Seite:Die Gartenlaube (1881) 557.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


Max Bruch.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.



worden. Schade um den schönen zweiten Act, der uns Hermione im Gefängniß und vor Gericht sehen läßt! Die Musik spricht dort das Traurige wie das Gespannte der Situation im vollen Strome aus und gehört zum Besten, was die neuere Zeit aufweisen kann. Mit diesen Werken ist die Thätigkeit Bruch’s als Operncomponist bisher abgeschlossen; denn die kleine einactige komische Oper „Scherz, List, Rache“, das Op. 1 des Componisten, darf wohl nicht mitzählen. Es ist möglich, daß er in der Zukunft das Feld der Oper nochmals betritt. Man sieht es den Recitativen seiner zweiten Oper, der „Hermione“ an, daß er gestrebt hat sich nach dieser Richtung zu vervollkommnen.

Bruch’s Eigenthümlichkeit besteht nun in der Frische und Wärme, mit welcher er allgemein menschliche Gefühle, wie die Elternliebe, das Heimweh, die Freude an Gottes schöner Sonne, trotz der Abgebrauchtheit derselben, wohlthuend und frisch zu äußern weiß, und dies namentlich, wenn sie freudiger Art sind.

Es ist in Bruch eine schöne reine Naivetät. Darin liegt ein starker Zug von Ursprünglichkeit, der um so höher zu schätzen bleibt, als er in unserer Zeit so selten ist. Diese Naivetät giebt den Bruch’schen Werken etwas Jugendliches, und so ist es denn auch namentlich die Jugend, aus der dem Componisten seine begeistertsten Bewunderer zuströmen. Die jungen frischen Studenten, die seinen „Normannenzug“, seine „Waldpsalmen“, seinen „Frithjof“, sein „Lied der Städte“ singen, erblicken in ihm einen von der Muse Gekrönten, zu dem sie selbst in einer Art geistiger Vetterschaft stehen. Aber auch die Alten haben ihn gern; denn er läßt ihnen die Tage der Jugend wieder aufleben und macht, daß ihr Blut heftiger pulsirt beim Anblick der Freuden, die der gütige Schöpfer Allen ohne persönliches Entgelt gespendet hat.

Das erste Werk nun, in welchem dieses specifische Talent Bruch’s in den Vordergrund treten und voll zur Geltung kommen konnte, das war eben der oben genannte „Frithjof“, welchen der Componist nach der Oper „Loreley“ schrieb und im Jahre 1864 in Aachen zur ersten Aufführung brachte. Der große Erfolg, welchen das Werk in allen namhaften Städten Deutschlands, ja auch in England, Amerika und Rußland errang, ist bekannt. Gewiß haben ihn äußere Umstände stark gefördert: In der Literatur des Männergesangs war gerade damals das Bedürfniß nach einem neuen größeren Werke sehr fühlbar; auch der dichterische Stoff, wie er in der herrlichen schwedischen Dichtung Esaias Tegnér’s zum Ausdruck kommt, war an sich schon sehr fesselnd, und die Neuheit der gebrauchten musikalischen Mittel, die Zuziehung der Frauenstimme namentlich, mag die Reize des Werkes sehr erhöht haben. Aber der letzte Grund der großen Wirkung, den die Scenen aus „Frithjof“ übten, lag in der eigenen Natur des Componisten: in seiner starken Gabe – von Heimath und von Freiheit zu singen. Das war ein ungekünsteltes,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_557.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)