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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

der Donau oder des Rheines zuzueilen. Diesen inneren Zusammenhang zwischen den Trichtern auf der Höhe und den Quellen im Thalgrunde hat man schon frühzeitig erkannt, und die abenteuerliche Volkssage ließ wohl Enten und Gänse jene unserm Auge für immer entrückten geheimnißvollen Wege durchschwimmen oder Spreu, welche Bauern in die Trichter auf der Alb geworfen hatten, in dem Blautopf zu Tage treten.

3. Ein Theil des Längen-Profils und der Terrain-Configuration der Eybgruppe.

Da nun unter diesen ungünstigen Bedingungen auf der Alb stets ein fühlbarer Wassermangel herrscht, so sah sich die Bevölkerung seit uralter Zeit genötigt, das Regenwasser vom Dache des Hauses und der Scheune in gemauerte Brunnen zu leiten und dasselbe aus diesen Cisternen für den täglichen Gebrauch mittelst Eimer zu schöpfen. Außerdem wurde an dem niedrigsten Orte des Dorfes eine Vertiefung gegraben und mit Letten nothdürftig ausgekleidet, in welcher sich das von den Anhöhen herabfließende Wasser ansammelte. Zu dieser „Hühle“ oder „Hülbe“ trieb man das Vieh im Sommer und Winter zur Tränke.

Doch wie war wohl diese mit Mühe gesammelte Flüssigkeit beschaffen!? „Wehe dem Fremden,“ lesen wir in der besagten Denkschrift des württembergischen Ministeriums, „den in einem der quellwasserarmen Dörfer das Bedürfniß nach Wasser anwandelt! Strohgelb bis kaffeebraun ist dessen Farbe; nur wer von Kindheit an sich an den Anblick des gefärbten Wassers gewöhnt hat, kann das Glas ohne Abscheu an die Lippen setzen oder wagt es, sich zu waschen. Ganz unsäglich vollends ist die Flüssigkeit, die in den Hühlen sich sammelt; eine grünbraune Jauche, verdient sie nicht mehr den Namen des Wassers.“

Oft jedoch ereignete es sich, daß sogar diese künstlich hergestellten Wasserbehälter in der trockenen Jahreszeit leer dastanden, und der Aelbler sah sich nun gezwungen, in das Thal niederzusteigen und von dort für seinen Haushalt und sein Vieh Wasser heraufzuholen. Es giebt Jahrgänge, in welchen diese Calamität Monate hindurch gedauert hat, während sie sich gewöhnlich doch wenigstens Wochen lang fühlbar macht. So kamen z. B. vom September 1865 bis zum Januar 1866 im Dorf Hütten täglich 190 Fuhren von der Alb herab, um dort an der Schmiech Wasser zu schöpfen, und im Sommer 1870 fuhren aus den Orten Justingen und Ingstetten Tag für Tag 15 bis 20 Fuhrwerke zum Wasser zu Thal. Von Leuten, die keine Pferde hatten, wurde ein Hectoliter Wasser mit 50 Pfennig bezahlt, und da in Justingen allein 1000 Stück Pferde und Rinder gehalten werden, von denen jedes täglich circa 40 Liter Wasser braucht, so belief sich der tägliche Aufwand zur alleinigen Tränkung des Viehs auf 170 Mark. Daß an Waschen, Putzen und Scheuern in solchen Zeiten gar nicht zu denken war und daß ein derartiger Wassermangel für den Gesundheitszustand der Bevölkerung und das Gedeihen der Viehheerden äußerst nachtheilig wirkte, brauchen wir kaum besonders hervorzuheben. Außerdem ist das Wasserfahren auf den abschüssigen Stegen hauptsächlich im Winter äußerst gefährlich, sodaß dabei oft Menschen und Thiere verunglücken.

Vergebens suchte man seit Jahrzehnten, um diesem Uebelstande abzuhelfen, auf der Alb Brunnen zu graben und Quellen aufzuschließen. Schon in der Tiefe von einem Meter stößt man hier meistens auf den Fels, welcher, einem durch tausend Sprünge und Klüfte gebildeten Siebe vergleichbar, kein Wasser birgt. Auch die Drainage der Felder und die Benutzung des Drainagewassers verboten sich von selbst, einerseits aus Rücksicht auf die Gesundheit, andererseits auf die Landwirthschaft; denn im Gegensatz zu dem Thalbewohner kann sich der Bauer auf der Alb seinen Boden nicht feucht genug wünschen, und er würde sich nie dazu verstehen, ihm die befruchtende Feuchtigkeit zu entziehen.

So blieb nur ein einziger Weg übrig, um dem Wassermangel abzuhelfen: man mußte versuchen, die in die Tiefe gesunkenen Wasser künstlich in die Höhe zu heben, die Quellen, welche am Fuße der Alb hervorsprudeln, in sinnreich angelegten Röhrennetzen wieder auf den Berg hinaufzuleiten. Aber die Lösung einer so großartigen Aufgabe konnte weder von Privaten noch von den wenig bevölkerten Gemeinden der Alb bewerkstelligt werden; es mußte vielmehr die württembergische Staatsregierung die Leitung derselben übernehmen, und es ist ihr auch, Dank dem lebhaften Interesse, welches sowohl König Karl wie der frühere Minister des Innern von Geßler und seit neun Jahren der jetzige Minister von Sick dem Werke entgegentrugen, gelungen, die wichtige Culturarbeit glücklich zu vollenden.

Schon gegen das Ende des Jahres 1866 wurde von dem ersten Staatstechniker für das öffentliche Wasserversorgungswesen Württembergs, Oberbaurath Dr. von Ehmann, die erste Idee zu einer rationellen Bewässerung der Alb kartographisch entworfen. Aber Jahre vergingen noch, bevor der erste Spatenstich gethan wurde; denn in Anbetracht der bedeutenden Höhen, auf welche die Thalwasser gefördert werden sollten, hielt man diesen Plan, der in der Geschichte der Wasserwerke einzig dasteht, für ein gewagtes Project.

Dazu kam, daß der conservative Sinn des Aelblers sich jeder Neuerung widersetzte und die Bauern vieler Ortschaften rundweg erklärten, es nicht besser haben zu wollen, als ehedem Väter und Großväter es gehabt. Den Hauptgrund des Widerstrebens der Bevölkerung bildete aber die Höhe der Kosten, welche die betreffenden Gemeinden tragen sollten und die als „rein unerschwinglich“ bezeichnet wurden. Da jedoch die Staatsregierung wohl voraussah, daß die rationelle Bewässerung dieses Landstrichs ein ökonomisches Aufblühen desselben herbeiführen würde, so beschloß sie, den Albgemeinden materielle Hülfe zu leisten, und erlangte auch von den Ständen die hierzu nöthige Zustimmung. Es wurden zu den Bau-Ausführungskosten des Alb-Wasserversorgungswerkes regelmäßige Staatsbeiträge bewilligt, und zwar im Betrage von je 25 Procent für die beiden Gruppen, die zuerst ausgeführt würden, und von 20 Procent der Gesammtkosten für jede folgende Gruppe. Auch hat die Regierung in anerkennenswerter Weise die Ausführung der technischen Vorarbeiten und die vollständige Bauleitung übernommen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 613. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_613.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2022)