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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Nun erschien die erste Schützengruppe, und an ihrer Spitze schritten die von weither herzugeeilten Gäste aus der Türkei, aus Manila und Nordamerika, unmittelbar darauf in langem Zuge die Schweizer, dann die außerbaierischen Landeskinder in alphabetischer Ordnung. Wunderschön präsentirte sich die zweite historische Gruppe, die Jagd. Gestalten aus längst vergangenen romantischen Zeiten zogen nun an den staunenden Blicken vorüber: Fanfarenbläser mit mächtigen gebogenen Jagdhörnern, Jagdgesinde mit Armbrust und Speer, die Hatzrüden an der Leine führend, eine glänzende Cavalcade von Rittern, Imkern und Damen, darunter Falkoniere mit lebenden Falken, Wildträger mit Beute beladen und eine roth bezogene Kutsche mit Edelfrauen; herrlich war der Festwagen zu schauen; darauf stand unter einer großen Eiche der ritterliche St. Hubertus und der verhoffte Hirsch; in dem Gezweige des Baumes saßen Vögel und allerlei Gethier trieb sich darin umher. Jubelnd empfing man allerorts dieses Prachtstück der künstlerischen Gestaltungsgabe.

Die dritte Gruppe brachte die Wehrkraft; markige Gestalten zu Fuß und zu Roß, theils dem Volk aus der Zeit des Bauernkriegs, theils den Kriegsläufern aus der Landsknechtperiode angehörend, zogen heran; manch eisengeharnischter Ritter, manch junger Fant mit dem Flamberg in der Hand erntete reichen Dank aus schönen Augen; auch die in diese Gruppe eingereihten baierischen Oberländer Schützen in ihrer nationalen Tracht wurden lebhaft begrüßt. Nun nahte das herrlichste Bild, dessen sich ein deutsches Herz freuen konnte: der von acht prächtig geschürten Rossen gezogene goldstrahlende Triumphwagen der Germania, mit Krone, Schild, Mantel und Schwert; sie war eine edle, schöne Frauengestalt, diese Germanin und mit stolzem, brausendem Jubelgeschrei wurde sie empfangen, sodaß sich das Gesicht der holden Frau immer und immer wieder mit flammendem Roth bedeckte. Eine nicht minder anmuthige Gefährtin stand als Lenkerin des Gespanns in antiker Gewandung auf dem vordern Theile des Wagens.

Die vierte Gruppe endlich, welcher Fanfarenbläser und Edelfräuleins zu Pferd mit den Standarten der früheren Feststädte voranritten, enthielt die auf einem Wagen thronende und von Pagen umgebene Munichia.

Wo der Zug erschien, wurde es im Volke und in den Häusern lebendig; jubelnde Zurufe, Tücherschwenken und Blumenregen aus allen Fenstern begrüßten denselben. Besonders stürmisch wurden die Oesterreicher willkommen geheißen - und mit Recht; denn sind sie nicht die außer Hause weilenden Söhne unserer nationalen Familie, und haben sie nicht als solche Anspruch auf besondere Freudenbezeigung? Denkt man bei solchen Auszeichnungen nicht auch an den Kampf, den Deutsch-Oesterreich gegen seine Widersacher im Innern auszutragen hat? Ich habe mir Mühe gegeben, in dieser Sache Erkundigungen einzuziehen, und habe nur freudige Anerkennung, nirgends die Spur einer Verstimmung unter den Festgästen gefunden.

Vor der Feldherrnhalle erfolgte der feierliche Act der Uebergabe der Bundesfahne durch die Herren Rechtsanwalt Reinartz und Dr. Bausch Namens der Stadt Düsseldorf an den ersten Bürgermeister der Stadt München, Dr. von Erhard. Diesem Acte wohnten die Mitglieder des königlichen Hauses, die Minister und andere hohe Staatsbeamte, die Stadtvertretung und das Festcomité. an; die Sängervereinigung trug das von Professor Schönchen componirte und von Hermann Lingg verfaßte Lied „Gruß den Schützen“ vor, worauf sich der Zug wieder in Bewegung setzte und nach zwei Uhr am Festplatze anlangte.

Werfen wir nunmehr einen flüchtigen Blick auf den feenhaft ausgeschmückten Platz, ehe das wimmelnde Treiben davon Besitz genommen hat! Unmittelbar hinter dem Haupteingange befand sich ein weitgedehnter Vorplatz, der, für das fahrende Volk von Händlern, Raritätenbesitzern u. dergl. bestimmt, den sogenannten „Wurstelprater“ darstellte. Hier waren die obligaten Schaubuden untergebracht; die Mitte des Platzes durchschnitt eine breite Straße, welche, mit einer Flaggenallee geziert, direct zum Hauptportale führte. Beim Anblicke dieses Thores regte es sich traumähnlich im Beschauer. „Wo habe ich dies gesehen?“ fragte er sich, „in irgend einer Stadt, als Bild oder gar nur in der Phantasie auf Grund einer Lectüre?“ Es ist ein Stadtthor, wie es die ehrwürdigen, prächtigen Städte des Mittelalters geziert hat. Von zwei Thürmen flankirt, dehnt sich das niedere Portal so in die Weite, daß die Kaufleute mit ihrem Gute einziehen und auch ein Fähnlein Stadtknechte gut einreiten mag. Die Bemalung dieses reizenden Bauwerkes mit Rauten und Wappentieren und die Verzierung mit alten, echten Fahnen trug wesentlich dazu bei, die Illusion zu erhöhen; schräg aufsteigende Löwen schmückten die Wandflächen der Thürme; über dem Thore war das Stadtwappen Münchens angebracht, und eine massige Holzgallerie verband die Thürme unter sich.

Statt des gestrengen und griesgrämigen Thorschreibers saß in dem Stübchen des linkseitigen Thurmes ein Kind der Neuzeit, das die Welt mit Neuigkeiten in Form von Tagesblättern versorgte, während die Thorwache gegenüber von der freiwilligen Feuerwehr gebildet wurde. Nach dem Eintritt durch dieses Thor fesselte den Beschauer sofort der Anblick der Festhalle, welche die östliche Seite des Festraumes einnahm. Dieselbe zeigte einen mächtigen Mittelbau mit hohem Dachstuhl und zwei sich in stumpfem Winkel gegen den Platz hereinbringende Langhallen, die wieder durch Erkerthürmchen abgeschlossen waren.

Eine Reihe von Portalen erleichterte den Zugang der Massen und für den controllirbaren Verkehr waren besondere Schrankenvorrichtungen hergestellt. Die äußere Ausstattung der Festhalle zeigte ebenso viel Reichthum, wie künstlerischen Geschmack, und das Dach war mit grünem Tannenreisig überdeckt, was einen ungemein freundlichen Anblick bot. Hoch am Giebel des Mittelbaues sah man St. Hubertus und den Hirsch angebracht; die kleinen Ercker desselben aber waren mit Elchschädeln, die vergoldete Geweihe trugen, geziert, und über dem Hauptthor breitete ein riesiger deutscher Adler seine mächtigen Schwingen aus. Zwei prächtige Kolossalfiguren, cachirt und bemalt, hergestellt von Meister Gedon, ein stattlicher Jäger und eine Jägerin, bewachten den Zugang in das Innere, das gleichfalls entsprechend decorirt war. Das Balkenwerk des Oberbaues verhüllten mächtige Eichenlaubbögen, während die im Mittelschiff befindliche Musiktribüne mit Gobelins und musikalischer Trophäen verkleidet war; über derselben prangten Bilderwerke, welche die von Hermann Lingg in seinem Gedichte so prächtig gezeichneten vier Stämme: Sachsen, Franken, Schwaben und Baiern in hübscher, entsprechender Gestaltung versinnbildlichen.

Grün und goldig schimmerte der Festhalle gegenüber der Gabentempel, ein auf breitem Unterbau ruhender Kiosk mit Kuppeldach, das durch eine mit Hirschköpfen verzierte Pyramide gekrönt war. Vier hochstämmige Föhren überschatteten den ganzen Bau, und aus dem Geäste der prächtigen Bäume blinkten verlockend die großen goldenen Aepfel der Hesperiden. Die den westlichen Abschluß bildende Schießhalle bestand gleichfalls aus einem Mittelbau und zwei Hallenflügeln in der Gesammtlänge von beinahe zweihundert Meter. In derselben befanden sich die Schießstände, die Plätze der Warner und Schreiber, die Ladetische und Ruheplätze für die Schützen.

An diese Hauptbauten schloß sich nun eine Reihe von Nebengebäuden, namenlich Stätten der Erholung und Erfrischung. Außer der Wirthschaft in der Festhalle waren nur noch vier Wirtschaften in Betrieb gesetzt worden; jede derselben zeigte einen anderer Charakter. Da war einmal „Der wilde Jäger“, ein phantastischer Bau mit doppeltem Thurmaufsatz, das Dach mit alten Hohlziegeln gedeckt; eine Eule mit großen Augen bildete die Windfahne; vom Thurme herab hing als Firma am eisernen Arm der einladende Krug, und an der Facade prangte Hackelberg's, des wilden Jägers Bild zu Roß, in Sturm und Nacht dahinfliegend.

Nicht weit vom wilden Jäger erblickte man das Wirtshaus „Zum goldenen Hirsch“, dem äußeren Ansehen nach ein Gebirgsgasthaus älterer Ordnung, mit tiefliegenden kleinen Fenstern und einem Altan unter dem vorspringenden Dach; auch der Maibaum vor dem Hause war nicht vergessen; das hübsche Häuschen erinnert an irgend ein am Waldsaum liegendes als Wirtshaus installirtes Forsthaus.

Auf der südlichen Seite zunächst der Schießhalle stand die Wirthschaft „Zum blinden Mann“, doch war mit dieser Firma keinerlei Anzüglichkeit auf unglückliche Schützen beabsichtigt; o nein – dieser blinde Schütze ist überall bekannt; es ist der kleine Herzensjäger Amor. Welche Geschäfte derselbe während des Schützenfestes gemacht hat, konnte statistisch leider nicht nachgewiesen werden; bei dem großen Verkehr der schönen Welt auf dem Festplatze ist jedoch anzunehmen, daß er erkleckliches Unheil angerichtet habe.

Dicht neben den kleinen nackten Schlingel befand sich die „Schützenliesl“, welcher unter den vier Gasthäusern unbedingt der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_566.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)