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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

der ersten Aufführung des „Revisor“ ließ der Czar Nicolaus den Dichter zu sich in die Loge bescheiden.

„So,“ rief er dem Eintretenden entgegen, „habe ich noch nie gelacht, wie heute Abend.“

Und der Dichter, blaß, stotternd, erwiderte:

„Majestät, ich habe eine andere Wirkung beabsichtigt.“

Armer, armer Gogol, Du mußtest in Wahnsinn enden. Wo ist ein Gleichniß dieses Schicksals? Nicolaus Lenau ist ebenfalls wahnwitzig geworden, und zwar genau in demselben Lebensjahre wie Nicolaus Gogol. Aber auf Lenau’s Hirn lastete nicht das Unglück eines ganzen großen Volkes; an Lenau’s Seele nagte nicht der Schrecken vor der eigenen That, nicht die Reue über das Große, das er vollbracht. Gogol war ein Slave; ihm war noch nicht alles barbarische Blut aus den Adern entronnen; dem Kleinrussen betäubte die mystische Poesie der Steppe das Gewissen, diese unfaßbare, geheimnißvolle Poesie, von der ein Dichter gesungen:

„Ewig hört man Weisen klingen
Wie der Cither Melodien;
Niemand weiß, woher sie dringen -
Scheinen Gräbern zu entflieh’n.“

Lenau und Gogol - es ist so müßig, nach Vergleichen zu suchen. Wenn der Poet nicht eine Individualität für sich, eine unvergleichbare und schlechthin eigenthümliche ist, so verdient er überhaupt nicht, daß man ihn nenne. Und wenn Rußland unter den Staaten nicht eine Individualität für sich wäre, mit seinem eigenen trostlosen Entwickelungsgange, seinem eigenen unvergleichlichen Schicksale, so hätte es eben auch keinen Puschkin und keinen Gogol hervorgebracht. Wo anders als in Rußland konnte denn das Verhängniß Puschkin’s, dasjenige Gogol’s reifen? Puschkin wollte ein Mensch und mußte ein Sclave sein; Gogol gar wagte es zu richten und er hatte nicht den Muth, die Knechtschaft abzustreifen. Er, der den russischen Despotismus aus den Angeln hob, indem er die Werkzeuge desselben brandmarkte, er, der das russische Volk lehrte, sich aufzubäumen gegen seine Peiniger, indem er zuerst es wagte, hell und breit zu lachen über diese Blutsauger, die von Unterschleif und Bestechung sich mästeten – dieser nämliche Gogol erschrickt feige, als er merkt, was er angerichtet; er schlägt sich wie ein Sünder an die Brust und jammert zerknirscht sein „Mea culpa – meine Schuld!“, obgleich diese Schuld, mit der er sich belastet wähnt, seinen Namen unsterblich gemacht hat.

Todte Seelen!

Durch jene „Abende auf dem Meierhof von Dikanka“ war Gogol rasch zu einem vielgelesenen Autor geworden, obgleich dieselben nichts darboten als getreue Zeichnungen des kleinrussischen Lebens. Literarische Kreise glaubten sich ihm verpflichtet und vermittelten ihm die Stelle eines Lehrers der Geschichte an dem patriotischen Institute. Dann erschien die Novellensammlung „Mirgorod“, in welcher die Kosakengeschichte von „Taraß Bulba“ enthalten war, und ihre Wirkung war so bedeutend, daß die Kritiker von „wahrhaft homerischer Kraft“ sprachen und der Staat sich bemüßigt fühlte, dem ruhmreichen Dichter eine Geschichtsprofessur an der Petersburger Universität zu übertragen. Aber das gab einen wunderbaren Professor. Seine Schüler fanden, daß die Muse der Geschichte ihn spröde von sich fern halte, und er selbst fand es auch. Es war ihm nicht wohl auf dem Katheder, und er mied diesen erhabenen Sitz der Gelehrsamkeit so oft er konnte. Iwan Turgenjew hat ihn in seiner Lehrthätigkeit geschildert, wie er auch Puschkin, den er kurz vor dessen Tode bei einem Concerte sah, mit einigen Strichen gezeichnet hat.

„Neben der Thür,“ erzählt Turgenjew von Puschkin, „stand er an einem Pfeiler, die Arme über die breite Brust gekreuzt, mit unzufriedenem Blicke im Kreise umherschauend. Er warf auch mir einen flüchtigen Blick zu; die Ungenirtheit, mit der ich ihn anstarrte, mochte ihm mißfallen, da er ohnehin bei schlechtem Humor zu sein schien; er zuckte verdrießlich die Achseln und trat bei Seite. Einige Tage später sah ich ihn auf der Bahre liegen.“

Und Gogol’s akademische Thätigkeit war nach Turgenjew’s launiger Mittheilung etwa folgende:

„Betrat er das Katheder, so brummte er etliche unverständliche Sätze vor sich hin, um dann mit Stahlstichen von Palästina und sonstigen schönen Ländern sein Auditorium zu unterhalten, wobei er zwischendurch die verblüffendsten geographischen Böcke schoß. Die Prüfung seiner Studenten überließ er Herrn Schulzin, einem Collegen von der Facultät, während er selbst lautlos in einem Sessel lehnte, das Gesicht mit einem großen schwarzen Tuche verbunden, ein Bild komischester Verlegenheit.“

War nun schon Puschkin nicht übermäßig mit Wissensstoff überladen – er sprach einst den Satz aus: „Nur zufällig lernen wir irgendwo und irgendwas“ – so hatte Gogol fast gar nichts in seinem Schulsacke. Er blieb auch nicht lange Professor, sondern wendete sich, vom Czar mit einer Jahrespension ausgestattet, von Neuem dichterischer Thätigkeit zu, welche nun erst seine beiden epochemachenden Werke zu Tage förderte. Aber dann kam ein Tag – wie gesagt, er bereute, ein Dichter gewesen zu sein, und zur Buße warf er sich der religiösen Heuchelei in die Arme. Mit Schukowski, dem gealterten Hofpoeten, machte er gemeinsam mystische Exercitien; nur noch für den Beifall des Czars und der Hofkreise schien er zu leben; in Rom, in Jerusalem, wohin er sich einen sogenannten Auslandspaß verschafft hatte, suchte er Sühne, und schließlich wand er sich Tage lang vor Heiligenbildern auf den Knieen, ohne Speise und Trank zu sich zu nehmen, ließ seine alten Freunde im Stiche, jammerte über den Abfall und die Verderbniß der Jugend, bis man ihn eines Tages verhungert, buchstäblich verhungert zu Füßen eines Muttergottesbildes fand.

Nach solchem Schaffen ein solcher Tod!

Und es ist nichts damit gethan, dieses tragische Menschenschicksal aus dem beliebten Gegensatze von Realismus und Idealismus zu erklären; denn Nicolaus Gogol war weder ein Realist noch ein Idealist. Ihm blutete das Herz, wenn er das diebische Beamtengesindel zeichnete, und wenn er den kleinen unwissenden Provinzadel verspottete, so lachte ihm die Seele. Er war gerecht und tapfer, streng und lustig, weil er ein Humorist war. Kein Zucken in dem automatischen Antlitz des untergeordnetsten Beamten war seiner Beobachtung entgangen und mit kräftigem Behagen zeigte er auf die kupferrothe Nase in dem verschwommenen Gesichte eines herabgekommenen Edelmannes.

Er war der Schicksalsdichter Rußlands; die Zeit war gekommen, da Rußlands Verhängniß es forderte, daß über die Peiniger des Volkes Gericht gehalten, daß die Autorität dieses feilen Beamtenthums, die ahnungslose Apathie dieses Volkes erschüttert werde, und Gogol war dazu ausersehen, das furchtbare Werk zu beginnen. Der Dichter warnt zur rechten Stunde; verhallt sein Ruf, kommt nach ihm der Rächer. Der Dichter Gogol ist kläglich zu Grunde gegangen, als er seine Schicksalsmission überlebt hatte; ihn verschlang der Abgrund, den er geöffnet hatte, als er kaum sein vierundvierzigstes Lebensjahr erreicht hatte; aber seine Werke sind geblieben, diese beiden fürchterlichen Anklagen in Komödien- und Romanform – das Lustspiel „Der Revisor“ und die Erzählung „Todte Seelen“ – in denen zum ersten Mal der streitbare Nihilismus das Wort führt. Der Czar, der einst selbst über Puschkin die Censur geübt hatte, gewährte Gogol einen Jahresgehalt; er ahnte nicht, daß er den gefährlichsten Revolutionär belohnte, den jemals eine russische Mutter genährt hat.

Wäre hier ein banales Wortspiel am Platze, so könnte man wohl sagen, es sei nicht zufällig, daß das fünfactige Lustspiel Gogol’s den Titel „Der Revisor“ führte; denn hier wird in der That eine Revision der russische Zustände vollzogen, die sich jeder Nachsicht und jeder Duldung entschlägt. Es geht der Polizei und Bureaukratie aller Grade an’s Leben, dieser rostigen zerfressenen Maschine, welche sich beständig selber ölt, indem sie erbarmungslos das Volk auspreßt. Fünftausend Paragraphen enthält der Swod, dieses Monstrum einer Gesetzsammlung, für jeden spitzbübischen Beamten genug, um seine Beute mit dem Schein der Gesetzlichkeit zu decken.

Der Gouverneur – nennen wir ihn mit Gogol Anton Antonowitsch Skwosnik-Dmuchanowski – hilft dem Schulrector Luka Lukitsch Chlopow mit dem entsprechenden Paragraphen aus, wenn es gilt, mit demselben ein gestohlenes Gut zu theilen, und der Kreisrichter Ammas Fedorowitsch Lapkin-Tapkin der Hospitalverwalter Artemi Philippowitsch Semljanka, der Postmeister Iwan Kusmitsch Schpekin sind ebenfalls mit Freude von der Partie.

Gogol selbst fügt für die Schauspieler die Personenbeschreibungen dem Verzeichnisse bei, und da heißt es von dem Gouverneur:

„Obgleich bestechlich hat er doch viel Haltung. Der Uebergang vom Schrecken zur Freude, von hündischer Unterwürfigkeit zum Hochmuth vollzieht sich bei ihm ziemlich schnell wie bei einem Menschen, der unedle, rohe Neigungen hat.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_560.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)