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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

nicht durch meine Bitten, das lehrt Dich Keiner mehr. Du forderst, und würdest ewig fordern, was ich nicht geben kann, willst neben Dir selbst nichts in meiner Seele dulden, weder Gott noch Menschen O Maxi, Du hast es gesagt: wir Beide taugen nicht zu einander. Das bleibt. Laß uns in Frieden scheiden, nachdem wir ohne Frieden beisammen gewesen! Gott wird mir beistehen; unwerth, wie ich bin, gab ich mich ihm von Neuem – gieb Du Dich unserer Jana! Sie hilft Dir wohl gesund werden und verschmerzen, was nie hätte anfangen dürfen. Ich will für Dich beten, so lang ich lebe – und so leb’ wohl!“

Er wollte gehen, aber Maxi deutete plötzlich mit stürmischer Geberde auf den Steg, welchen Beide noch nicht verlassen hatten, und dann auf das nahe schäumende Gefälle. Lois hatte sie verstanden. Seine blassen eingefallenen Wangen rötheten sich.

„Thust Du das,“ sagte er in einem Tone, der sie erzittern ließ, „dann hab’ ich keinen Gedanken mehr für Dich in Zeit und Ewigkeit.“

Er wandte sich und ging langsam dem Hause zu. Ein leichter Windhauch bewegte sein unbedecktes Haar und seine dunkle Soutane; dann bückte sich die hohe Gestalt, um unter der Thür zu verschwinden.

Maxi stand einen Moment regungslos; nun aber warf sie den schönen Kopf zurück und heftete einen heißen Blick von Trotz auf das Haus; sie machte eine jähe Handbewegung, als ließe sie etwas in das schäumende Wasser niederfallen und ging dann im Sturmschritt vorwärts, ohne umzuschauen.

Als sie auf der Moosburg eintraf, war ihr Haar feucht vom Abendthau; ihre Hände glühten. Gegen ihre Gewohnheit widerstrebte sie nicht Jana’s dringendem Zurede, sich sogleich zu Bette zu legen, fügte sich überhaupt von diesem Abend an gleichgültig jeder Forderung, die an sie gestellt wurde.

Diese Apathie, der sich andauernde Fieber gesellten, ängstigte Jana noch mehr, als des Mädchens rastlose Erregung zuvor, und die Abreise ihres Bruders, den sie nicht mehr gesprochen, fiel der armen Pflegerin gleichsam schwer auf’s Herz.




23.

Jede Kirchenfeier gestaltet sich in Tirol zum Volksfest. Der Primiztag eines Kindes der Gemeinde wird von dieser als eigener Ehrentag betrachtet und mit allem nur erdenklichen Pomp gefeiert. Heute – Wochen waren inzwischen in’s Land gegangen – beging man in Lahnegg aber ein besonderes Fest: Lois feierte seine Primiz; für ihn, den einzigen Sohn aus der Mühle, wo seit Generationen ein angesehenes Geschlecht hauste, galt dieser Brauch als besonders wesentlich, und das ganze Dorf befand sich schon am Vorabend des Festes in Bewegung. Noch war die Sonne des nächsten Morgens nicht über die Berge gestiegen, als Sonntagsglocken den Festtag einläutete. Lebhaftes Böllergeknall schloß sich ihnen an – kein Tiroler Fest ohne Schießen.

Eine Stunde später begann sich allerwärts frisches Leben zu regen. Hier und dort wurde fliegende Verkaufsstellen aufgeschlagen; weiß-blaues Steingeschirr, Melonen und Trauben, Muschelwaaren ans Venedig lockten in zierlicher Anordnung zum Einkauf. Thresl, die alte Kränzeverkäuferin, hatte das wackelige Tischchen, das ihre leichte Waare trug, unter den Nußbaum gestellt, der nahe der Kirche auf einem Hügel steht, und ihre künstlichen Kranzgewinde erschienen wie ein Zubehör des laubumkränzten Portals.

Immer lebendiger wogte es aus den Gassen; selbst die Walddörfer sandten ihre Vertreter zu Thale. Mann, Weib und Kind erschienen im Festschmuck, und selbst das älteste Weiblein hatte sich eine rothe Nelke hinter das Ohr gesteckt. Es gab ein frisches Bild, als die vereinigten Musikcapellen der nachbarlichen Ortschaften ihren wohleingeübten Marsch anstimmten, als sie dann, hinter sich die Schützengilde, auf den Sammelplatz zogen und die Gruppen des Gefolges sich ordneten.

Böllerschüsse krachten vom nahen Waldwege nieder; dann erhoben die schönen Glocken ihre mächtige Stimme und läuteten fort und fort, während der Festzug sich in Bewegung setzte, die Hauptstraße entlang, in weitem Bogen über Felder und Wiesen, bis er der in der Mitte des Dorfes gelegenen Kirche zustrebte.

Im Rahmen des schönen Thales bot der von goldgestickten Purpurfahnen überflatterte Zug ein lebens- und weihevolles Bild, dessen Hauptgruppe sich besonders malerisch hervorhob.

Inmitten der Vicare und Patres des nachbarlichen Klosters, denen das Musikcorps voranzog, schritt Lois und unmittelbar vor ihm die kleine „geistliche Braut“ mit unschuldigen Engelsmanieren, als wüßte sie, daß sie das Ideal, die Kirche selbst, versinnlichen sollte. Lois’ Gesicht leuchtete in Verklärung, während er hochaufgerichtet seinen Ehrenweg ging, der ihn zu den Stufen des Altars seiner Heimathkirche führte, in welcher ihm dereinst, als ein Anderer die gleiche Feier beging, der erste heiße Wunsch geistlichen Lebens aufgestiegen war, dessen Erreichen er sich „so fest vorgenommen hatte, wie man sich vornimmt, in den Himmel zu kommen“. Nun stand er am Ziele.

Das Mysterium, welches zu begehen ihm heute zum ersten Male oblag, war vollzogen. Wieder erhoben die Glocken ihre feierlichen Stimmen, und Lois sprach aus erschüttertem Herzen, mit vergeistigtem Ausdrucke der seinen Zügen den Segen über die Gemeinde, welche ihn hatte aufwachsen sehen, über seine Mutter, welche vor seligen Thränen das geliebteste ihrer Kinder nicht mehr sah.

Wenige Minuten nachher strömte der Zug aus der Kirche. Fügen, welcher mit Genoveva und Siegmund der Feier im Chor beigewohnt hatte, war von heimlicher Sorge um Jana, welche die kranke Maxi nur ungern verlassen, um die mühsamen Schritte ihrer noch leidenden Mutter zu stützen. Fügen fand ihr Aussehen so angegriffen, daß er sie nicht aus den Augen verlieren mochte, schnell hinabeilte und zwischen der Volksmenge neben dem Zuge herschritt. Auf einmal sah er Jana den Arm ihrer Mutter loslassen. Ihr schreckensbleiches Gesicht war bestürzt seitwärts gewendet. Dort auf dem Hügel, an welchem sich der Zug eben vorüberwand, unter dem Nußbaume stand hinter dem Verkaufstische der alten Kränzelfrau nicht diese, sondern Maxi. Ihre Wangen, ihre Augen glühten. Sie trug ihre gewohnte, halb städtische, halb ländliche Kleidung; ein grüngoldener Kranz mit weißen Blüthen war auf ihr Haar gedrückt, dessen Zustand ein Zeugniß fieberischer Achtlosigkeit gab; es war nur theilweise aufgenestelt, und eine der schweren dunklen Flechten hing lose über die wogende Brust. Die weitgeöffneten Augen waren mit so intensiver Macht auf Lois geheftet, daß sie wohl Gewalt haben mochte, die seinen an sich zu ziehen Wenigstens sah Fügen, als er der Richtung ihres Blickes folgte, den des jungen Priesters einen Moment auf der Erscheinung des Mädchens haften. Einen Moment nur – dann schritt er hochaufgerichtet vorüber.

Zugleich vernahm Fügen einen leisen, gebrochenen Laut; er wandte sich um und fing die inzwischen herbeigeeilte Jana halbohnmächtig in seinen Armen auf; er trug sie mehr als er sie führte aus dem einen Augenblick sich stauenden Gewühle. Unfähig zu sprechen, deutete sie nach dem Hügel, wo Maxi, nun aschfahl geworden, immer noch stand und dem Zuge nachstarrte.




24.

Als die Morgenglocken den nächsten Sonntag einläuteten stand inmitten eines Parterrezimmers der Moosburg ein offener Sarg. Die junge Gestalt, welche darin ruhte; schien zu schlummern. Einen Kranz weißer Astern im dunklen aufgelösten Haare, ein Sträußchen frischer Feldblumen zwischen den gefalteten Händen – so lag sie friedlich in dem engen Schrein

Der Lufthauch, welcher durch das geöffnete Fenster eindrang und die Kerzen zu Häupten der Bahre dann und wann aufflackern ließ, war das Einzige, was sich hier regte, und doch athmete eine Menschenbrust in diesem todtenstillen Raume. So leise war aber der Hauch, so unbeweglich die Lebende, welche unverwandt auf das stumme Kind niederblickte, daß sie mehr einem Bilde glich, als einer Athmenden. Alles, was von Leben in Jana war, lag in ihren Augen.

Plötzlich schrak sie zusammen. Schritte und Stimmen, gedämpft und doch deutlich, wurden draußen vernehmlich. Jana beugte sich mit rascher, fast scheuer Bewegung und berührt die geschlossenen Lider der heißgeliebten Todten mit ihren Lippen. Beide

Hände fest gegen die Brust gedrückt, ging sie dann mit gesenkten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_639.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)