Seite:Die Gartenlaube (1881) 637.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 39.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Mutter und Sohn.

Von A. Godin.
(Fortsetzung.)


Für Mutter und Sohn folgten nun köstliche Tage. Bloßes Beisammensein ist für die Liebe, welchen Charakter sie auch trage, schon die höchste Glückseligkeit, was Siegmund aber besonders das Herz leicht und froh machte, war die Wahrnehmung , daß seine Mutter nunmehr begann, den Schleier, der bisher auf allen ihren Lebensbedingungen gelegen, für ihn allmählich zu lüften. So empfing er denn aus ihrem Munde nicht nur eine Aufklärung über die Stellung, welche Genoveva in den letzten Jahren im Clairmont’schen Hause eingenommen, sondern auch Mittheilungen über eine Wendung, die für sein und seiner Mutter Leben von der größten Wichtigkeit war: Frau von Clairmont war gestorben; nach jahrelangem Kränkeln hatte sie endlich die Ruhe gefunden, die ihr zeitlebens nicht beschieden gewesen. Clairmont, ein Lebemann, stets daran gewöhnt, sich inmitten reicher äußerer Formen zu bewegen, hatte bei dem andauernde Leiden seiner Gattin einer Persönlichkeit bedurft, welche fähig war, an Stelle der Kranken das Haus zu repräsentiren und die ihn ermüdende Leidende zu beschwichtigen. In Genoveva war ihm geworden, was er gesucht, und sie selbst hatte es sich durch Uebernahme dieser Stellung zur Aufgabe gemacht, einerseits ihrem Sohne die nöthigen pecuniären Mittel zu schaffen, andererseits aber Frau von Clairmont eine freundschaftliche Stütze zu sein. Nun hatten sich die müden Augen der kranken Frau geschlossen. Herr von Clairmont hatte seiner Verwandten eine nahezu fürstliche Jahressumme als persönliches Einkommen gewährt und sich erboten, ihren Sohn zum künftigen Erben seiner ganzen Habe zu bestimmen, wenn Genoveva einwillige, sein Haus ferner zu führen. So war Mutter und Sohn mit einem Schlage eine sorgenlose Zukunft eröffnet worden.

Siegmund sah seine Mutter nicht im Banne einer demüthigenden Lage, wie er gewähnt hatte sie zu finden. O nein – vornehm und ruhig, wie sie ihm all das mitgeteilt, mußte ihre Stellung sein.

So flohen die Tage den glücklich Vereinten froh dahin. Inzwischen war Antwort auf die Briefe eingelaufen welche Siegmund an den Oberst Friesack und Max gerichtet hatte, und zugleich auf ein Schreibe Fügen’s, in welchem er im Auftrage Genoveva’s das durch ein schon verjährtes Ungefähr veranlaßte Fehlen von Personalpapieren berührt hatte, wofür als Ersatz nur der in Genoveva’s Besitz befindliche Kaufvertrag der Moosburg, welcher auf den Namen Riedegg lautete, als Identitätsbeleg angeboten werden konnte. Des Obersten Antwort lautete durchaus befriedigend, und er stellte Siegmund den Eintritt als Avantageur in sein Regiment frei, sobald dieser es wünsche. Max schrieb in hellem Jubel. Fügen theilte die zufriedene Stimmung, welche der Brief des Obersten hervorgerufen nur zuweilen; denn kein Mensch, auch der Beste nicht, verwindet es leicht und schnell, sich da, wo er mit voller Hingabe geliebt, nicht nur äußerlich, sondern innerlich als fortan überflüssig zu empfinden. Es schmerzte ihn, daß Genoveva’s Einwilligung in Siegmund’s Berufswechsel ohne jeden Rückblick auf das kostbare Aufgegebene stattfand, und ein gewisses Gefühl des Gekränktseins gab ihm Siegmund gegenüber eine Zurückhaltung, einen fremderen Ton. In solcher Stimmung, welche Fügen mehr und mehr von den beiden Menschen entfernte, die er so herzlich liebte, suchte und fand er bei Jana Trost, obgleich er auch an dieser die gewohnte Heiterkeit, das ihm so wohlthuende innere Genügen vermißte.

Es mochten etwa acht Tage des auf sechs Wochen geplanten Zusammenlebens vergangen sein, als Fügen eines Abends, nachdem er Jana vergebens überall gesucht hatte, diese im Musikzimmer in Thränen fand. Sein theilnehmendes Fragen löste ihr das Herz, und sie schüttete ihm ihre heimliche, täglich wachsende Sorge um Maxi aus: Das Mädchen sei vom Tage des Alpbachsturzes an wie im Fieber und müsse sich irgend einen Schaden zugezogen haben. Krank sei sie sicher, sehr krank; nicht nur das Fieber deute darauf hin – ihr ganzes verändertes Wesen spreche dafür, und wer sie genauer beobachte, könne gar nicht verkennen, wie schlimm es um sie stehe. Dazu sei sie unstät und hastig geworden wie nie zuvor; ihr ganzes Wesen habe etwas Fieberisches, Unruhiges, und das mit anzusehen, presse ihr, der Jana, schier das Herz vor Weh aus dem Leibe. Ach, wenn sie nur helfen könnte, daß das Mädchen ihr gesunde und wieder die Alte werde, aber damit sei es nichts; sie sei der Maxi gegenüber ohnmächtig; sie habe aus das Mädchen jeden Einfluß verloren; denn trotz Bittens und Befehlens daheim zu bleiben, verschwinde sie Tag für Tag in unbewachtem Augenblicke und laufe trotz ihres Hustens und Fieberns in die Mühle hinab, um sich nach der Kranken umzusehen.

„Niemand vermag mehr ’was über die Maxi,“ schloß Jana ihre Herzensergießung, „nicht ich und mein Bruder ebenso wenig. Denn daß sie sich, wenn sie drunten ist, jedesmal mit Lois zankt, merke ich alle Tage. Und obgleich Der davon abgerathen, bin ich doch jetzt der Ueberzeugung, daß es am besten ist, ich gebe die

Maxi der gnädigen Frau mit. So wie sie sich jetzt anläßt, kann

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_637.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)