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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 33.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Mutter und Sohn.

Von A. Godin.
(Fortsetzung.)


Es giebt kein wohlthuenderes Gefühl, als sich voll einer Seele, zu der die eigene neigt, so recht aus Herzensgrunde erfaßt zu wissen. Einfach, wie Jana war, hatte Fügen an ihrem Geiste und dessen Aeußerungen vollständiges Genüge; sie war klug und sah mit hellem Auge auf Menschen und Dinge; vor Allem war sie herzensgut und immer die Gleiche. Mit ihr das Leben hinzubringen ward gewiß niemals zur bedenklichen Sache. Ihr weißes Gesicht, die sanften etwas verschleierten Augen, das Musikalische, was in jeder ihrer Bewegungen lag – all dies schien Fügen geschaffen zur dauernden Augenweide. In ihr lebte etwas, das den Künstler bestechen konnte; wie treu würde sie den Mann hegen und pflegen! Er wußte, daß er nur die Hand auszustrecken brauchte nach diesem Gute, um es zu besitzen, und daß es ein wertvolles Gut sei. Dennoch zögerte er von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, das, was bereits sein Vorsatz war, durch ein ausgesprochen Wort zur That zu gestalten. Warb er um Jana, verlobte er sich mit ihr, dann konnte er für’s Erste nicht mehr hier bleiben, und so oft er daran dachte, von der Moosburg fort zu müssen, empfand er unüberwindliche Unlust.

Es war ja noch Zeit. Zuvor sollte seine Symphonie beendet sein; bis er mit dem Werke zur Instrumentirung vorgeschritten, ging noch mancher Tag in’s Land.

Heute hatte der Meister sein Andante beendet und die Frauen auf den Abend in das Musikzimmer geladen, wo er es ihnen vorspielte. Das Hauptmotiv desselben war von so treuherziger Innigkeit, daß es tief in’s Gemüth drang – schlicht im Beginn, voll Wehmut, bis es unerwartet zu einer Hymne ausklang.

„Wie schön und so ganz Ihr eigen!“ sagte Genoveva wärmer, als sie pflegte, nachdem Fügen den Flügel geschlossen, als wolle er sagen: Für heute Basta!

„Ja,“ entgegnete er etwas verschämt; „mit Ausnahme von Geld habe ich mein Lebtage nichts von Andern borgen können.“

Genoveva sah ihn liebenswürdig an:

„Und doch ist dieses Motiv entlehnt.“

„Was?!“

Seine Brauen rückte zornig an einander.

„Diese gehaltenen, schwellenden Töne haben Alles verrathen; Ihr Andante ist einer Nachtigall abgelauscht – leugnen Sie nur nicht!“

Er wurde roth vor Freude und sah mit strahlenden Augen in das schöne Gesicht, welches so selten durch ein Lächeln erhellt ward, dessen Lächeln aber entzückte wie alles Seltene.

„Im Ernst? Nun, das Wort ist eine Krone werth. Alles, was wir fassen, zieht ja so unglaublich rasch vorüber – glückt es ein Echo vernehmen zu lassen, so ist das ein halbes Wunder.“

„Musik ist immer ein ganzes Wunder. Mir, die nur andächtig horcht, ohne selbst einen Ton zu haben, ist sie es vielleicht in weit höherem Maße als ihrem Priester. Wie sehr sind Sie zu beneiden! Alle Künste haben es mit schon Vorhandenem zu thun; Musik quillt aus der eigenen Seele ihres Schöpfers.“

Er sah sie nachdenklich an.

„Und was könnte unsere Seele geben, das sie nicht zuvor empfangen hätte? Was wir mit der einen Hand vollführen, muß die andere zuerst erfaßt haben; je nachdem der Mensch beschaffen ist, wird der Künstler in sich betrachten und wiedergeben, nicht wahr? Wir wissen, daß Beethoven es liebte im Wandern zu componiren – hört man nicht in seiner Musik oft die Wälder rauschen, gab er uns nicht die Pastorale? Bei Schubert und Haydn ist’s nicht anders; manches Schubert’sche Quartett erzählt die Lebensgeschichte eines Charakters. Und doch behalten Sie Recht, es bleibt das Idealste jede tiefste Empfindung in Tönen ausströmen zu lassen – was Erhabenheit betrifft, steht Musik noch über der Poesie; denn sie dringt in Tiefen, wohin das Wort nicht reicht, weiß zum Ausdruck zu bringen, was nicht von dieser Welt ist.“

„Aber in diese Welt hinausgeht und Kunde bringt,“ sagte Genoveva belebt.

Der Funke im Auge des Meisters verwandelte sich; um seinen Mund traten die kleinen Falten, welche so leicht seine eigenen Humor verriethen oder auch wohl den der Andern weckten. Und doch war es ihm bitterer Ernst, als er kläglich sagte: „In die Welt hinaus? O gnädige Frau! in dem Punkt sind wir tausendmal übler daran als die Andern. Sehen Sie, der Bildhauer, der Maler bringt, was er in sich schaute, ganz und völlig zum Ausdruck, so weit eben seine Kraft reicht. Was er geschaffen, steht fertig da; Keiner kann’s ihm hinterdrein verpfuschen Je unabhängiger aber die Kunst vom Stoff ist, was Sie vorhin der Musik nachrühmten, desto schlimmer ergeht es dem Himmelskind, wenn es über die Erde wandern will. Jeder verständnißlose oder eigensinnige Capellmeister bringt es zu Stande, einen Beethoven zu entstellen. Giebt man Neues hinaus, so möchte man verzweifeln; beim eigenen Dirigiren ist nicht einmal viel gewonnen. Nehmen Sie zum Beispiel mein Andante – da soll das Cello, das

Fagott wie ein Hauch hintönen und die Seele mit schwermüthigem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_537.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2021)