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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Karl’s des Dicken, nachmals seine Kathedrale zu Auxerre „mit Glasfenstern und schönen Malereien restaurirt“ habe, redet freilich nicht einmal von Glasbemalungen, geschweige denn von Glasmalerei im modernen Sinne. Nicht besser gehört hierher, und wiederum nicht nach französischer Auslegung in das Capitel „Glasmalerei“, die Meldung des Mönches Ratpert von St. Gallen an seinen gelehrten Mitbruder Notker in dichterischer Schilderung der Einweihung des Frauenmünsters zu Zürich, welches Münster Ludwig der Deutsche 853 für seine Töchter Hildegarde und Bertha, als erste Äbtissinen, gestiftet hatte: „Bertha malte die Fensterfläche mit Pigmentfarben, dazu den Plafond“ etc. Wie man sieht, ist hier von Fensterbemalung die Rede; die Zusammenstellung der Farbenzier von Fenstern und Plafond läßt an kein Einbrennen der Farben denken.

Auch die Darstellungen aus dem Leben der heiligen Paschasia, welche zur Verwunderung des Chronisten von St. Bénigne zu Dijon sich bis 1052 erhalten hatten, können der angestaunten Erhaltung willen nicht dauerhaft eingebrannt, sondern müssen aufgemalt gewesen sein. Es handelt sich um Harzmalerei mit aufgetragenen Kopal-, Bernsteinlack- oder sonstigen Gummifarben, wie sie schon in Pompeji vorkommt, den Byzantinern jedoch unbekannt blieb. Die mangelhafte Dauer dieser Malerei lernte man durch Anwendung von Zinksilicaten zur Aufleimung der Farben erhöhen. Auch Oelfarben verwandte man, indem man sie durch ein zweites schützendes Glas deckte, bis sich zuletzt Borax vorübergehend den Malern als Flußmittel zum Löthen oder zur Bereitung von Metallfarben und feinen Glasflüssen empfahl. Man bediente sich noch lange nach Erfindung der eigentlichen Glasmalerei, welche als Geheimnis bewahrt wurde und deshalb bei quantitativ geringer Leistung verblieb, der älteren Technik des Farbenauftrags, auch mit Rücksicht auf ihre Billigkeit.

Die dritte, vollkommenste Art ist nun die Kunst, Buntmalerei in Glas zu schmelzen, oder eigentliche Glasmalerei, und hierfür ist Tegernsee die erste blühende Anstalt. Erfinder oder wenigstens Begründer der Kunst ist, in Verbindung mit Abt Gozbert von Tegernsee, des letztern Jugendfreund Graf Arnold von Vohburg.

Die Stiftungsurkunde der Kunst, wenn man so sagen will, bildet ein noch erhaltenes lateinisches Schreiben des Abtes Gozbert, der von 983 bis 1001 regierte, an den Grafen Arnold, das in deutscher Uebersetzung lautet: „Ihr habt unseren Ort mit Werken von solchen Ehren in die Höhe gebracht, dergleichen weder vorige Zeiten kannten, noch wir je besitzen zu sollen ahnten. Die Fenster unserer Kirche waren bisher mit alten Tüchern verschlossen. In Euren glücklichen Zeiten wirft die goldhaarige Sonne zum ersten Male durch buntfarbige Glasgemälde (auricomus Sol Primus infulsit per discoloria pictuarum vitra) ihren Schimmer auf die Platten unserer Basilika. Die Herzen aller Beschauer durchzucken tausendfältige Freuden, wenn sie die Mannigfaltigkeit der ungewohnten Kunstarbeit anstaunen. Oder wo in aller Welt umher ist eine Stätte mit solchem Schmuck geziert? Euer Name soll dafür im Gebete bei Tag und Nacht celebrirt werden, und damit auch die Namen aller Eurer nächsten Verwandten zum Gedächtniß verzeichnet werden, wollet sie, auf Pergament eingetragen, durch gegenwärtigen Boten uns zukommen lassen. Wir stellen noch Eurer Ueberlegung anheim, jene Jünger zu erproben, ob sie in dieser Arbeit genügend unterrichtet sind, wie es für Euch ehrenvoll, für uns nöthig ist, oder, wenn ich einen Mangel bei ihnen entdecke, so sei es erlaubt, sie zur besseren Ausbildung Euch zurückzuschicken.“

Es ergiebt sich aus dieser Urkunde, daß, mag die Erfindung von Graf Arnold selbst, wie Sepp will, oder von jemand in seiner Nähe gemacht worden sein, durch den dafür interessirten Grafen jedenfalls Tegernseer Klosterzöglinge mit der Technik vertraut gemacht wurden, zum Zweck der Entwickelung der neuen Kunstübung in Tegernsee selbst. Graf Arnold oder Arnolf der Zweite, der Gemahl einer Adelheid, Tochter des Markgrafen Perthold von Ammerthal, und Bruder jenes Poppo, welcher nach Wiederaufrichtung der zuvor bis zu völliger Auflösung heruntergekommenen Abtei deren erster Schirmvogt wurde, muß nach Sepp’s Ausführungen Jugendfreund und einstiger Gutsnachbar Gozbert’s gewesen sein, indem Letzterer als geborener Graf von Kelheim und Essing an der Altmühl vorkommt. Eine weitere Beziehung der Beiden zu einander ergiebt sich aus der Thatsache, daß Arnold in einer Urkunde de St. Emerano der Schirmvogt von Münchsmünster bei Weltenburg heißt, Gozbert aber von St. Emeran zu Regensburg aus als Abt nach Tegernsee berufen worden ist.

Nun erkundigt sich Gozbert noch um den Tod der edlen Adelheid, um deren Gedächtniß kirchlich zu begehen. Alle dachten bisher an die Kaiserin, Wittwe Otto’s des Ersten, welche im December 999 zu Selz im Elsaß starb. Im Laufe des Federkrieges erklärt sie aber Sepp für die obige Gemahlin Arnold’s, und gewinnt damit einen neuen Beweis für den gräflichen Stifter von Vohburg. Noch mehr! Ihr Tod und folglich die Fensterstiftung und Begründung der Glasmalerei kann füglich ein Jahrzehnt vor 999 fallen.

Viollet le Duc[1] reiste von Paris eigens nach Tegernsee, um die neunhundertjährigen Wiegenbilder der Kunst zu sehen. Doch die ersten Tegernseer Fenster gingen schon 1035 beim Kirchen- und Klosterbrande zu Grunde, und Werinher ward 1068 mit der Herstellung von fünf neuen beauftragt. Aber eine andere Erstlingsarbeit der jungen Kunst ist uns erhalten: Im Dome zu Augsburg, der 996 in Angriff genommen wurde, blicken noch heute über der östlichen Hochwand, statuarisch gehalten, aus fünf Fenstern Moses, David, Hosea, Daniel und Jonas ernst und streng hernieder, in einer Haltung und Ausstattung, welche für die Kunstforschung auf die Zeit Heinrichs des Zweiten, 1002 bis 1024, hinweisen; die übrigen dreizehn – mit Hinzunahme der Ostwand – fehlenden Figuren scheinen früh zu Grunde gegangen zu sein. Hier haben wir die Incunabeln der Glasmalerei, die ältesten erhaltenen Tegernseer Producte, wenn auch nicht zweifellos, so doch so gut wie sicher vor uns.

Daß die neue Kunst nicht fertig wie vom Himmel fiel, leuchtet Jedem ein, der die Schwierigkeit des ganzen Verfahrens kennt. Nur nach vielem Probiren konnte ein befriedigendes Resultat erreicht worden sein. Die ältesten Glasbilder waren allerdings in Holzschnittmanier ausgeführt und einfach mit scharfen Contouren umrissen. Aber schon die Bereitung des Glases erforderte Vorsicht: denn Natronglas verwittert leicht; nur Kaliglas bürgt für die Dauer. Und nun erst die chemischen Versuche mit der Farbenbereitung! Metalloxyde verbinden sich mit Kieselerde zu Silicaten, die durch Lösung in der Glasmasse ihr die Färbung mittheilen. Man verwandte anfangs in der Fritte gefärbtes oder massives Hüttenglas, zeichnete Umriß und Schattirung mit Schwarzloth und schliff Partien heraus, um Sternchen, Gewänder und allerlei Muster von mehr oder minder satter Farbe zu gewinnen. Die Hauptsache aber war, den Focus oder die Farbenstrahlung, die Tragweite jeder einzelnen Farbe, zu ermessen; damit die grellen die minder hellen Farben nicht ausstachen, mußte z. B. die Fleischfarbe eingeschränkt werden. Weitaus beherrscht, wie Sepp ausführt, die blaue Glasfarbe die Nachbarfarben, sodaß das Roth violett, Weiß bläulich erscheint, während Gelb und Weiß trennend und Roth auf beiden Seiten schwarz wirken. Die richtige Farbenzusammenstellung, sei es Isolirung mittelst Randstreifens, ist die Hauptsache. Dunkel auf Hell wirkt weniger als Hell auf Dunkel; so ist dieselbe Inschrift schwarz auf weiß zehn Meter weit leserlich, weiß auf schwarz dagegen fünfzehn. Ein schwarzer Flügel auf gelbem Grunde muß um ein Zehntel größer als ein gelber auf schwarzem Grunde sein, wenn er ebenso groß wie letzterer aussehen soll. Aus der Rücksicht auf die Wirkung erklären sich die durchweg zu klein gezeichneten Hände, die Auflösung des Weiß in Perlenketten, die Brechung des Roth durch schwarze Schraffirungen und so manche eigenthümliche Erscheinung der alten Glasbildnerkunst. Uebrigens bedienten sich die Alten des Bleiflusses zum Auftragen und Einschmelzen von Metallfarben; ihr Schwarzloth ist eben Kupferoxyd mit Bleifluß versetzt. Die metallischen Farben jener früheren Zeit sind tiefer, kräftiger und körperhafter, die Atome mehr krystallinisch gefügt, als bei den neueren; die Lichtstrahlen oscilliren im Inneren des Glases. Gerade die mangelhafte Ausscheidung der Eisentheile gab den alten Fenstern ihren gesättigten Ton. Außer der schwierigen optischen Frage hatten die ersten Künstler die Wirkung des Brennens auf die verschiedenen Farben zu erproben: Welche änderte sich sofort? Welches Blau wurde allmählich schwarz? Und Alles; Zeichnung, Zuschnitt, Malen, Brennen – die ganze Bereitung lag dem einzigen Künstler ob!

  1. Lettres adressées d’Allemagne à M. Adolphe Lance architecte par Viollet le Duc p. 77
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_546.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)