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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

würde man außerdem nicht weit vorwärts kommen, da in demselben die Kreuzung vom Zufall abhängt.

Anders verhält sich die Sache bei Shirreff, welcher bei seinen Operationen die notwendigen Sicherheitsmaßregeln, unter denen die bestimmt beabsichtigte Kreuzung allein gelingen kann, einführte. Nachdem er die entsprechenden Varietäten gewählt hatte, begann er die Operation mit Verkürzung der Mutterähre, das heißt derjenigen, welche mit den Pollen der andern Varietät befruchtet werden sollte.

Er entfernte von den einzelnen Aehrchen eins um’s andere und ließ nur die beiden an der Außenseite befindlichen Kapseln an einem Knoten stehen. „Eine so präparirte Aehre,“ schreibt er, „dürfte dann aus vier oder sechs Knoten mit acht oder zwölf Kapseln bestehen, und die Verstümmelungen, welche die Aehre erlitten, erleichtern die späteren Manipulationen und hindern die oberen Blüthen am Ausschütten ihres Pollens auf die in Operation befindlichen.

Die vier Haupternährer der Menschheit.
Zweizeilige Gerste, Hordeum distichon L., a ein Aehrchen, daneben links ein Stück. Granne vergr., b c Samenkorn, vordere und hintere Seite. - 2. Gemeiner Weizen, Triticum vulgare L., d ein einzelnes Aehrchen mit dem zugehörigen Spindelgliede, e dasselbe auseinander gebreitet; man unterscheidet daran die beiden Kelchklappen und die fünf Blüthchen: 1, 2, 3, 4, 5, von denen 4 und 5 verkümmert sind; f ein Samenkorn von der innern gefurchten Seite, darüber 3 andere von der Rückenseite, das mittelste kräftigste ist aus dem 2. Blüthchen. - 3. Gemeiner Roggen, Secale cereale L. g wie d; i h Samenkorn von beiden Seiten, an h unten die Keimstelle. - 4. Der gemeine Rispenhafer, Avena sativa L., und zwar nur ein Theil einer Rispe; l k wie i h. (Alle Figuren sind natürliche Größe.)

Dann öffne man die Klappen der Mutterähre, und nach Entfernung der Staubbeutel aus der Kapsel ersetze man sie durch der männlichen Aehre entnommene Staubbeutel; endlich schließe man die Klappen durch einen leisen Druck mit den Fingern.“ Selbstverständlich empfiehlt ferner Shirreff, daß man bei der Entfernung der Staubbeutel der Mutterähre dieselben nicht verletze, weil sonst ihr Pollen auf die Narbe fallen und dieselbe befruchten könnte und der gewonnene Samen alsdann keine Bastardpflanze hervorbringen würde. Diese Operation wird am zweckmäßigsten von zwei gemeinschaftlich arbeitenden Personen ausgeführt, von denen die eine die Klappen offen hält, während die andere mit kleinen Zangen die Staubbeutel der Mutterähre entfernt und sie durch die Staubbeutel der Vaterähre ersetzt. Gleich nach der Kreuzung wird die operirte Aehre an einem Pfahl befestigt und vor Wind und Vögeln durch eine Hülle aus Drahtgaze geschützt.

Die auf diese Art gezogenen Samenkörner sehen freilich sehr schwächlich aus, und erst in zweiter oder dritter Generation zeigen sie ihre durch die Kreuzung neugewonnenen Eigenschaften. Dem allgemein bekannten Naturgesetz zufolge können nur Varietäten derselben Art, also Weizen mit Weizen, Roggen mit Roggen etc. gekreuzt werden. Auch wird man stets nur eine gewisse Anzahl von Pflanzen der Operation unterwerfen können, und durch wiederholte Aussaat die nöthige Quantität des Saatguts gewinnen müssen.

Gleichzeitig mit Shirreff versuchte nun ein anderer englischer Saatzüchter, Hallet in Brighton, die bereits vorhandenen Varietäten zu verbessern. Die Grundlage seiner Arbeiten bilden folgende Sätze, welche bisjetzt wenig angefochten wurden.

„1) Jede entwickelte Getreidepflanze zeigt eine Aehre, die eine höhere Productionskraft hat (das heißt stärker und schöner entwickelt ist) als alle anderen an dieser Pflanze. 2) Jede solche Pflanze enthält ein Korn, welches sich productiver erweist als jedes andere von derselben Pflanze und 3) das beste Korn einer Pflanze liegt in der besten Aehre.“

Hallet folgerte nun daraus, daß durch fortgesetzte Auswahl der besten Körner in der Nachzucht die Productionskraft der Pflanze verstärkt werden müsse, bis sie schießlich das Maximum erreiche. Es gelang ihm auch in der That, überraschende Resultate zu erzielen. In vier Jahren erhielt er aus einer Aehre von 43/4 Zoll Länge mit 47 Körnern durch fortgesetzte Aussaat des besten Kornes eine Aehre von 83/4 Zoll mit 123 Körnern.

Zu Shirreff und Hallet gesellte sich in letzterer Zeit noch ein dritter englischer Saatzüchter, Delf, der im Großen und Ganzen die Hallet’schen Principien annahm, aber nicht das größte, sondern das schwerste Korn zur Nachzucht auszuwählen rieth. Er hat auch eine Maschine ersonnen, auf welcher die schweren Körner von den leichteren sortirt werden.

Die neueren Saatzüchter, wie Graf zu Lippe, empfehlen nunmehr eine Vereinigung der beiden Methoden, indem ihrer Ansicht nach bei den Kreuzungsversuchen die obersten und untersten Blüthen einer Aehre entfernt werden und nur die mittelsten zur Befruchtung gelungen müßten.

In den jüngsten Jahren wurden diese englischen Neuerungen auch auf deutschen Boden verpflanzt, und vor Allem verdienen hier die Arbeiten des Herrn Rimpau-Schlanstädt hervorgehoben zu werden, welcher seit dem Jahre 1875 Kreuzungen zwischen dem englischen und deutschen Weizen unternimmt, um eine Art zu erhalten, welche neben der Ertragsfähigkeit der englischen die Winterhärte der einheimischen besäße.

Die große Bedeutung der Bildung neuer Getreidevarietäten je nach den jeweiligen Bedürfnissen des Landwirtes brauchen wir hier wohl nicht ausführlich zu besprechen Manche Getreideart, die eine reiche und schöne Ernte liefert, kann gegenwärtig in unserem Lande nicht gebaut werden, weil sie sich zu rasch entwickelt und durch die Nachtfröste des Frühjahrs geschädigt wird; kreuzen wir aber dieselbe mit den winterharten einheimischen Arten, so ist die Möglichkeit geboten, eine neue Varietät zu schaffen, welche die ursprüngliche Ertragsfähigkeit beibehält und außerdem die unserem Klima entsprechende langsamere Entwicklung annimmt. Solcher Gesichtspunkte giebt es freilich unzählig viele, und von jedem derselben aus bietet sich dem Landwirthe eine verlockende Aussicht. Aber so leicht die Operation der Kreuzung erscheinen mag, ebenso schwierig ist die Wahl der zu kreuzenden Arten. Wie Alles in der Landwirtschaft, so erfordert auch diese Arbeit, wenn sie gelingen soll, viel Mühe und eiserne Energie. Aber die Bahn zur Veredelung der Getreidearten ist gebrochen, und der Unternehmungsgeist unseres Jahrhunderts bürgt uns dafür, daß wir auf derselben zum allgemeinen Nutzen rüstig vorwärts schreiten werden.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_576.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)