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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

in den Strom gefallen, dahintreiben lassen durch fruchtlos gelebte Tage. Darauf besann er sich heute zum ersten Male. Wie ein plötzliches Zürnen über seine eigene Schwäche kam es nun über ihn, da er so scharf in sich hineinsah. Niemand wirft sich Schwäche so bitter vor, wie ein starker Mensch. Sich in Arbeit und Genuß an das Leben hinzugeben – das war das Ideal des Mannes in Fügen. Und daß nur in der größten Ruhe, im ungestörten Streben nach dem Unendlichen, die Kunst gedeihen kann – das war in ihm das Glaubensbekenntniß des Künstlers. War das Alles auf einmal Nichts? Warum blieb er hier, wo Kraft und Stolz und Manneswerth in jeder Stunde gefährdet wurden? Das mußte ein Ende nehmen. Der Entschluß zu gehen, und bald zu gehen, stand auf einmal so fertig vor ihm da, daß er es wie einen heimlichen Trost empfand, dieser Gedanke müsse doch schon lange in ihm gewesen sein, nur verschüttet, sodaß er nicht früher hatte zu Worte kommen können.

Mit letztem Hall zog ferner Glockenton durch die Luft. War es die hierauf folgende Stille, oder hatte sich der Wind gewendet – genug, die vorhin nur in einzelnen Lauten vernehmliche Stimme Jana’s und ihres Bruders berührten jetzt Fügen’s Ohr klar und deutlich; vielleicht hatte sie sich auch im Eifer des Gesprächs etwas erhoben. Mit seinen eigenen Gedanken vollauf beschäftigt, dachte er nicht daran, darauf hinzuhören, hörte aber dennoch.

„Wenn Du mir helfen könntest, Jana!“ sagte Lois eben eindringlich. „Es wär’ mein Höchstes. Aber sie wollen daheim nichts davon wissen, der Vater nicht, und die Mutter noch weniger.“

„Meinst Du denn wirklich, daß es sein muß?“ wendete Jana in sanftem Tone ein. „Bedenk’ nur, wer soll einmal auf der Mühle hausen? Der Florian, den unsere Theres’ heirathet, bekommt sein väterlich Hofgut; ich geh’ nie von meiner Gnädigen; übrigens gehört dort auch ein Mann hin. Wer also soll’s übernehmen? Das Mühlwerk ist unserem Geschlechte so lang schon eigen gewesen – bedenk’s doch, Lois! Wie kommst Du nur darauf, daß Du jetzt auf einmal geistlich werden willst?“

„Wie ich darauf komme? Weißt noch den Tag, Du warst noch nicht lang wieder hier, wo der Bartelmä Pichler dazumal seine Primiz gefeiert hat? – Da ist’s über mich kommen. Wie er im Priestergewand so dagestanden hat, vor dem nämlichen Altar, wo ihm die erste heilige Communion ausgeteilt worden ist, und wie er unter dem großen Glockenläuten seiner eigenen Gemeind’ den Segen hat geben dürfen, und ihm vor Freud’ die hellen Tropfen über’s Gesicht gelaufen sind, da hab’ ich auch anfangen müssen zu weinen, und da hat mir mein Schutzpatron den Gedanken eingeben, geistlich zu werden. Ich hab’ zur Muttergottes aufgeschaut; die hat zwischen lauter goldigem Sonnenstaub geflimmert über dem Altar. Da bin ich glückselig gewesen, wie ich mein Lebtage nicht war, und hätt’ ihr gleich das Gelöbniß gethan wenn ich gedurft hätt’. Weil aber doch Vater und Mutter erst Ja sagen müssen, hab’ ich mich nicht wirklich verlobt; nur vorgenommen hab’ ich mir’s so fest, wie man sich vornimmt, in den Himmel zu kommen.“

„Mit dem Vater wird’s schwer halten, die Mutter wär’ schon eher herum zu bringen. Und Du bist halt noch so viel jung und müßtest dann ja schon zu Pfingsten nach Hall auf die Schulen, und später könnt’s Dich reuen, Lois. Das Mühlgut ist fein. Manch Einer gäb’ den Finger gern von der Hand, wenn’s das seine wär’.“

„Gerade das freut mich,“ sagte Lois. „Ist’s nicht noch feiner, dem lieben Gott recht was Großes als Opfer schenken zu können?“

Ein braunes Händchen zupfte an seinem Aermel; in seinem Eifer hatte der Knabe nicht bemerkt, daß Maxi herangelaufen war und mit großen Augen zuhorchte.

„Was will der Lois dem lieben Dott schenken?“ fragte sie begierig. „Thu lieber Maxi was schenken, lieber Dott is gar nis da.“

Der Knabe wandte dem Kinde sein glühendes Gesicht mit einem Blicke der tiefliegenden Augen zu, der wie aus weiter Ferne zurückzukehren schien.

„Der liebe Gott ist immer da, Maxi; Du siehst ihn nur nicht,“ sagte er, indem er das Kind auf seinen Schooß hob.

„Warum sieht ihn Maxi nit? Siehst ihn Du?“

„Nicht ich, und Keiner kann ihn schauen.“

Des Kindes dunkle Augensterne vergrößerten sich. Offenbar machte das Problem dem klugen Köpfchen zu schaffen, auf einmal erhellte sich das gespannte kleine Gesicht, und mit einem schelmischen Blitz in den Augen rief sie triumphirend mit dem hellsten Tone ihrer hellen Stimme:

„Wenn der liebe Dott in Spiegel duckt, kann er sich doch sehen.“

Ein kurzes Lachen unmittelbar hinter ihm machte Fügen zusammenfahren. Als er jäh den Kopf wandte, ließ Frau von Riedegg sich eben auf dem zweiten Sitze nieder. Er nahm sich zusammen; er that sich immer Gewalt an, wenn er in ihre Nähe kam; heute ward ihm das nicht schwerer, als sonst, eher leichter. Ein gefaßter Entschluß ist wie ein Damm; er hält die brausende Strömung auf.

„Sie hat das letzte Wort behalten, wie gewöhnlich,“ sagte Genoveva. „Dinge der Welt, oder Dinge des Himmels, der Instinct dieses originellen Geschöpfes erfaßt blitzartig jede Möglichkeit.“

„Gefährliches Talent für ein Mädchen! Doppelt gefährlich vielleicht für Diese,“ erwiderte er. Dann, nach einer Pause: „Wenn ich fragen darf, gnädige Frau, was haben Sie in Zukunft mit dem Kinde vor?“

Frau von Riedegg sah ihn erstaunt an.

„Was ich vorhabe mit dem vierjährigen Mädchen? Nun sie wird leben, um zu lernen, wie alle Menschen. Was sie aber lernen, was aus ihr werden mag, wer sagt das heute? Vielleicht eine Dorfschullehrerin, vielleicht eine Kränzewinderin, wie ihre – wie Jana.“

„Nun bin ich befriedigt. Mir war, offen gesagt, bange, daß Ihr Interesse an dem aparten Naturell Sie daran denken ließe, Maxi als Kind des Hauses zu erziehen. Und das fällt selten gut aus! Ich weiß, daß sie Ihnen zugeweht ist wie eine Schneeflocke von irgendwo her. Sie gaben dem Findelkind eine Heimath – das war ein Werk der Barmherzigkeit; nur dann kann es aber ein solches bleiben, wenn Sie den Pflegling einzig für Pflichten erziehen. Wollten Sie ihr Rechte geben, oder nur irgend einer Anspruch darauf wecken, so würde die rechtlos Geborene dem gegenüber wahrlich nicht das letzte Wort behalten.“

„Wie meinen Sie das?“ fragte Genoveva.

„Ich meine, daß ein Wesen, welches im bürgerlichen Sinne keinen festen Boden unter sich hat, nur auf bescheidener Stelle leisten und genießen kann, was dem Leben Werth giebt – auf untergeordneter Stelle, wenn ich mich klar ausdrücken soll. Wollten Sie Maxi geschwisterlich neben Ihrem Sohne heranwachsen lassen, so hieße das nicht nur Siegmund beeinträchtigen – ihr selbst müßte solche Zwitterstellung verderblich werden. Sie wollen eine Arbeiterin aus ihr machen – gut und recht!“

Genoveva antwortete nicht. Ihr Auge hing an den Kindern, die wieder dicht neben einander spielten.

„Wie sagten Sie doch?“ sprach sie endlich in bedecktem Tone. „Ein Wesen, das keinen festen Boden unter sich hat, könne nur auf untergeordneter Stelle gedeihen? Ein seltsamer Satz im Munde eines so eifrigen Verfechters der Menschenrechte! Aber wahr – wahr! Und eben darum, damit es mir nie geschehen mag, dies zu vergessen, soll das rechtlos geborene Kind neben meinem Sohne aufwachsen.“

Fügen sah betroffen in ihr marmorstarres Gesicht; ein plötzliches Hellsehen durchzuckte ihn. Zugleich entwich jeder Gedanke an sein eigenes Selbst in weite Fernen; es war einzig sein braves, menschenfreundliches, jeder Noth zugewandtes Mannesherz, was jetzt zu Worte kam:

„Ich bin Ihnen längst kein Fremder mehr, Frau von Riedegg; Sie haben mich wiederholt mit dem Namen eines Freundes geehrt, und ein Freund verdient Vertrauen. Nicht erst heute ahne ich, daß Sie Sorgen um Siegmund’s Zukunft tragen. Darf ich davon erfahren? Ich stehe vor Ihnen, ein Mann, der jeden Augenblick bereit ist, Alles, was er vermag, für das Kind einzusetzen, welches auch sein Kleinod geworden.“

Genoveva sah ihn unverwandt an: sein treuherziger Blick, der redliche, männliche Ausdruck seiner Züge ergriffen sie mit der vollen Macht der Wahrheit. Sie faßte und hielt einen Augenblick die ihr dargebotene Hand; dann antwortete sie ernst:

„Ich danke Ihnen. Vielleicht kommt wirklich der Tag, an

dem ich Sie fragen werde, ob Sie Ihr. Wort einlösen wollen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_554.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)