Seite:Die Gartenlaube (1881) 598.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

schimmern und blinken; da flattern schwarz-weiße Fähnlein. Auch dort sind Ulanen, aber nicht von den Unseren; der verschiedene Anzug macht sie als Feinde kenntlich. Die beiden Reiter der Spitze halten die Rosse an, um schärfer zu beobachten; der Verbindungsmann feuert sein Pistol[1] ab; der Vortrupp im Hintergrunde schließt sich zusammen und macht sich gefechtsbereit. Aber noch kommt es zu nichts. Auch dem Feinde drüben kommt es vorläufig mehr darauf an, zu beobachten und zu erkennen, als zu fechten. Auch er hat sich, wie die Unseren, vorsichtig mit Spitze und Eclaireurs umgeben.

Von beiden Seiten bemüht man sich, diesen Schleier des Gegners zu lüften und dahinter zu schauen oder auch, wo dies nicht angeht, ihn gewaltsam zu zerreißen So gleicht die erste Begegnung mit dem Feinde einem Zeckspiele. Hier taucht plötzlich ein Reitertrupp auf und verschwindet dann ebenso plötzlich, um sogleich darauf an anderer Stelle wieder zu erscheinen; hier vorsichtiges Ausweichen, dort trotziges Stirnbieten! Hier und da kommt es auch wohl schon zu vereinzelten kleinen Attacken. Da jauchzt das Ulanenherz auf, wenn die lustigen Schaaren mit eingelegter Lanze, mit verhängten Zügeln, stiebenden Hufes über das Blachfeld dahinbrausen. Ja, wenn die bekannten Signale ertönen, die zum Uebergang aus dem Galopp in die schnellere Gangart den Fanfaro ndu die Carrière, auffordern, dann spitzt wohl auch der alte Gaul die Ohren, der vom königlichen Dienstpferde längst zum Philister degradirt ist und nun an Sonntagsreiter vermietet wird; wenn die Reiterlinie dann zur Attacke übergeht, wird Reiter und Roß mit fortgerissen in den sausenden Wirbelwind der Cavallerie-Attacke – ein Schicksal, das auf unserem ersten Bilde (vergl. Abbildung S. 596) dem wohlbeleibten Handlungsreisenden auf dem linken Flügel der attackirenden Ulanen bereitet ist.

„Wie, was?“ fragt der Ulan neben ihm in Reih und Glied, verwundert über die unerwartete Verstärkung durch den spießbürgerlichen, bügellosen Reiter in carirten Kattunbeinkleidern, ohne Lanze, ohne Säbel, „was? ein Commis-Volontöhr? Nur Muth, Männeken! Es wird gleich Appell geblasen.“

Und so ist es auch. Unser Ulan weiß wohl, daß die Friedensattacken nach den Manöverbestimmungen nicht weiter geführt werden dürfen, als bis auf fünfzig Schritt vom Feinde. Da wird auch unser geängsteter „Commis-Volontär“ wieder zum Athmen kommen.

Der weitere Verlauf des Manövertages bringt noch öfters Gelegenheit zu Cavallerie-Attacken in größerem Maßstabe, in Linie und en échelons, in geschlossener Colonne und in Schwärmattacken. Wer möchte sich dem imponirenden Eindrucke einer Cavallerie-Attacke verschließen, wenn die lange, schimmernde Linie der Reiter auf muthigen Rossen in vollem gestrecktem Laufe über die dampfende Ebene dahinstürmt zum sausenden, brausenden Choc! –

Auch unsere Dichter haben der Poesie der Cavallerie-Attacken sich nicht verschlossen; das beweist vor allen Schiller in der schönen Schilderung, welche der schwedische Hauptmann von dem Angriffe der Pappenheimer bei Neustadt und dem Tode ihres Führers, des Oberster Piccolomini, entwirft (10. Auftritt des 5. Actes von „Wallenstein’s Tod“), sowie in der begeisterten Rede des ersten Kürassiers in „Wallenstein’s Lager“:

„Die Pferde schnauben und setzen an;
Liege wer will mitten in der Bahn,
Sei’s mein Bruder, mein leiblicher Sohn,
Zerriß mir die Seele sein Jammerton,
Ueber seinen Leib weg muß ich jagen“ –

Aber sachte, sachte, hochverehrter Dichter-Kürassier! Hier scheint Ihr classischer Pegasus mit Ihnen durchzugehen und über die Formen der damaligen Cavallerietaktik hinwegzusetzen. Von einer solchen wilden Jagd konnte bei den Reiterangriffen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges gar nicht die Rede sein. Damals war die Hauptmasse der Reiterei nicht – wie heute – die blanke Waffe, sondern das Feuergewehr. Das Hauptgewicht des Reiterangriffs beruhte nicht – wie gegenwärtig – auf der gewaltigen, niederschmetternden Kraft des Anritts in vollster Geschwindigkeit und dem wuchtigen Einhauen mit der blanken Waffe, sondern wenn die Cavallerie attackirte, sei es gegen Reiterei oder Fußvolk, so ritt sie gewöhnlich höchstens im trägen Mittelgalopp – denn mehr konnten ihre schwerfälligen Pferde selten leisten – bis auf vierzig, fünfzig Schritt gegen den Feind heran. Dann wurde gehalten; die Carabiner wurden losgehakt, und es wurde Feuer gegeben. Erst einem Zieten und Seydlitz war es vorbehalten, der Cavallerie durch naturgemäße Verwendung die ihr gebührende bedeutende Stelle wieder zu erobern.

Der preußische Schlachtendichter C. F. Scherenberg schildert uns in seinem „Leuthen“ eine preußische Attacke aus dem siebenjährigen Kriege:

„Und über die schlanken Flanken Schenkel an Schenkel geklebt,
Helfend mit allen Hülfen der leichte Reiter schwebt,
Schmächtigend sich und stützend schier bis zum Verschwind,
Sich in sich verkriechend, zu schneiden den Wind,
Gangart aus Gangart, Schritt, Trab, Galopp, Carriére,
Bis weg von der Erde in’s Ventre à terre.

Und Alles, was darunter, muß über den Ritt;
Die Straßen steigen, verwolken und fliegen mit,
Bis Reiter, Roß und Straße eine Wolke, nichts mehr,
Ziehend über die Erde, ein Wetter tief und schwer,
Drinnen ein Brausen, Rauschen, wie strömend Wasser und Wind,
Bis wieder die brausenden Wetter die sausenden Reiter sind.“

So Scherenberg; wenn aber der Dichter seine Schilderung mit den gewagten Versen einleitet:

„Und es beginnt ein Reiten so bei Roßbach erst begann
Von dem wir nichts mehr kennen, als daß man’s nicht mehr kann –“

so erinnert sich der Verfasser dieses Aufsatzes, dagegen schon bei dem ersten Erscheinen des Scherenberg’schen Schlachtgedichtes „Leuthen“ (1852) Widerspruch erhoben und – obgleich damals selbst junger Officier bei der Infanterie – die Lanze für seine Cameraden zu Rosse eingelegt zu haben, indem er kühnlich behauptete, daß diese heute noch könnten, was ihre Vorfahren bei Roßbach und Leuthen geleistet.

Unsere Reiterführer, der alte Wrangel, Prinz Friedrich Karl, der „rothe Prinz“ – wie er nach der Uniform seines Zieten-Husarenregiments, die er mit Vorliebe trägt, genannt wurde sorgten auch bei den Friedensübungen dafür, daß der alte, frische Reitergeist und mit ihm die Poesie im Reiterleben nicht einschliefe. Vor Allem pflegte der Prinz von Preußen, unser jetziger Kaiser, den alten ritterlichen Geist bei der Cavallerie und hielt bei den Feldmanövern stets auf ein schneidiges Reiten. Verfasser erinnert sich, wie der Prinz an einem Manövertage einmal in der Kritik nachdrücklich hervorhob: „Man legt vieler Werth darauf, wohlgenährte und runde Pferde in der Schwadron zu haben und bei der Parade vorzuführen, aber, meine Herren, was helfen die runden Pferde, wenn sie bei der Attacke lahm gehen?“

Mit der „Kritik“, welche der älteste Officier oder bei seiner Anwesenheit auch der Kaiser selbst zu geben pflegt, sind die Feldmanöver des Tages geschlossen, nicht aber haben damit die Anstrengungen der Truppen, welche oft noch einen weiten und beschwerlichen Marsch bis in ihre Quartiere zurückzulegen haben, ihr Ende erreicht. Da die Cavallerie gewöhnlich die entfernteren Cantonnements angewiesen erhält und zur Schonung der Pferde auch nur im Schritte nach dem Quartiere reitet, während die Infanterie rüstigen Schrittes unter Sang und Klang die nächsten Wege einschlägt, so kommt es oft vor, daß die letztere der ersteren den Vortritt abgewinnt. Zuweilen passiren da auch kleine Mißverständnisse, wie ein solches das Motiv zu einem unserer Manöverbilder gegeben hat (vergl. S. 597):

Das Infanteriedetachement ist soeben angekommen, die Quartierbillets sind ausgetheilt und die Mannschaften schicken sich an, die ihnen zugewiesenen Quartiere zu beziehen; da erscheint plötzlich noch ein Trupp Ulanen am Orte. Der Unterofficier springt vom Pferde und meldet sich stramm und pflichtschuldigst bei dem Lieutenant des Infanteriedetachements mit so und so vielen Ulanen und Pferden als Einquartierung.

„Lieber Freund, das muß ein Irrthum sein. Hier liegen ja schon meine Mannschaften; hier werden Sie schwerlich noch Unterkommen für Ihre Leute und Stallung für Ihre Pferde finden Zeigen Sie doch einmal Ihre Ordre!“

„Zu Befehl, Herr Lieutenant!“

  1. Gegenwärtig führt die gesammte deutsche Cavallerie mit Ausnahme der Kürassiere den Carabiner als Schußwaffe; die Kürassiere und von der übrigen Cavallerie sämmtliche Unterofficiere trugen Revolverpistolen. Otto Fikentscher, unser kürzlich verstorbener Freund, dessen letzte Zeichnungen wir heute unsern Lesern bieten, hat wohl von dieser veränderten Bewaffnung noch nichts gewußt als er dem feuernden Ulanen auf unserem Bilde statt des Carabiners die Pistole in die Hand zeichnete.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_598.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)