit der Abgeordneten. Fest und unerschütterlich stand das Parlament und treu zu ihm das Volk, das, durch nichts eutmuthigt oder irregeführt, immer wieder die tapfern Streiter für Recht und Verfassung wählte.

Ein neuer Feind war dem liberalen Bürgerthum erstanden: Ferdinand Lassalle hatte die Socialdemokratie begründet und drohte den „Bourgeois“ mit dem aus der Ferne tönenden Schritt der heranziehenden Arbeiterbataillone. Herr von Bismarck schien eine zeitlang an die Möglichkeit einer Bundesgenossenschaft zu glauben; er hatte Berührungen mit dem genialen Agitator und ermöglichte durch königliche Unterstützung den sehr bald kläglich gescheiterten Versuch einer Fabrik auf socialistischer Grundlage. Die Liberalen dagegen nahmen sofort den Kampf auf, und bis heute noch giebt es keine unversöhnlicheren Gegensätze und Gegner, als Fortschrittspartei und Socialdemokratie, die Partei des aus Selbsthülfe und Selbstverantwortlichkeit beruhenden Rechtsstaates und die Anhänger einer jeden Einzelwillen und alle Selbstbestimmung vernichtenden Staatsallmacht.

Nur in einem Punkte hatte das Ministerium Bismarck der unbedingten Unterstützung der Abgeordnetehausmehrheit sich erfreut, bei Verfolgung der gesunden preußischen Freihandelspolitik, welche den durch die Mittelstaaten abgelehnten französischen Handelsvertrag wieder zu Stande brachte und selbst Oesterrreich zu einer liberalen Tarifreform nöthigte.

Inzwischen – nach siegreicher Beendigung des dänischen Krieges – waren die eroberten Herzogtümer an die beiden deutschen Großmächte abgetreten; der Nationalverein protestirte gegen die Annexion und agitirte auf das Lebhafteste für das Selbstbestimmungsrecht der Schleswig-Holsteiner und die Einsetzung des Augustenburgers. Das preußische Abgeordnetenhaus schwieg in dieser Frage, und dadurch wurde das Mißtrauen der mittel- und süddeutschen Liberalen wieder rege. Der vierjährige Conflict mit seinen vielfachen Rechts- und Versassungsverletzungen und dem budgetlosen Regiment hatte Preußen um alles Vertrauen und jede Zuneigung gebracht, und als es plötzlich am 9. April 1866 bei dem Bundestage einen constitutionellen Antrag stellte, erklärte der Ausschuß des deutschen Nationalvereins unter lauter Zustimmung, das deutsche Volk werde niemals an eine ihm von Preußen in Aussicht gestellte Verfassung glauben, „so lange die preußische Verfassung ein todter Buchstabe ist“.

Der schon im Februar entlassene Landtag ward im Mai aufgelöst, als der Krieg Deutscher gegen Deutsche unvermeidlich geworden. Das Budget war wiederum nicht zu Stande gekommen; Gelder zur Kriegsführung hatte die Regierung, welche das Bewilligungsrecht des Abgeordnetenhauses grundsätzlich bestritt, gar nicht verlangt, das Parlament daher niemals in der Möglichkeit sich befunden, durch Gewährung oder Versagung der Mittel seine Stimmung auszudrücken. Die deutsche Fortschrittspartei erklärte in ihrem Wahlaufruf vom 20. Juni, daß nach Lage der Dinge und Mangels jedes Einflusses der Volksvertretung der nun einmal entstandene Krieg geführt werden müsse, sein Ziel aber kein anderes sein könne und dürfe, „als die Wiederherstellung Deutschlands, geeinigt auf dem Boden der Freiheit und des Volkswohls durch eine Verfassung“.

Wenn die Partei im norddeutschen Reichstage mit vierunddreißig anderen Abgeordneten gegen die Bundesverfassung stimmte und im preußischen Landtage gleichfalls die Ablehhnung votirte, so geschah dies nicht aus Widerstreben gegen die deutsche Einheit, sondern wegen ungenügender Ausdehnung und Sicherstellung der Volksrechte in dem vorgelegten Entwurf. Waldeck betonte nachdrücklich, daß Bündniß wie Einheit an sich vollständig feststehen und durch die Ablehnung dieser Verfassung die Sache, für welche die Partei einstehe, nicht im mindeste gefährdet sei, sondern nur gewinnen könne.

Im preußischen Volke hatte während des Krieges eine rückläufige Bewegung begonnen, und bei den um Schlachttage von

Königgrätz stattfindenden Wahlen verloren Fortschrittspartei und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_526.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)