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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

zu Tage gekommenen Meinungsverschiedenheiten wegen austraten. Dieser Erfolg der Regierung und die Art, wie sie ihn erreicht, wurde verhängnißvoll Zwar suchte sich Bismarck zu Anfang des Winters in vertraulichen Gesprächen mit angesehenen Abgeordneten der Fortschrittspartei wieder zu nähern, als aber anläßlich der Verhaftung des Reichstagsabgeordneten Majunke der Reichstag auf Antrag Hoverbeck’s dafür Sorge zu tragen beschloß, daß ohne seine Genehmigung während der Sitzungsperiode kein Abgeordneter verhaftet werde, reichte Bismarck seine Entlassung ein. Er zog sie zwar schleunigst wieder zurück, aber der Vorgang hatte auf die Nationalliberalen einen so tiefen Eindruck gemacht, daß sie den gelegentlich wiederkehrenden Rücktritts-Androhungen des Reichskanzlers gegenüber zu vergleichsweiser Beilegung von Streitpunkten immer geneigter sich erwiesen.


Ungarin aus dem Banat.
Nach den „Oesterreichisch-Ungarischen Nationaltrachten“ (R. Lechner’s Verlag, Wien)
auf Holz übertragen

Mit dem Compromiß im Militärgesetz hatte der Reichstag drei Jahre zuvor begonnen; mit dem Compromiß über die Justizgesetze schloß er. Die deutsche Fortschrittspartei hatte sich diesen Abmachungen auf das Entschiedenste widersetzt und rechtfertigte sich in ihrem Wahlaufrufe vom 23. December 1876 vor allem Volke.

Im Wahlkampf selbst ward sie von sämmtlichen Parteien auf das Heftigste angegriffen und galt schon für vernichtet, als am 10. Januar nur 15 Mitglieder endgültig gewählt waren, siegte aber bei den Stichwahlen achtzehnmal und gewann so die alte Stärke wieder, während die Nationalliberalen einen beträchtlichen Verlust erlitten. Die Fortschrittspartei verhielt sich während der nächsten Zeit vorwiegend abwartend und bemühte sich, gewisse im Abgeordnetenhause und Reichstage immer deutlicher hervortretende Pläne des Fürsten Bismarck zu enthüllen und schon in den ersten sichtbaren Anfängen zu bekämpfen, während die Nationalliberalen noch vertrauensselig genug waren, an ein liberales Regiment unter dem Fürsten Bismarck zu glauben. Nach dem Hödel’schen Attentat und der Ablehnung des Socialistengesetzes wurde der Reichstag geschlossen, und als der zweite fluchwürdige Mordversuch auf den greisen Herrscher das ganze deutsche Volk in schmerzliche Aufregung und tiefe Trauer versetzt, am 13. Juni 1878 aufgelöst. Jetzt schien der Augenblick gekommen, die Nationalliberalen. „an die Wand zu drücken“ und eine große, dem Reichskanzler unbedingt ergebene Partei zu schaffen. Schon zwei Jahre vorher hatten die Conservativen die „Vereinigung der Steuer- und Wirthschaftsreformer“ in’s Leben gerufen, bei der sich auch die früheren „Kreuzzeitungsdeclaranten“ zahlreich betheiligten. Sie hatten ihre Furcht vor dem Bismarck’schen Liberalismus überwunden und drängten sich zur Unterstützung des früher so grimmig Befehdeten und mit seiner Hülfe wieder in die Parlamente. Bei dem letzten Reichstage hat der Reichskanzler seine wirthschaftlichen, in der Vermehrung der Steuern und Zölle gipfelnden Projecte durchgesetzt; sein früherer treuer Mitarbeiter Delbrück, der sich um die Anfänge des Deutschen Reiches unsterbliche Verdienste erworben, hat unmittelbar vom Regierungstische aus Platz auf den Bänken der parlamentarischen Opposition genommen. Für andere mit der beabsichtigten Volksbeglückung und Unterstützung des „armen Mannes“ zusammenhängende Versuche hat sich eine Mehrheit noch nicht gefunden. Die Fortschrittspartei, welche von ihrem alten Standpunkt und Programm auf diesen Neuerungen auf das Hartnäckigste entgegen getreten, hat den erbitterten Haß des unerbittlichen Machthabers sich zugezogen, der sie überall und mit allen Waffen bekämpft und immer neue, zum Theil recht absonderliche Bundesgenossen findet. Im letzten Reichstage zählte sie 28 Mitglieder, darunter viele allbekannte Männer mit klangvollen Namen: Schulze-Delitzsch, der Begründer der Genossenschaften, ein wahrer Freund und Wohltäter des Volks, für das er Großes und Dauerndes geschaffen, Klotz, ein altpreussischer Richter von echtem Schrot und Korn, Moritz Wiggers, der bewährte Kämpfer und Dulder, dem das mecklenburgische Zuchthaus die kindliche Offenheit und Liebenswürdigkeit nicht zu verbittern vermacht, von Saucken-Tarputschen, der Landesdirector der Provinz Preußen, kein Junker, sondern ein wahrer Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle, Albert Traeger, der gemütvolle Dichter, bekannte Verteidiger und hinreißende Volksredner, und Ludwig Loewe, ein selbstgemachter Mann, der, seit seinem fünfundzwanzigsten Jahr Stadtverordneter von Berlin, in der Reichshauptstadt unbegrenzter Beliebtheit und Volkstümlichkeit sich erfreut, und dessen schlagfertige Schärfe nicht minder groß, wie die Verbindlichkeit seines Wesens. Rastlos sind diese Männer und ihre Freunde tätig im Dienste ihrer Partei, der an Organisation und Agitation keine andere gleichkommt. Erst vor Kurzem eroberte sie bei Nachwahlen vier Sitze, die sie noch niemals innegehabt, wie im Sturme. Eigennützige Bestrebungen zu verfolgen, gewährt sie ihren Anhängern keinen Raum, wohl aber verlangt sie von ihnen unbedingte Hingebung und Opferfreudigkeit. Mag man darum ihre Ansichten und Bestrebungen, teilen oder bekämpfen, diejenige Anerkennung wird man den Männern der Fortschrittspartei nicht versagen dürfen, welche Ueberzeugungstreue und Beständigkeit von jedem Billigdenkenden zu fordern berechtigt sind.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_528.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)