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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Eine weitere Reihe von Aufgaben war in Vorbereitung, wie „Die Ertheilung technischen Rathes an Staats- und Gemeindebehörden“ und eine „Neue Prüfungsordnung für Aerzte und Thierärzte“.

Es liegt nicht im Zweck unserer Betrachtung, das Schicksal der zum Theil vortrefflich geplanten Entwürfe im Einzelnen zu verfolgen und jede Schwierigkeit, welche dieselben zu überwinden haben, zu prüfen. Beispiele geben hier das beste Bild. Für die Durchführung der Nahrungsfälschungs-Bestimmungen sind Untersuchungsstationen in Städten und Gemeinden die unerläßliche Vorbedingung, aber die wenigsten Gemeinwesen bringen die hierzu nöthigen Geldmittel auf. Selbst in einigen Regierungshauptstädten (wie Königsberg in Preußen) fehlt es noch ebenso sehr an der obligatorischen Trichinenschau, wie an öffentlichen Schlachthäusern.

Andere betheiligte Kreise ließen ihr anfangs lebhaftes Interesse gar zu schnell erkalten; so könnte eine mit großer Mühe begonnene und zum Theil durchgeführte Erhebung über die Krankheits- und Invaliditätsstatistik des deutschen Eisenbahnpersonals nicht vollkommen fertig gestellt und praktisch verwerthet werden, weil ein Theil der Eisenbahnverwaltungen den Nutzen derartiger Ermittelungen noch nicht einzusehen im Stande war. So blieb ferner die Prüfungsordnung der Aerzte bei den Einzelregierungen liegen, auch nachdem das Gesundheitsamt sein ausführliches Urtheil in dieser wichtigen Angelegenheit längst abgegeben hatte.

Man geht hier sicher nicht fehl, wenn man diese „unüberwindlichen Mächte“ für manche Anfeindungen der doch so nützlich wirkenden Behörde verantwortlich macht. Nothwendige Ergänzungen und Hülfskräfte wurden im Reichstage Gegenstände unfreundlicher Debatten, und im vorigen Jahre wurde ein unumgänglicher Bureaubeamter sogar direct vom Etat gestrichen. Und dabei beklagten sich, so oft von dem Reichsgesundheitsamte im Reichstage die Rede war, gerade die für öffentliche Gesundheitspflege am aufrichtigsten interessirten Abgeordnetenkreise, wie wenig weit man auf dem verheißenen Wege vorwärts gelangt sei. Man vergaß eben bei solchen Gelegenheiten gar zu leicht, daß Früchte nicht zu ernten sind, wo noch das Säen kaum vollendet war.

In sehr hervorragender Weise hat sich das kaiserliche Gesundheitsamt mit der Erforschung der Seuchengifte beschäftigt.

Nicht nur daß es sich die Thätigkeit eines Mikroskopikers sicherte, der durch eigenen selbstständigen Fleiß, durch bis dahin unerreichte Exactheit der Methoden sich zu einer Autorität auf dem schwierigen Felde der Krankheitsparasiten heraufgeschwungen hatte – es hat auch keinen Theil seiner Arbeitsräume glänzender ausgestattet, als diesen. Es kann kein Zweifel darüber herrschen, daß durch eine reiche staatliche Unterstützung ganz andere Untersuchungen zur Ausführung gebracht werden können, als sie der Privatgelehrte auf seinem beengten Laboratoriumsplatze, oder gar der mit Privatpraxis beschäftigte Arzt mitten unter zeitraubenden Berufsgeschäften zur Reife bringen kann. – Die Pariser Akademie und die französischen Fachjournale jubeln über die neuesten Entdeckungen Pasteur’s, der im Laufe der letzten Jahre dem Geheimnisse immer näher kam, warum und wodurch die Krankheitsgifte so umgewandelt werden können, um sie zu Schutzstoffen zu benutzen. Man sehe aber auch, mit welchen Mitteln Pasteur ausgestattet wird, wie ihm von diesem Ministerium, von jener landwirthschaftlichen Akademie, aus allen für wissenschaftliche Zwecke gestifteten Fonds die unglaublichsten Summen zur weiteren Verfolgung seiner Entdeckungen zuströmen.

Man kann die sichere Hoffnung aussprechen, daß auch das Gesundheitsamt mit dem Aufwande, den es für die Erforschung der Seuchenursachen verwerthet, die erfreulichsten Resultate erreichen wird. Vielleicht läßt sich in der Folgezeit gerade dieser segensreichen Bestrebung noch eine Ausdehnung in anderer Richtung geben, indem man auch die auswärtigen Wanderseuchen in den Kreis der Forschung zieht. Denn für die Erkenntniß der einheimischen wird ja unverkennbar dadurch schon sehr Erhebliches geleistet, daß man die Ansteckungsstoffe sucht und ihnen durch Thierversuche ihre geheimen Verbreitungswege ablauscht, um diese vorkommendenfalls abschneiden zu können. Die von außen den europäischen Ländern drohenden Wanderseuchen jedoch, sowie die an gewissen Herden auftauchenden und einer schnellen Verbreitung fähigen, bedürfen zum Verständniß ihrer Entstehung und Verbreitung der Enträtselung jener großen Experimente, welche die Natur innerhalb der Entstehungsbezirke anstellt. Sie bedürfen mit anderen Worten eines Studiums an Ort und Stelle, ja sie bleiben unbegriffen und trotz aller Hypothesen ungemindert furchtbar, wenn man ihnen nicht mit Forscherkräften bis an ihre Ursprungsorte entgegengeht. Zu dieser geographischen Seite der Seuchenbekämpfung hat das Gesundheitsamt bis jetzt noch nicht Stellung genommen.

Als die von Rußland zurückgekehrten Pestdelegirten ihren Bericht erstattet hatten, wartete man auf eine Meinungsäußerung der centralen Gesundheitsbehörde vergebens, und auf ebenso wenig Widerhall traf eine wichtige Petition, welche von dem über ganz Deutschland verbreiteten „Verein für öffentliche Gesundheitspflege“ berathen worden war. Man hatte sich hier schlüssig gemacht, daß bei drohenden Wanderseuchen statt der wenig nützenden Absperrungen und Quarantänen die Einrichtung internationaler Sanitätscommissionen in den Europa fast unablässig bedrohenden Cholera- und Pestbezirken alle Beachtung verdiene, und dem Reichskanzler eine entsprechende Petition unterbreitet. Diese Anregungen lagen selbstverständlich den Zielen und Aufgaben unserer Behörde ganz nahe, doch läßt sich auch leicht ermessen, auf wie große diplomatische Schwierigkeiten derartige Bestrebungen stoßen, so lange es sich nicht um die dringendsten Nothlagen handelt.

In zwei wichtigen Punkten hat endlich das deutsche Gesundheitsamt seine Aufmerksamkeit auf jene beiden Staatenbunde gelenkt, welche wenigstens annähernd ihren Einzelstaaten gegenüber mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wie unser geeinigtes Vaterland – auf die Schweiz und auf Nordamerika. Zunächst erschien von Interesse jener einmüthige, lobenswerthe Entschluß der sämmtlichen schweizerischen Aerzte, an der Krankenstatistik besonders für die ansteckenden Krankheiten mitzuarbeiten; man hat nicht versäumt, von Seiten des Amtes eine ähnliche Anregung auch unter den deutschen Aerzten wachzurufen. Das nachahmenswertste Beispiel Nordamerikas bezieht sich dagegen auf die „National-Board of health-Bulletins“ (Veröffentlichungen des National-Gesundheitsamtes), welche, in Washington herausgegeben, durch ganz ausgezeichnete und auch dem Laien verständliche Supplementhefte, die der einheitlichen Behandlung hervorragender hygienischer Fragen gewidmet sind, auch in weiteren Schichten der Bevölkerung ein dauerndes Interesse an unserem Gegenstände wacherhalten wollen.

Das deutsche Gesundheitsamt hatte an die Spitze seiner am 6. Januar 1877 begonnenen „Veröffentlichungen“ ein Programm gestellt, laut dessen es regelmäßig über die Erkrankungs- und Sterblichkeitsverhältnisse des In- und Auslandes berichten, den Gang der Epidemien verfolgen, den Witterungsverlauf in Deutschland nach Beobachtungen in acht Klimakreisen – mit Konitz, Bremen, Berlin, Breslau, Heiligenstadt, München, Karlsruhe, Köln als Mittelpunkten - darstellen, den Veränderungen der sanitarischen Gesetzgebung und den Erlassen über Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege Beachtung schenken wollte. Wir finden denn auch seit jenem Datum in jeder wöchentlichen Nummer eine Zusammenstellung: Wochenschau im In- und Auslande; eine statistische Nachweisung über die Sterblichkeit in hundertachtundvierzig deutschen und fünfzig außerdeutschen Städten; einen schematischen Witterungsnachweis und eine Zahlentabelle über die Krankenbewegung in den Berliner Hospitälern. Jede dritte oder vierte Woche bringt noch eine Beilage: Thätigkeitsberichte aus anderen Gesundheitsämtern, Zahlentabellen aus statistischen Blättern, amtliche Verfügungen etc. Sachgemäß, aber trocken werden diese Gegenstände behandelt, und so ist es kaum auffallend, daß diese „Veröffentlichungen“ viel weniger im Publicum verbreitet sind, als es wünschenswerth wäre. Man hat sich indessen das nordamerikanische Vorgehen einsichtsvoll zum Muster genommen und beabsichtigt schon in der allernächsten Zeit die zusammenhängenden Arbeiten der Mitglieder des Gesundheitsamtes ebenfalls in zwanglosen Supplementheften im Publicum zu verbreiten.

So gedeiht, wenn auch langsam und nicht gerade in den Sonnenstrahlen der Popularität, unter bis jetzt wenig prunkhaften Aeußerlichkeiten hier ein wichtiges Stück deutscher Einigkeit. Möge es unserer Darstellung gelungen sein, dem Leser nahe zu führen, daß auch er, für sich selbst und im Verein mit Anderen, an dem begonnenen Werke gelegentlich, und wäre es nur durch die Beschränkung eines Sonderinteresses, mitarbeiten kann.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_643.jpg&oldid=- (Version vom 16.10.2022)