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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


Der Trompeter vom Invalidenhause.

Ballade von Fedor von Köppen zu der Originalzeichnung von H. Lüders.


Der Trompeter am Invalidenhaus
Tritt vor mit dem Glockenschlage;
Einst blies er zum Sturme beim Schlachtengebraus,
Heut klingt’s zur Retraite wie Klage. –

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So Mancher, der mit ihm einst Ehren gewann,

Ist lange vor ihm geschieden
Zur großen Armee – nun kommen daran
Die letzten der Invaliden.

„Da bin auch ich in ihrer Zahl

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Zur Reserve aufgehoben;

Bald blas’ ich Retraite zum letzten Mal,
Muß selbst mich stellen dort oben.

Und seh’ ich – o Freude! – Euch wieder da,
Ihr alten, liebwerthen Helden,

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Dann will ich Euch, was hienieden geschah,

Getreu und redlich vermelden.

Denn Vieles hat sich verändert hier
Im Laufe von sechzig Jahren;
Die Alten werden sich wundern schier,

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Wenn sie durch mich es erfahren.


Das Kreuz von Eisen, so hochgeschätzt,
Es ging nicht mit uns zu Grabe;
Es tragen’s blutjunge Burschen jetzt –
Sie achten’s als theuerste Habe.

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Es reden von unsrer Victoria

Bei Leipzig nicht viel mehr die Jungen –
Sie reden von Sedan und Saint Privat
Und wie sie Paris bezwungen.

Und Eines noch – Cameraden, kommt her! –

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Dies wird Euch noch besser gefallen –

Gebt Achtung, präsentirt das Gewehr!
Jetzt kommt das Beste von allen:

Prinz Wilhelm, der Cam’rad von Bar sur Aube,
Hat den Kaiserthron jetzt bestiegen,

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Und unsere Jungen – ja wahrlich, Gott Lob!

Sie können noch kämpfen und siegen.“

Der Trompeter stützt’ auf die Krücke sich,
Ließ seine Trompete hangen;
Er lauschte, wie ferne so feierlich

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Der Retraite Töne verklangen. – –


Drei Tage darauf an denselben Ort
Antreten die Alten wieder.
Es rief sie kein Horn, kein Commandowort –
Still ordnen sich Reihen und Glieder.

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Man trägt einen Sarg zur Pforte hinaus

Bei gedämpftem Trommelschlagen:
Der Trompeter vom Invalidenhaus
Wird nach dem Friedhof getragen.


leicht in die Versuchung eines Kindes, dem der Wunschzettel zur Weihnachtsbescheerung unter den Händen länger und immer länger geräth. Die Leser und vielleicht noch mehr die Leserinnen würden kaum in Verlegenheit kommen, wenn die Aufforderung an sie gerichtet würde, die obigen Bemerkungen auf Grund ihrer eigenen Beobachtungen und Erfahrungen zu ergänzen und zu vervollständigen. Allein das Gegebene möge genügen, um hauptsächlich einen Gedanken in möglichst helle Beleuchtung zu setzen, der zu guter Letzt mit um so größerer Unbefangenheit ausgesprochen werden möge, als er Vielen die amtlich oder privatim mit Schulen zu thun haben, nicht fremd und unsympathisch sein wird.

Durch unsere Zeit geht das Bestreben, für die Bildung der Jugend nicht weniger als Alles von der Schule zu erwarten. Diese in allen Tonarten wiederholte Verherrlichung der allein selig machenden Schule hat eine frappante Aehnlichkeit mit dem auf politischem Gebiete gegenwärtig stärker als je hervortretenden Bemühen, alles Heil des Volkes ausschließlich vom Staate zu begehren. Der Staat soll nicht nur die Sicherheit des Lebens und Eigenthums verbürgen, nicht nur die Unabhängigkeit des Vaterlandes schützen und den öffentlichen Verkehr vermitteln, sondern er soll womöglich auch das Versicherungswesen in die Hand nehmen, die wirthschaftlichen Angelegenheiten vom grünen Tisch aus regeln und jedem Bürger die Richtschnur seiner religiösen Ueberzeugungen vorschreiben. In ähnlicher Weise soll die Schule nicht blos auf Verbreitung nützlicher Kenntnisse und Fertigkeiten bedacht sein, sondern auch das ganze Erziehungswerk als ihr Monopol in Anspruch nehmen, den Unmündigen das eigene Denken ersparen und durch ihren alles beherrschenden Einfluß das gesammte Volksleben nach Gefallen lenken. Wenn diese Bestrebungen die Oberhand gewännen, so würden wir bald zu einer Schulallmacht gelangen, die nicht weniger bedenklich wäre, als die von bekannter Seite sehnlichst herbeigewünschte Staatsallmacht. Insbesondere würde dadurch die erziehende Mitwirkung des Hauses in beklagenswerther Weise beeinträchtigt werden. Schlimm genug, daß durch die socialen Zustände der Gegenwart das Haus ohnehin einen Theil seiner pädagogischen Macht eingebüßt hat! Ihm den Rest seiner Befugnisse schmälern, hieße die Wurzeln des nationalen Wohles an einer ihrer empfindlichsten Stellen beschädigen. Welche Schule, und sei sie die vortrefflichste, will sich anheischig machen, das Haus zu ersetzen, das Haus mit seiner Vatertreue und seiner Mutterliebe, seiner wohlthuenden Wärme, seinen heiligen Ueberlieferungen, seiner unbeschreiblichen Poesie, seiner Hingebung der Einzelnen an das Ganze und seiner Fürsorge des Ganzen für die Einzelnen? Was

will die Schule leisten ohne die hülfreiche Unterstützung des Hauses?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_593.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2022)