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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Fügen drückte des Jünglings Hand, ohne ein Wort zu entgegnen. Er wußte kaum, ob es Befriedigung oder Trauer war, was er ihm gegenüber empfand. So viel edles Feuer in seinem jungen Freunde! Aber wäre ihm nur Raum gegeben zu freierem geistigen Fluge! Die Ueberzeugung, daß große Enttäuschungen dieser jungen Seele bevorstünden, drängte sich ihm schmerzlich auf. „Stoff zu etwas Großem!“ dachte er, „allzu großartiger Stoff für einen Dorfpriester!“ Und wieder hielt sein Gedanke still; Schilderungen, die er vom Leben der Gebirgspfarrer vernommen, stiegen seiner Erinnerung auf. Wie konnte so ein Pfarrer menschlich schön und groß wirken! Welcher Hingabe bedurfte es, im Hochgebirge, inmitten armer, weit zerstreuter Gemeinden, in tiefer geistiger Einsamkeit auszudauern, arm an Genuß, reich an Opfern und Entsagung, selbst an Gefahren! In solchem Beruf war Kraft und Feuer nicht verschwendet; es bedurfte dessen in seltenem Maße, um nicht zu erlöschen, das karge Leben von innen heraus zu nähren und zu erwärmen. Die bewegliche Phantasie Fügen’s gestaltete ein Zukunftsbild, das sein Denken so erfüllte, daß er die Scenerie um sich her vergaß und im Geiste zwischen jäh niederfallenden Alpenwänden steile, schneebedeckte Pfade wanderte. Und doch schritt sein achtloser Fuß bereits den Hügel zur Moosburg hinan. Auf überraschende Weise ward er hieran erinnert; aus dem Buschwerk zur Rechten des anssteigenden Weges brach mit freudigem Gebell der Neufundländer, stürzte dem Ankömmling entgegen, hob sich wie zum Sprunge und ließ, als Zeichen des Wiedererkennens, die beiden Vordertatzen auf Fügen’s Schultern nieder. Ehe sich dieser so recht auf die Situation besonnen hatte, klang helles Lachen auf.

Unwillkürlich wendete er den Kopf und erblickte zwischen dem goldigen Land der Büsche einen dunklen Mädchenkopf, dessen große Augen ihn anleuchteten; das glühende, blühende Gesicht lachte über und über. Halb verlegen, halb ärgerlich strebte er sich der Zärtlichkeiten des vierfüßigen alten Freundes schleunigst zu entledigen ehe dies ihm aber gelungen, war die Erscheinung schon verschwunden. Endlich frei geworden, wandte er sich lebhaft gegen Lois. „Wer ist das gewesen?“

„Das fragen Sie, Herr Fügen? Natürlich die Maxi!“

„Warum nicht gar! Die ist ja noch ein Kind – dieses bildschöne Geschöpf aber –“

„Sie war’s,“ murmelte der junge Mensch.

Ehe Fügen hierauf erwiderte, hatte sein der flüchtigen Erscheinung nachspähender Blick das Haus gestreift und haftete nun an einem der Fenster. Mutter und Sohn standen innerhalb desselben, und ein weißes Tuch flatterte zum Willkommgruß. Fügen’s Herz begann rascher zu schlagen. Eine starke Aufregung ergriff ihn plötzlich; ohne ein weiteres Wort, ohne um sich zu schauen eilte er vorwärts durch die wohlbekannte Pforte, die Treppen hinauf, dem Terrassenzimmer zu, wo ihm die beiden Gestalten erschienen waren. Als er die Schwelle überschritten hatte, sah er im ersten Moment nur Genoveva. Ja, sie war es, in ihrer ganzen Macht. Als sie auf ihn zutrat und ihm die Hand bot, traf es ihn wie mit einem elektrischen Schlage. Der dunkle, magnetische Blick setzte sein Innerstes in jähe Bewegung, als sei ein Pendel, der lange stillgestanden, plötzlich berührt, und die Uhr schlüge nun den alten Tact, nachdem sie Jahre hindurch tief geschwiegen. Aber nicht umsonst geht ein Mann in kräftigem Wirken und Schallen durch eine Reihe von Jahren. Richard Fügen empfand die Gewalt Genoveva’s, gleichzeitig blieb er sich aber des Willens bewußt. Mit festem Händedruck erwiderte er die Begrüßung der edlen Frau, und schon im nächsten Moment leuchtete ihm wieder schöne Freude aus den Augen.


(Fortsetzung folgt.)




Frauen der französischen Revolution.

Von Rudolf von Gottschall.
4. Charlotte Corday.

Wohl keine der Heldinnen der Revolutionszeit hat größere Sympathien erweckt, als Charlotte Corday, welcher selbst ein Autor von so sittlichem Hochgefühl wie Jean Paul einen begeisterten Dithyrambus widmete. Charlotte Corday erscheint als die idealste Frauengestalt jener Zeit; ihre Jugend und Schönheit trugen nicht wenig dazu bei, sie zum Gegenstande schwärmerischer Verehrung zu machen; der Abscheu, den man gegen den blutdürstigen Marat hegte, umgab seine beherzte Mörderin mit einem Heiligenschein.

Charlotte de Corday und d’Armans, aus einem altadeligen Hause, war am 27. Juli 1768 im Kirchspiele von Ligneries geboren; sie stammte mütterlicherseits von dem großen Dichter Corneille, dessen Verse sie oft zu citiren pflegte und dessen schwunghafter Heldenmuth in ihrer Seele lebendig war. Ihre Eltern lebten in den allerbescheidensten Verhältnissen, und ihr Vater verfügte nur über eine Jahresrente von 1500 Franken. Charlotte wurde anfangs in einem Benedictinernonnenkloster erzogen und von den schwarzgekleideten, weißverschleierten Nonnen im Schreiben, Sticken und Zeichnen unterrichtet; das ernste, schöne Mädchen gewann namentlich in der letzteren Kunst eine große Fertigkeit.

Als die Revolution die Klöster aufhob, wurde Charlottens Erziehung der ältesten Schwester ihres Vaters, einer Frau von Bretteville, anvertraut, die als sechszigjährige Wittwe in Caen ein düsteres, melancholisches Haus bewohnte. In enger Freundschaft mit Eleonore von Faudors verbunden, mit der zusammen sie die ersten Gesellschaften der Stadt besuchte, wuchs Charlotte hier auf. Ihre Lieblingsbeschäftigung war eine ernste Lectüre, und schon damals las sie mit großem Interesse die Zeitungen. Die Freiheitsgedanken der Revolution fanden in ihr ein lebhaftes Echo.

Charlotte Corday war mit zweiundzwanzig Jahren eine Schönheit geworden; wenigstens schildern sie ihre Lobredner als eine solche. Sie rühmen an ihr eine regelmäßige und kräftige Figur, die doch zugleich zierlich und elegant war; jede ihrer Bewegungen athmete Anmuth und Ehrbarkeit; ihr Mund und ihre Zähne waren schön, ihre Haare kastanienbraun, ihre Augen blau mit langen Wimpern. Ihre tadellosen, etwas strengen Gesichtszüge, ihre edel geformte Nase, Hände und Arme hätten dem Bildhauer zum Modell dienen können. Ihre Sprache hatte Klarheit, Gemessenheit, einfache und edle Natürlichkeit und verführerischen Wohllaut, der durch ausnehmende Modulationsfähigkeit unterstützt wurde.

Doch das Lob der Schönheit ist nie ein unbestrittenes gewesen; nicht nur ist der Geschmack ein verschiedener, auch die politische oder sonstige Voreingenommenheit bestimmt unser Urtheil. So erging es auch Charlotte Corday; die jakobinischen Blätter jener Zeit entwerfen durchaus nicht ein so schmeichelhaftes Bild von der jungen Heldin, die ihnen nur als eine verruchte Mörderin erschien. Die „Gazette Nationale“ brachte folgende officielle Photographie, welche die Provinzialblätter der Regierung nachdrucken mußten: „Jenes Weib besaß keine Spur von Schönheit; sie war ein Mannweib, mehr fett als frisch, mit männlichem Wesen, ohne Grazie und schlampig, wie es ja die weiblichen Philosophinnen zu sein pflegen. Ihr Gesichtsausdruck war bäuerisch, anmaßend, ihre Farbe knallroth, und doch genügte ein weißer Teint, Jugend und ein berüchtigter Name, um sie in einem Verhör für eine Schönheit gelten zu lassen. Charlotte Corday hatte bei ihrem Tode ein Alter von fünfundzwanzig Jahren; sie war im Grunde bereits eine ,passirte‘ Schönheit.“

Aber die Nachwelt ist im Stande nach Bildern und Büsten sich ein selbstständiges Urtheil über die todesmuthige Schwärmerin zu bilden, das nur zu Gunsten ihrer Schönheit ausfallen kann und jene Schilderung der jakobinischen Regierungsblätter als tendenziöse Carricaturzeichnung erscheinen läßt.

Es sind durchaus innerliche Vorgänge, welche in dem heroischen Mädchen den Entschluß zur Reife brachten, den Führer der blutrothen Demagogenpartei, Marat, zu ermorden; eine äußere Anregung dazu gab die Anwesenheit der flüchtigen Girondisten in Caen, welche das Volk zur Empörung gegen die Pariser Schreckensherrschaft aufriefen. In Marat sah sie den blutigen Verfolger dieser jungen hochbegabten Männer, von denen sich einige, wie Barbaroux, auch durch äußere Schönheit auszeichneten. Charlotte Corday wohnte oft den Sitzungen des Insurrectionscomités bei, begeisterte sich für Buzot’s glänzende Reden, für Barbaroux’ feurige Beredsamkeit und sah in ihnen die Märtyrer der edlen Republik; sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_572.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)