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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

in der Hälfte des zurückzulegenden Weges sah Lois die Maxi, welche vor ihm herging, plötzlich schwanken und fing die Sinkende auf. Ihre Augen hatten sich geschlossen; ihr Gesicht war so farblos, daß er erschrak. Voll Sorge sah er sich nach einem Rastorte um und trug die beinahe reglose Bürde nach einer Bank, welche etwa zwanzig Schritte von hier unter einem Nußbaume stand. Dort ließ er sie sanft nieder. Sie öffnete einen Moment die Augen, um sie gleich wieder zu schließen. Doch zeigte die Art, wie ihr Kopf sich gegen den Stamm lehnte, daß sie nicht ohne Bewußtsein war.

Lois’ Blick hing wie gebannt an ihrem Gesichte. Wie schön sie war, wie verführerisch schön! In dieser Regungslosigkeit trat das reizende Ebenmaß der kleinen Gestalt noch fesselnder hervor als in der wilden Grazie ihrer Beweglichkeit.

Nun regte sie sich plötzlich und schlug die großen Augen weit auf; Lois fuhr zusammen. Sie sah aber nicht nach ihm – sie blickte nach oben.

„Schau!“ sagte sie und berührte leicht seinen Arm. Er folgte ihrem Blicke. Ein doppelter Regenbogen stand farbig auf dunklem Wolkenhintergrunde, hoch über allem Graus des schauerlich verwüstete Thales. Maxi wandte ihre Augen langsam auf Lois. „So kamst Du,“ sagte sie leise, „und tratest vor den Tod.“

Ein Gedanke, der während des ganzen Weges in Lois gerungen hatte, zu Worte zu kommen, kam jetzt plötzlich zum Ausdruck.

„Wie ging es zu, daß Du dort warst?“ fragte Lois mit kaum unterdrückter Heftigkeit. „Warum bliebst Du nicht im Hause?“

Sie wurde dunkelroth und antwortete nicht.

„Ich will das wissen,“ sagte er in starkem Tone und preßte die Hand auf ihren Arm. „Es war ja Tollheit!“

Maxi sah ihn an.

„Willst es wissen?“ fragte sie zurück. „Nun,“ fuhr sie nach kurzem Bedenken in jenem trotzigen Tone fort, der so leicht bei ihr zu wecken war, „nun, ich blieb dort, weit es mir recht war, zu sterben, und weil dann Keiner erfahren hätte, daß es mir recht gewesen wäre.“

„Sterben –“ wiederholte er dumpf.

„Willst auch wissen warum?“ fragte sie wieder. „Weil Du fortgehst, Lois – darum, und auch, weil ich glaubte, Du könntest mich nicht leiden –“

Er drückte plötzlich seine Hand auf ihre Lippen; diese Lippen brannten aber gegen die Hand, die sie schweigen machen wollte, und im nächsten Momente umschlangen des Mädchens beide Arme seinen Nacken.

„Es ist ja Alles nicht wahr,“ stammelte sie in sein Ohr. „Du hast mich ja gern – seit vorhin weiß ich’s; als wir zu sterben meinten, hab’ ich Dich geküßt, und Du hast mich wieder geküßt. Lois, Lois, Du hast mich ja gern.“

Lois, der seit Jahren zurückgedrängten Leidenschaft nicht mehr mächtig, preßte das Mädchen stürmisch an sich; sein Mund glühte nun wirklich auf dem ihren, und abgebrochene Laute heißer Zärtlichkeit trafen ihr dürstendes Ohr. Sie schmiegte sich dicht, ganz dicht an seine Brust, zitternd vom Kopf bis zu den Füßen. Wie lange sie dort beisammen saßen, Haupt an Haupt und Herz an Herz, sie wußten es nicht – die Welt war vergessen und der Himmel auch.

Es war Maxi’s Verhängniß, den Zauber selbst zu brechen. Sie warf plötzlich den Kopf zurück; ihr leises Lachen weckte in Lois, was ihm von Besinnung noch übrig geblieben, und als sie frohlockend, wenn auch ebenso leise, rief: „Du gehörst mir!“ da sprang er, wie von elektrischem Schlage berührt, auf seine Füße.

„Nie!“

„Du gehörst mir,“ wiederholte sie zuversichtlich. „Meinst Du, jetzt ließe ich Dich noch? Meinst Du, jetzt könntest Du noch ein Pfarrer werden? Du hast mich geküßt“

„Gott steh’ mir bei!“ murmelte der junge Mann mit abgewendetem Gesicht.

„Der Xaver Lederer vom Bühelhofe war auch lange im Seminar,“ fuhr Maxi unbeirrt fort, „und ist nachher doch Lehrer geworden, als er sich den Fuß gebrochen hatte und davon lahm wurde. Der hat auch schon die ersten Weihen gehabt, wie Du, und hat trotzdem Lehrer werden und nachher heirathen dürfen. Das kann man also thun.“

„Das kann man thun,“ sagte Lois tonlos.

In seinem Gesicht lag ein Ausdruck, der Maxi’s drängende Rede mit einem Male durchschnitt. Sie blickte ängstlich auf ihn, während er mit tiefgesenktem Kopfe weitersprach, als würden seine Gedanken zu Worten, ohne daß er es nur wüßte.

„Drei Jahre lang hab’ ich gestritten – umsonst, umsonst!“ Er faßte Maxi’s beide Hände und heftete seinen düsteren Blick auf sie. „Ja, gestritten! Ich weiß ja längst, wie es mit uns steht, bin darum in den letzten zwei Jahren nicht heimgekommen trotz allem Bitten der Mutter. Da muß sie todkrank werden und nach mir verlangen, da muß mich der Bischof selbst herschicken, wider die Regel, da muß gar der Alpbach stürzen, damit wir ganz elend werden alle Zwei.“

„Elend?“ wiederholte Maxi, „o nein, glückselig.“

„Priester werden ist das Höchste. Aber Du magst Recht haben, daß ich kein Pfarrer mehr sein kann, seit ich Dich küßte.“

Er versank in stummes Britten.

Maxi glitt auf ihre Kniee, erfaßte seine niederhängende Hand und preßte sie zwischen ihre beiden kleinen Hände, während sie mit athemloser Inbrunst sprach:

„Bedenke, Lois, ich hab’ vom Leben nichts mehr wissen wollen, weil ich’s nicht aushalten kann ohne Dich! Was wird aus mir, wenn Du mich jetzt verstoßen willst? Lieber Lois – da muß ich ja doch sterben. Ich weiß, Du kannst mein Wildsein nicht leiden, aber sage nur, wie Du mich haben möchtest! Ich will folgsam sein in Allem. Nur verstoße mich jetzt nicht mehr!“

Ihre Augen flehten unwiderstehlicher als ihr Mund. Ein schwacher Seufzer rang sich aus Lois’ Brust.

„Sei stille!“ sagte er in sanftem, traurigem Ton. „Ich will thun, was Du begehrst, aber auch Du mußt Dein Wort halten und folgsam sein. Vor Allem fordere ich, daß Du schweigst – gegen jede menschliche Seele, ohne Ausnahme. Ein heiliger Beruf läßt sich nicht so leicht abstreifen, wie die Soutane.“

Er brach ab – das Wort erinnerte ihn daran, daß er schon jetzt keine Soutane trug; es berührte ihn seltsam, daß er das geistliche Gewand heute zweimal abgelegt hatte. Mit der Blitzesschnelle, mit welcher Gedanken eilen, ging die ganze Kette dieser Nachmittagsstunden an seinem Geiste vorüber – Jana’s Worte über Maxi, Alles. An wen hatte er seine Seele verkauft? Ein dunkler Blick traf das Mädchen, das ihm in strahlender Befriedigung gegenüber stand.

„Wie konntest Du meine kranke Mutter in ihrer Angst und Noth verlassen?“ fragte er schroff.

„Du weißt warum. Und die Gundel ist ja bei ihr.“

„Die Magd – das nennst Du Liebe?“

Sie antwortete nicht; aus den großen vorwurfsvollen Augen fielen helle Tropfen.

„Komm’!“ sagte Lois auf einmal erweicht, „wir dürfen nicht länger säumen. Du versprichst mir also, Dich zusammenzunehmen. Nicht meine Mutter, nicht Jana dürfen erfahre, was ich Dir heut versprochen habe – erst muß ich mit meinen Oberen im Reinen sein. Wirst Du im Stande sein, Dich zu beherrschen?“

Maxi warf die vollen Lippen auf:

„Traust Du mir gar nichts zu?“

Ein halbes Lächeln zuckte, gleich erlöschend, um seinen ernsten Mund.

„An Deinem Schweigen, Maxi, hängt mein Reden – das bedenke!“ sagte er dann in schwerem Tone.

Und schweigend wanderten die so unerwartet, so seltsam Verbundenen dem schon sichtbaren Vaterhause des zum Abfall entschlossenen Priesters zu.




21.

Der Abend war schon weit vorgerückt, als der Extrapostwagen mit den erwarteten Reisenden am Thore der Moosburg hielt. Siegmund und Fügen hatten, Frau von Riedegg’s Weisung gemäß, deren Eintreffen in der Festungsstadt erwartet, von welcher Lahnegg nicht weit entlegen war, und der heftige Ausbruch des Gewitters veranlaßt die kleine Gesellschaft, nachdem sie vollzählig geworden, dasselbe erst vorübergehen zu lassen, ehe sie ihre Fahrt fortsetzte. Was Genoveva und Siegmund entging, weil sie ganz und gar nur mit einander beschäftigt waren, fiel Fügen gleich im ersten Moment auf: daß Jana’s Empfang heute nicht weniger herzlich, aber offenbar weniger freudig war als sonst.

Bald erfuhr er, was heute Nachmittag vorgegangen. Jana’s große Angst um Maxi und die Mutter war nun zwar beschwichtigt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 620. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_620.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)