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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 37.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Mutter und Sohn.

Novelle von A. Godin.
(Fortsetzung.)


18.

Im Hause des Oberst Friesack, welcher das in S. garnisonirende Artillerie-Regiment commandirte, ward heute ein Familienfest gefeiert, als dessen Hauptpersonen zwei schlanke junge Männer galten. Nachdem der Champagner entkorkt, schenkte der Oberst ein und hob dann sein Glas, um mit dem älteren Gaste anzustoßen, der zwischen ihm und der stillvergnügten Hausfrau saß.

„Auf das Wohl unserer Absolventen, Herr Capellmeister!“ sagte er und winkte den jungen Leuten zu.

Fügen warf einen stolzen Blick auf seinen Mündel. Etwas wie Vaterfreude schwellte ihm das Herz. Ein erstes, festes Ziel war mit Auszeichnung gewonnen worden, und wie sich auch die Zukunft gestalten mochte, das Bild des Jünglings paßte in den stolzesten Rahmen. Er dachte an Genoveva und freute sich des nahe bevorstehenden Wiedersehens mit doppelt frohem Bewußtsein. Während angeregtes Geplauder wie Funken hin und wieder flog, schweiften seine Augen immer wieder zu den neben einander sitzenden Freunden. Nun lag das weite, weite Leben offen vor dieser Jugend – dieser Jugend, die Flügel hatte. An Wind, sie zu tragen, würde es nicht fehlen, hoffte er – und gab es auch einmal Gegenwind, je nun, die Beiden waren stark und jung; sie erreichten dennoch ihre Ziele. Während Fügen’s Optimismus solche Gedanken spann, war der Kaffee gebracht worden, und die Hausfrau zog sich zurück, nachdem sie die Tassen gefüllt und die Herren ihre Cigarren angeraucht hatten.

„Wir bitten um Urlaub, Papa,“ sagte Max Friesack. „Siegmund möchte in’s Freie –“

„Sie werden es mir nicht übel nehmen, Herr Oberst, wenn ich jetzt schon aufbreche,“ warf Siegmund dazwischen. „Sie wissen ja, ich soll heute Abend spielen. Da möchte ich zuvor noch ein Stündchen wandern.“

„Ist ja wahr,“ stimmte der Oberst zu. „Eigentlich ein starkes Stück, sich Morgens als Zögling der Schulweisheit und Abends als Adept der divina musica zu bewähren. Mußte denn die Aufführung Ihres neuen Opus gerade auf diesen Abend angesetzt werden, Herr Capellmeister?“

„Morgen beginnen unsere Ferien,“ antwortete Fügen, „es ist Vorschrift, das Prüfungsconcert am Vorabend zu geben. Soll mein Trio also heraus, so muß es heute geschehen, und das Zusammentreffen des Tages mit dem des Absolutoriums ist ein Zufall, nicht gerade erwünscht, aber auch nicht unüberwindlich. Ich habe nicht zugeredet –“ schloß er mit lächelndem Blick auf Siegmund; „er ist ja durch keinerlei Verpflichtung gebunden, wollte aber von Aufschub nichts hören. Nun muß er zeigen, wie er sich aus der Sache zieht.“

Ein flüchtiges Lächeln Siegmund’s antwortete.

„So lob ich’s mir.“ meinte der Oberst, als sich die Freunde verabschiedet hatten. „Wer wagt, gewinnt. Und daß Sie uns unter diesen Umständen heute keinen Korb gaben, lob’ ich auch! Es hätte uns das einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht; Sie und Ihr Mündel durften uns doch bei der Feier dieser glücklich zurückgelegten Etappe unseres Max nicht fehlen. Er würde sie – davon bin ich überzeugt – keinesfalls so glorios erreicht haben, hätte er sich nicht während der letzten Jahre mit Ihrem Siegmund zusammengespannt. Jammerschade, daß die jungen Leute sich schon so bald trennen müssen. Aber vorerst bleibt Max wohl noch hier und tritt in das Regiment; bis er zur Kriegsschule abgeht, dauert es noch ein rundes Jahr; wie ich höre, soll Ihr Mündel aber jetzt nach Wien oder Paris zur weiteren Ausbildung?“

Ein leichter Schatten ging über Fügen’s Gesicht.

„Darüber soll erst beschlossen werden, wenn wir mit Frau von Riedegg nächstens Concil halten.“

„Apropos,“ fiel der Oberst ein; „Frau von Riedegg! Da möcht’ ich Sie etwas fragen. Siegmund zeigte mir heute sein Absolutorium, und ich wunderte mich, ihn dort als Siegmund Riedegg vermerkt zu finden. Ich dachte immer, er sei von Adel? Es giebt bei uns eine alte Familie des Namens – freilich auf halbem Aussterbe-Etat, so viel ich mich entsinne, und weil es immer hieß: Frau von Riedegg, wenn dann und wann von der Mutter die Rede war –“

„Nur in Folge der landesüblichen Gewohnheit,“ sagte Fügen. „Aber entschuldigen Sie meinen Aufbruch, Herr Oberst!“ fügte er, indem er sich erhob, schnell hinzu. „Ich vergaß in Ihrer angenehmen Gesellschaft die Zeit; es giebt noch mancherlei für den Abend zu ordnen.“ – –

Die jungen Männer waren inzwischen durch die Anlagen bergaufwärts gewandert. Es war herbstlich kühl; die Sonne neigte sich zum Untergang. Sie ließen sich auf einer in halber Höhe angebrachten Bank nieder und blickten hinab auf die vom Abendschein beglänzte Stadt. Die goldenen Spitze der Thürme flammten, und der wilde, lichtgrüne Gebirgsstrom blitzte zwischen den Häuserreihen auf. Stolz und leuchtend lag die alte Fürstenstadt inmitten herrlicher Berge und Wälder, die der Herbst vergoldete.

„Ich bin doch froh, noch hier zu bleiben,“ sagte Max Friesack, „bliebst Du nur auch! Weißt Du, ich freue mich auch so auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_601.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2021)