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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Mühlhauser Georg Zetter (sein Dichtername ist Friedrich Otte) ihre vorzüglichsten Repräsentanten findet. Diese Dichtergruppe bildet gewissermaßen einen Anhang zur schwäbischen Dichterschule: wie die Schwaben sind auch die Elsässer schlicht und knapp im poetischen Ausdrucke; auch sie sind vorzugsweise bemüht, den Sagenschatz der Heimath zu heben und poetisch zu verwerten sowie geschichtliche Vorgänge ihres Landes dichterisch zu gestalten. Nächst einem verwandtschaftlichen Zuge, der den allemannischen Elsässer zum benachbarten Schwaben führte, ist es auch die halb im Dialekte stecken gebliebene schlichte Ausdrucksweise, die den elsässischen Poeten nahezu ohne Ausnahme eigen ist und welche diese veranlaßt haben mag, die schwäbische Dichterschule zu Muster und Vorbild zu nehmen. Es ist bemerkenswerth, daß Keiner der Elsässer in den poetischen Spuren eines Heine oder Freiligrath, die doch Zeitgenossen von Uhland waren, gewandelt ist – das rührt wohl nur daher, daß diesen Poeten sprachbildnerische Voraussetzungen in gewissem Maße von Haus aus abgegangen sind.

Von dieser elsässischen Dichtergruppe wird in nicht allzu ferner Zeit kein Name mehr unter den Lebenden verzeichnet sein; wir werden dieselben nur noch in den Büchern finden – wie lange aber wird es dauern, bis unser nun heimgeholtes Elsaß Poeten zeitigt, die mit freudiger und voll Herzen gehender Theilnahme all der deutschen Literatur wieder mit arbeiten, wie ein Mühl und seine Genossen? Aus dem heutigen Geschlechte werden sie schwerlich erstehen. Um so treuer möge die deutsche Nation den Männern elsässischer Dichterzunge ein ehrendes Andenken bewahren, den Männern, die in ruhmloser Zeit ihr Scherflein freudig in die deutsche Wage legten!

Als die französische Kriegserklärung vor elf Jahren über den Rhein herüber kam, da sprach es Gustav Mühl im Kreis intimer Freunde freudig aus, daß nun der Tag der Abrechnung kommen müsse. Er kam. Als die Kanonen ihre vernichtenden Geschosse in die alte Münsterstadt warfen, war seine Seele mit tiefer Trauer erfüllt; denn er liebte sein Straßburg und sein Elsaß mit treuem Herzen und empfand jede Wunde auf's Schmerzlichste, die dem Land und den Mitbürgern geschlagen werden mußte. Sein Schmerz war aber ein verklärter: er wußte, daß eines Tages die weiße Fahne auf dem Münsterthurm das Ende der Leidenszeit verkünden und sein Straßburg zu einer deutschen Hauptstadt am Oberrhein machen müsse. Als die Deutschen in Straßburg eindrangen und von der Stadt Besitz nahmen, stellte unser Dichter den neuen Behörden, die zu amtiren begannen, seinen Rath und seine Unterstützung rückhaltslos und freudig zur Verfügung. Er war ja kein Besiegter.

Nicht immer haben die Herren, die zuerst in dem zurückeroberten Land das Regiment führten, des redlich deutsch denkenden Mannes Rath gebührend gewürdigt; manchmal wurde er übergangen, wo man ihn hätte rufen sollen; denn die neuen Herren erachteten es als ihre Aufgabe – und oft zu ihrem Nachtheil – auch das schmollende, ja das offenbar französisch gesinnte Element hätschelnd herbeizuziehen. Wenn bei solchen kleinpolitischen Schachzügen Gustav Mühl mancherlei Schmerzliches erfahren mußte, so erlebte er wieder Freudiges, das ihm Trost war für alle Unbill. Dahin gehört die Gründung der Universität Straßburg.

Wer ihn an jenem denkwürdigen 1. Mai 1872, dem Tage der Einweihung gesehen, als im Saale der „Réunion des arts“ zu Straßburg sein Lied:

„Es kam heran der schöne Monat Mai;
Jetzt füllt das Glas! Des Elsaß Weine glühen –“

von Tausenden deutscher Studenten gesungen wurde, wie sein neues blaues Auge in innerer Seligkeit ausleuchtete, als Hunderte zu Gruß und Handschlag sich an ihn herandrängten, der sagte sich wohl: „Für diesen Mann hat der Tag eine tiefere Bedeutung“ – Gustav Mühl war der einzige öffentliche Vertreter des Elsasses bei jenem herrlichen Feste.

Bisher hatte der Dichter als freier und unabhängiger Privatmann gelebt. Das französische Kaiserreich konnte dem deutschen Patrioten kein Amt bieten – er hätte es zurückgewiesen Die deutsche Regierung bot ihm die Stelle eines Bibliothekars an der neugegründeten Universitätsbibliothek an, die der Dichter aus innerer Neigung für diesen Beruf übernahm. Er pflegte mit der ihm eigenen Treue und Gewissenhaftigkeit die elsässische Abtheilung, liebevoll die Schätze an Schriftwerken, Bildern und Blättern ordnend, die da zusammenströmten.

Es waren wieder glückliche Jahre, die Mühl verlebte. Er verfaßte um diese Zeit mit liebevoller Pietät die Biographie des elsässischen Bildhauers Andreas Friedrich, die als Broschüre erschien. Das Lebensbild dieses Meisters von altem Schrot und Korn zu entwerfen, das war so recht eine Aufgabe für unsern Mühl; denn der wackere Meister Friedrich, der aus Rappoltsweiler im Oberelsaß gebürtig war, ist in seiner Kunst ein Zeuge für die Zusammengehörigkeit der Lande links und rechts am Oberrhein – das beweisen die verschiedenen Denkmale, die in badischen Städten und Flecken, wie Offenburg, Achern, Baden, Steinbach und Oberachern stehen, und die größtenteils vom Künstler den betreffenden Orten ohne Entgelt überlasten wurden.

Doch es war, als erregte das Glück unseres Dichters den Neid dämonischer Mächte, die ihre Opfer am liebsten suchen, wo zufriedene Menschen wohnen. Vier liebliche Töchter waren dem Mühl'schen Hause herangeblüht. Die Aelteste folgte einem preußischen Ingenieurhauptmann zum Altar; die Zweite verlobte sich mit einem jungen deutschen Juristen. Auch für dieses Paar wurden schon die Kränze geflochten, die den hochzeitlichen Altar schmücken sollten – da riß der unerbittliche Tod im December 1879 die blühende Braut aus den Armen des Bräutigams. Der unerwartete Schlag traf den zärtlichen Vater in’s tiefste Lebensmark. Wie oft wandelte er in düstersinnenden Gedanken hinaus auf den Helenen-Kirchhof bei Schiltigheim, wo man ihm ein teures Kleinod unter die Erde gebettet. Am 26. August 1880 war er wieder am Grabe – sein letzter Gang. Der Schmerz hatte seines Lebens Kraft gebrochen; der Dichter starb in derselben Nacht.

Am Sonntag den 29. August 1880 trug man ihn hinaus und bettete ihn neben der geliebten Tochter zur ewigen Ruhe. Nahe dem wuchtigen Denkmal, das Straßburg seinem letzten Maire Küß errichtet, ruht der deutsche Patriot und Dichter. Der Traum seiner Seele hat sich erfüllt: er hat das Grab gefunden in elsässischer Erde, die wieder deutsches Land ist. An der offenen Gruft sprach der Vorstand der Universitär- und Landesbibliothek, Professor Euting; er pries die trefflichen Eigenschaften des Verewigten sowohl als Bürger wie als Beamter der Bibliothek und legte einen Kranz auf den Sarg nieder. Dann sprach der Verfasser dieses Aufsatzes einen poetischen Nachruf, dessen Schlußstrophen hier Platz finden mögen:

„Eins konntest du, o Tod, ihm nicht versagen,
Die Heimatherde, die ihn nun verhüllt.
Ihr galt sein Jubel einst; ihr galt sein Klagen;
Von ihr war seine Dichterbrust erfüllt.

5
Ja, Elsaß, treuer Söhne nennst du viele,

Und Manchem glänzt ein Mal in Erz und Stein –
Auch diesen Sänger, seine Saitenspiele
Schreib’ in die Chronik deiner Ehren ein!

Er hat für dich, du schönes Land, gestritten

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Und sein Gewaffen war ein liebend Herz.

Er hat für dich, du schönes Land, gelitten,
Und doppelt trug um dich er heißen Schmerz.
Noch wenig Kränze hast du ihm gegeben
Doch bist du reich, o Land, all Blüth’ und Duft,

15
Und gabst du kärglich ihm den Preis im Leben,

Gieb um so reichern Schmuck nun seiner Gruft!“

Der Sprecher legte einen Kranz im eigenen wie im Namen seiner Freunde Ludwig Eichrodt und Ludwig Auerbach auf die düsteren Erdschollen.

Nicht nur das Elsaß, ganz Deutschland möge den Namen des Mannes in das Buch der Ehre schreiben, der sich als Lebensberuf das schwere Amt eines Hüters der deutschen Sache im damals französischen Elsaß erkoren hat! Er hat das Amt in Ehren verwaltet; er war als Mensch edel und liebevoll, als Freund treu, aufrichtig und ergeben.[1]

Friedrich Geßler.
  1. In Straßburg hat sich bereits vor Monaten eine Vereinigung gebildet, welche für die Errichtung eines Mühl-Denkmals Sorge tragen will. Auch sind, wie man hört, in Berlin, Frankfurt am Main, Lahr und anderen Orten solche Vereinigungen in der Bildung begriffen. Der Schatzmeister des Straßburger Comités, Herr Hoff, (Blauwolkengasse 15, Straßburg) nimmt Beiträge zum Mühl-Denkmal gern entgegen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_611.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2022)