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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

dicht an die Höhen gedrängt, zu denselben aufstieg und ein hochragendes Joch bis zum Gipfel bewaldete. Die Sonne stahl sich nur in einzelnen Funken durch den düstern Föhrenwald, auf dessen Moosgrunde schwere Felsblöcke verstreut umherlagen. Das ernste Dunkelgrün der Tannen, nirgends von buntgefärbtem Laube belebt, das mächtige Gestein, welches so fremd, wie nicht hierher gehörig, grauweiß erschimmerte, verlieh dieser Waldstrecke wilden Reiz. Der schmale, wenig betretene Fußpfad war mit grauem Geflechte dicht übersponnen; trotzdem hallte jeder Schritt der Spaziergänger in der tiefen Einsamkeit wieder. Nur je Zwei konnten neben einander bleiben. In stiller Übereinstimmung hatten die Andern Frau von Riedegg und ihrem Sohne einen Vorsprung gelassen, der sie isolirte. Lois, welcher mit Maxi zunächst folgte, hielt den Schritt an, so oft das Mädchen zwischen die Bäume huschte, um die späten Waldblumen zu sammeln, die noch vereinzelt zwischen bunten Pilzen und riesigen Farrnkrautbüscheln gediehen. Der junge Mensch war schweigsam und schien ganz mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, während des Kindes funkelnder Blick verrieth, wie viel Mühe es kostete, die Aeußerungen zu unterdrücken, welche sich am liebsten alle zugleich an den Tag gedrängt hätten. Aber schon bei Maxi’s auf ihn gerichtetem Blick runzelte Lois die Stirn wie vor etwas Störendem; dann warf sie trotzig die rothen Lippen auf und schwirrte wieder seitwärts zwischen die Bäume. So war und blieb Alles still im Bereiche der Strecke, welche Fügen und Jana in geringer Entfernung von Jenen durchschritten; sie sprachen mit einander in so gedämpftem Tone, daß der einzige schwache Naturlaut, das noch ferne Brausen der Ache, fast vernehmlicher klang als ihre Stimmen.

„Mir bangt für Sie, liebe Jana,“ sagte Fügen; „Sie werden allzu einsam sein. Der ewig lange Winter – was wollen Sie da mit sich anfangen, wenn Sie ihn hinbringen sollen wie eine Märchenprinzessin auf dem verwünschten Schlosse?“

„Halten Sie mich zum Besten?“ lachte sie. „Im Märchen werden allerdings aus Hirtinnen manchmal Prinzessinnen, um die es sehr schade wäre, blieben sie im verwünschten Schlosse. Die sind aber jung und haben nichts auf der Welt zu thun, als wunderschön zu sein und sich erlösen zu lassen. Ich dagegen bin ein altes Mädchen und habe zu thun vollauf. Sie brauchen wahrlich nicht zu sorgen, daß mir die Zeit lang würde. Zur Schloßverwalterin, Schulvorsteherin, Kirchensängerin und Armenpflegerin bestellt – und Sie fragen, was ich mit mir anfangen werde?“ Ihre klaren Augen blickten ihn so heiter an, daß all ihre sanfte Wärme auf ihn überging.

„Ja, ich weiß,“ sagte er innig; „wohl hab’ ich’s gesehen in diesen wenigen Tagen, daß die ganze kleine Welt ringsum Sie wie eine gütige Vorsehung betrachtet. Und was ich nicht selbst gesehen, das ist mir erzählt worden: wie die Betrübten zu Ihnen heraufkommen und Sie zu den Kranken hinabsteigen, und daß Ihnen bei alledem Zeit bleibt, sich mit den Fröhlichen zu freuen, mit Ihren hülfreichen Händen und liebreichem Herzen auch am Glücke eines Jeden mitzuarbeiten, der um Sie her lebt. Gut für all diese braven Leute! Aber Sie, Jana, Sie selbst? Unmöglich können Sie mich im Verdachte haben, Ihnen Complimente machen zu wollen, wenn ich es ausspreche, wie sehr Sie gewonnen haben, seit wir uns zuletzt trafen. Nicht an Güte und Vortrefflichkeit – da war nichts Besseres zu gewinnen – aber Sie müssen diese Jahre über neben Alledem, was Sie den Andern leisten, doch auch viel Zeit gefunden haben, Ihr eigenes Können und Wissen auszubilden. Ihr Gespräch, Ihr Gesang verrathen es – ja gewiß, Sie haben gelernt und geübt. Was so erworben worden, trägt auch den Anspruch in sich, genährt und befriedigt zu werden. Es ist wiederholt, es ist ausdrücklich die Rede davon gewesen, daß Frau von Riedegg Jahre hindurch abwesend sein wird. Denken Sie im Ernste daran, diese Jahre ganz allein auf der Moosburg zu verleben – mit keiner andern Aussicht auf Unterbrechung Ihrer Oede, als die für einige Herbstwochen hier verabredeten Zusammenkünfte von Mutter und Sohn? Nein, Jana, ich müßte nicht Ihr Freund sein, wenn ich mich scheuen wollte, dagegen zu sprechen! Sie sind zu jung, zu strebsam und begabt für solches Leben absoluter geistiger Einsamkeit. Das ertragen vielleicht Träumer oder Menschen, welche schweres Unglück ganz erschöpft hat – Sie müßten dabei verkümmern, und so sehr ich Frau von Riedegg verehre – das könnte ich ihr nicht verzeihen, solchen verkehrten Lebensplan zu unterstützen oder gar von Ihnen zu fordern. Längst schon brannte mir auf der Seele, hierüber mit Ihnen zu reden, und ich bin der Gelegenheit froh, die sich endlich findet. Ich habe kein Recht mich in Ihre Verhältnisse zu mischen, wenn Sie mir aber nicht verbieten, in meinem Sinne mit Frau von Riedegg zu sprechen, so möchte ich dies heute noch thun; ich bin überzeugt, nur das momentane Uebergewicht ihrer eigenen Angelegenheiten läßt sie übersehen, daß sie ihrer treuesten, allzu selbstlosen Freundin Unrecht anzuthun im Begriffe steht.“

Jana hatte ihn ausreden lassen, ohne die sanften, leuchtenden Augen von ihm zu wenden.

„Ich danke Ihnen für Ihren Eifer,“ sagte sie jetzt lächelnd; „er zeigt mir, daß Sie mein Freund geblieben. Aber Sie irren ganz und gar. Auf der Moosburg zu bleiben, an meinen Verhältnissen nichts geändert zu wissen, war und ist mein eigener Wunsch. Ich fürchte mich weder vor der Welt noch vor den Menschen, aber ich kenne keinen anderen Kreis als den der Wenigen, denen ich ganz und gar angehöre, und würde auch schwerlich in einen anderen hineinpassen. Wünschte Frau von Riedegg mich mit sich zu nehmen, so wäre mir dadurch das höchste Opfer auferlegt, welches ich mir vorstellen kann – und wohin, zu wem sollte ich sonst gehen wollen, wenn ich von hier ginge? O nein, Einsamkeit erschreckt mich nicht – ich liebe sie. Und was ich mir etwa erwerben konnte an geringem Wissen und Können, das bereichert ja nur mein Leben. ja, es war mir lieb, als Siegmund einen Hofmeister bekam und ich so Gelegenheit fand, meine große Unwissenheit ein wenig zu vermindern. Es ist schade, daß Herr Steuber uns schon vor Ihrem Eintreffen verlassen mußte. Ich verdanke ihm viel.“

„Und nun werden Sie für Jahre hinaus auf den Verkehr mit Bauern und Gesinde angewiesen,“ grollte Fügen.

„Sie vergessen Maxi.“ Ihr Blick spann gleichsam einen Faden zu der kleinen behenden Gestalt hin, welche leichten Fußes vor ihnen hin und wieder huschte. Der warme Ton, in dem sie sprach, fiel ihrem Begleiter auf.

„Ein Kind! Und dem Sie nicht einmal weiter geben sollen, was Sie sich angeeignet,“ sagte er. „Oder ist der Plan geändert, sie zu bescheidener Stellung zu erziehen?“

„Gewiß nicht! Sie sahen doch, daß sie uns Allen dient, und in irgend einem Sinne soll das stets geschehen. Nur, daß sie es nicht nöthig haben wird, Fremden anders als freiwillig zu dienen, und –“ sie hob das helle, lächelnde Gesicht zu ihm auf. „Ich habe ‚Hermann und Dorothea‘ gelesen! In diesem herrlichen Gedicht kommt eine Stelle vor, die ich nicht wieder vergessen werde. Sie wissen doch: ‚Dienen lerne das Weib!‘ So will ich es unserer Maxi lehren, wenn ich das vermag. Und hat sie es so begriffen, was könnte es ihr dann schaden, wenn ich an sie weiter gebe, was ich selbst gelernt habe? Bedenken Sie auch, daß ich hier in der Nähe meiner eigenen Familie bleibe. Der Mutter würde es schwer fallen, zöge ich fort. Sie hängt auch an der Maxi, obgleich sie das nicht Wort haben will und immer auf sie schilt. Das Kind thut’s doch Jedem an.“

„Hm,“ sagte Fügen nach kurzer Pause; „Sie mögen Recht haben. Die Kleine hält bei Ihnen noch das alte warme Herzplätzchen inne, wie ich sehe. Sagen Sie mir doch, von welchem Schlage sie eigentlich ist? Recht dahinter gekommen bin ich noch nicht, obgleich ich auf sie Acht gab. Das Gesicht thut es Einem an; da werden Sie mit der Zeit zu hüten bekommen. Sie hat ja ein paar Augen, um damit die Welt in Brand zu stecken. Und wissen Sie, mir scheint, daß sie dem Kobold, der früher in ihr hauste, heute noch Herberge giebt, so sachte sie sich auch geberdet. Sie allein sind es, welche das Sprühteufelchen am Bande halten.“

Jana erröthete; nach immer war ihr der mädchenhafte Reiz dieses leicht erregten Aufsteigens des Blutes geblieben.

„Vielleicht,“ sagte sie; „mehr als ich vermag aber der alte Spielcamerad über Maxi. Es ist nicht Ihre Gegenwart, welche jetzt den sonstigen Muthwillen dampft – sie nimmt sich immer zusammen, wenn Lois in der Nähe ist. Ja, Maxi’s Naturell ist stürmisch; wetterwendisch ist sie aber nicht. Nur wo sie sich freiwillig unterwirft, ist ihr etwas abzugewinnen dann aber auch Alles, denn sie kann nichts halb thun oder sein.“

„Und Siegmund? Wie stellt er sich zu Maxi?“ warf Fügen ein.

Jana schüttelte den Kopf.

„Die Beiden haben nichts gemeinsam, als ihr Alter. Ihr

ungestümes Temperament stört ihn; die Wege dieser Kinder gehen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_588.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)