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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 34.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Mutter und Sohn.

Von A. Godin.
(Fortsetzung.)
13.

Der April brachte ungewöhnlich warme Tage, und schon lockte die seit länger als einer Woche stets unbewölkte Sonne junges Laub und Knospen hervor. Kirschen und Aprikosen standen in voller Blüthe. Die von Genoveva mit Vorliebe gezogenen Zierpflanzen, welche im Verandazimmer überwintert hatten, waren bereits draußen, zu dem grünen Winkel geordnet, welcher den Ausblick freiließ, während er die dort Sitzenden verbarg.

Es war Sonntag Nachmittag. Fügen saß, ein Buch in der Hand, hinter den breiten Palmenblättern, auf deren glänzender Fläche die bereits auf der Heimreise begriffene Sonne funkelnd spielte. Der Meister las aber nicht in dem Buche; er sah träumerisch hinab in’s grüne Thal, auf den blitzenden Strom. Drunten läutete es hier und dort von den Glockentürmen; es war um die Vesperzeit. Ganz nahe tönte das Frühlingslied einer Grasmücke in die Feierklänge hinein zuweilen auch eine Kinderstimme.

Auf der mit Obstbäumen bestandenen Wiese, welche die innere Eingangspforte begrenzte, saßen Siegmund und Maxi einträchtig beisammen auf einem über das noch lichte Gras gebreiteten Teppich, dessen einen Zipfel der Neufundländer so gravitätisch inne hatte, als habe er das Amt übernommen, die zuweilen von einem Windhauche gelüftete Schutzdecke festzuhalten, eine um so großmütigere Leistung, als die Kinder heute keinerlei Notiz von ihrem geduldigen Spielgefährten nahmen. Sie waren eifrig mit einer gezähmten Jochdohle beschäftigt, die zwischen ihnen hin und her hüpfte und sie mit den klugen Augen abwechselnd ansah. Maxi hatte ihr ein scharlachrothes Band um den Hals geschlungen und auf dem schwerfällig beweglichen Kopfe saß ein Käppchen voll Goldpapier; dieser seltsame Aufputz, zusammen mit dem tiefschwarzen, glänzenden Gefieder und dem rothen Schnabel verliehen dem Vogel etwas besonders Phantastisches. Vor Sigmund, der auf der dem Hunde gegenüberliegenden Teppichecke kniete, lag ein Haufen bunter, glitzernder Steine und Schieferstücke, woraus er einen Bau aufthürmte. Der Eifer, mit dem er sich dem Geschäfte hingab, ward höchstens von der Lebhaftigkeit Maxi’s übertroffen, welche mit der Dohle sprach, fest überzeugt, von ihr verstanden zu werden, und daß der Vogel jetzt ein Prinz und der entstehende Prachtbau sein Palast sei. Die Kinderphantasie schwang ihren Zauberstab, der alle Dinge sicherer verwandelt, als das Gebot einer Märchenfee.

Hinter der Gruppe, wenige Schritte von ihr entfernt, saß Jana mit ihrem Bruder Lois unter einem blühenden Birnbaum im Gespräch. Der gedämpfte Klang ihrer Stimme ließ Fügen den Kopf wenden und niederschauen; sein zerstreutes Ohr und Auge nahm erst jetzt das stille Leben auf der Wiese wahr. Jana’s dem Bruder zugewandtes Profil hob sich klar von dem dunklen Stamme ab, gegen den sie gelehnt saß; so oft der Wind sich regte, taumelten einzelne Blüthen nieder und hingen sich ihr in das Haar. Die reiche Flechte schien heute besonders schwer über dem seinen Köpfchen zu lasten, vielleicht weil das Gesicht zarter noch als sonst aussah; es war farblos wie die fallenden Blüthen. Fügen sah unverwandt auf sie hinab und seufzte; er lehnte sich ein wenig vor, um ihre sympathische Stimme besser zu hören, sie sprach aber zu leise, um von hier aus verstanden zu werden. Dafür hörte er Sigi’s klares Stimmchen ernsthaft sagen:

„Wie ich noch ein Vogel war, hab’ ich droben auf der Heitern Bahn gewohnt, bin immer rundum geflogen, und hab’ ganz tief in den Himmel hineingucken dürfen.“

Es war nicht zum ersten Male, daß Fügen Aehnliches aus dem Munde des kleinen Poeten vernommen; warum trafen ihn diese Worte so tief?

„Als Du noch ein Vogel warst –“ murmelte er, und die Gedanken irrten um das Wort, weiter und weiter. „Ich war auch einmal einer – ein Singvogel, ein Wandervogel. Da hab’ ich auch in den klaren Himmel hineingeschaut, oft und tief. Was bin ich denn heute?“

Es überlief ihn. Alles, was er je erlebt, kam ihm vor, als sei unermeßliche Zeit inzwischen vergangen; es war ihm, als wäre er gar nicht derjenige gewesen, an den sich jene Erlebnisse knüpften, sondern als wäre es ein Anderer, von dem man ihm erzählt hatte, Dieser Andere hatte nichts von dem Druck gewußt, der jetzt so schwer auf ihm lag. Er besann sich im halben Traum, wann doch das angefangen habe, und da glitt ein lichter Morgen vor seinem Geiste vorbei, wo er die Augen geöffnet und gesehen hatte, wie die Sonne auf der bunten Decke seines Bettes spielte. Ganz deutlich erinnerte er sich, wie das ihm so wohl gethan, da ihm war, als hätte er einen Alpdruck überstanden und dürfe sich jetzt freuen, wen das vorbei und weil es Tag war. Aber er konnte sich nicht freuen. Wie frisch war er dann auf seine Füße gesprungen, und wie fröhlich hatte er den Laden zurückgeschlagen! Da war die Sonne voll hereingeströmt, so licht, so gesund, daß ihm tröstlich zu Muth geworden. Damals, ja, da hatte es angefangen. Seitdem war er den fremden Druck nicht mehr los geworden; seitdem zog seine Symphonie so fern über ihm dahin, wie Wolken am Himmel;

seitdem hatte er sich wie ein abgerissenes Blatt, das vom Baum

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_553.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)