Seite:Die Gartenlaube (1881) 659.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Es gelang mir nicht, den Poeten von dieser phantastischen Naturauffassung zu befreien; er hörte kaum darauf, als ich ihm sagte, die Aehnlichkeit mit der Schneeflocke sei eine blos eingebildete und die nüchterne Naturbetrachtung in diesem Falle poetischer, als die poetische, indem sie uns zeigt, daß diese Wunderblume thatsächlich ein Unicum und in gewissem Sinne die höchste Leistung der Flora ist, nämlich gar keine eigentliche Blume, sondern ein Strauß aus Sträußen, von einer geradezu einzigen und künstlerischen Composition. Versuchen wir es nun an dieser Stelle, die eigenartige Natur des Allerweltslieblings zu zergliedern !

Die neuere Blumenerklärung, welche Schopenhauer in die Worte kleidete: die Blumen seien nur um ihrer selbst willen und nicht für andere Wesen schön und anziehend, erklärt uns, warum kleinere Blumen, die für sich im Laube verschwinden würden, wie z. B. die unserer einheimischen Orchideen, des Klees, der Reseda, der Doldenblumen, Scabiosen und unzählige andere, sich zu dichten Aehren, Trauben, Köpfchen, Scheiben und Sträußchen zusammendrängen, um nach dem Principe: „Vereinigung macht stark“, ihre Duft- und Farbenwirkung zu erhöhen und von Weitem besser gesehen zu werden. Die Blume bietet sich in solchem Falle ihren Verehrern gleich als Strauß dar, und oft als ein Strauß von wunderbar zierlicher Composition. Das Straußwinden ist bekanntlich eine Kunst, welche viel natürlichen Geschmack erfordert, und es giebt dabei gewisse kleine Kunstgriffe, welche die Wirkung sehr erhöhen. Um mich nicht in ein Detail zu verlieren, dessen Verfolgung an dieser Stelle die Fülle des Stoffes verbietet, erinnere ich nur an die meist aus Papier oder zartem Stoff gefertigten, zierlich zerschlitzten Manschetten, die wir unseren Sträußen als effectvolle Unterlagen geben. Ich weiß nicht, ob die ersten Straußbildner diesen Kunstgriff der Natur abgesehen haben; jedenfalls verschmäht erstere denselben nicht, namentlich wenn es darauf ankommt, aus kleinen und unscheinbaren Blüthen ein effectvolles Ganzes zu componiren. In der Regel geht jede einzelne Blüthe aus der Achsel eines einzelnen meist grünen Blattes, des sogenannten Stützblattes oder der Bractee hervor, und bei der Vereinigung vieler Blüthen zu einem Strauße vereinigen sich nicht selten die Bracteen unter sich, um diesem Strauße eine geschmackvolle Manschette oder Unterlage zu gewähren. Wir finden solche Beispiele sehr schön bei einer Abtheilung der durch Mohrrübe, Fenchel, Petersilie, Schierling etc. auf unsern Wiesen und Gartenbeeten überall vertretenen Doldenblüthler, die sich durch Bildung kleinerer und dichterer Blüthenstände auszeichnen, nämlich bei den Sterndolden und Mannstreu-Arten, denen sich die weniger bekannten Bupleurum- und Hacquetia-Arten, anschließen. Es ist nun bemerkenswerth, daß sich die schönsten Beispiele von Manschettenbildung unter diesen zum Theil auch in der Ebene vertretenen Arten wiederum im Gebirge finden. Auf dem von Künstlerhand entworfenen Alpenblumenstrauße, der diese Skizze schmückt, sehen wir, die andern Blumen überragend, die beiden verbreitetsten Sterndolden (Astrantia major und minor) dargestellt, von denen Albrecht von Haller in seinem Gedichte über die Alpen sang:

„Der Blumen zarten Schnee, den sanfter Purpur färbet,
Schließt ein gestreifter Stern in weiße Strahlen ein.“

Blickt man diese Blumen in der Natur genauer an, so bemerkt man die zierlichste Zeichnung in dunkelgrüner und violetter Aderung auf weißer Sternrosette. Die Mannstreu-Arten der Ebene, welche Dürer auf seinen Bildern so häufig gezeichnet hat, werden weit übertroffen von der in der Mitte unseres Straußes und in zwei seitlichen Exemplaren dargestellten Alpen-Mannstreu (Eryngium alpinum), deren Blüthenköpfchen von einer bei großen Exemplaren über alle Beschreibung schönen, stahlblau schimmernden Stachelrosette umgeben ist. Mit Recht trägt man sie im Waadtlande als Chardon bleu überall statt Edelweiß oder Gemsbart am Hut, wozu sich der wie aus feinstem, glänzend polirtem und blau angelassenem Stahl gefertigte Strahlenstern prächtig eignet.

Offenbar haben diese Straußmanschetten die Bedeutung von Anlockungsmitteln aus der Ferne, und dies tritt besonders hervor bei solchen Pflanzen, deren Blüthen klein und unscheinbar, womöglich grünlich gefärbt sind, wie bei vielen Arten des großen Wolfsmilch-(Euphorbia-)Geschlechts. Bei den gewöhnlichen Wolfsmilch-Arten unserer Gärten und Triften bilden die Bracteen verwachsene Hüllen, die am Rande mit goldgelben Halbmonden verziert sind, bei einigen andern Arten, die wir in unsern Gewächshäusern ziehen, der Euphorbia fulgens, splendens, punicea, pulcherrima etc. bilden sie, wie schon diese Beinamen besagen, herrliche, meist brennend scharlachrothe Einfassungen des an sich ganz unscheinbaren Blüthenstraußes, welche denselben auch für Menschenaugen so anziehend machen, daß die mexicanischen Damen diese Wolfsmilchsträuße als prächtigsten Schmuck ihres dunklen Haares verwenden, wozu sie sich in der That wie keine anderen natürlichen Sträuße eignen, da sie selbst eine lange, heiße Ballnacht hindurch vollkommen frisch bleiben. Bei der letztgenannten Art, die auch als Poinsettia pulcherrima unterschieden wird – die Spanier nennen sie Osterblume, Flor de Pasqua – wird die zinnoberrothe Straußmanschette handgroß, und sticht von dem maigrünen Laube und den ebenso gefärbten Blüthenknospen prächtig ab.

Dieses Vereinigungsprincip erscheint auf die höchste Spitze getrieben bei derjenigen artenreichsten Pflanzenfamilie, die zugleich nach geologischen Forschungen die jüngste ist und somit als der höchste Ausdruck der pflanzlichen Entwickelung anzusehen wäre, bei den Korbblüthlern (Corymbiferae) oder Zusammengesetzten (Compositae), zu denen unsere Kornblumen, Kamillen, die Gänseblümchen, die Sonnenblumen, Astern, Georginen und auch unser Edelweiß gehören. Die Eigenthümlichkeit dieser Familie besteht darin, daß ähnlich, wie in den früher erwähnten Fällen, zahlreiche, oft Hunderte einzelner Blüthen in einer einzigen, von den äußeren Bracteen gebildeten manschetten- oder korbartigen Hülle zu einer höheren Einheit, gewissermaßen zu einer Blume der zweiten Potenz zusammengefaßt sind. Als die älteren Botaniker erkannt hatten, daß z. B. ein Gänseblümchen ein aus vielen einzelnen Blumen zusammengesetzter Strauß, eine Blüthengesellschaft sei, wehrten sie sich dagegen, diese Blüthenstaaten mit den einfachen Blumen auf eine gleiche Stufe zu stellen. Aber die geistvollen Botaniker Link und Schleiden nahmen die alte Anschauung, daß die Composite ein wirklich abgeschlossenes einheitliches Ganzes, eine Blume höherer Ordnung, die Vollendung des Blumenideals sei, gegen die Einsprüche Cassini’s und Anderer in Schutz, lange bevor man wußte, daß sie zu den auf unserem Erdballe zuletzt aufgetretenen Kindern Flora’s gehören. Jedenfalls sind sie die vollkommensten Blüthen in den Augen der Insecten; denn diese finden hier eine ganze Garbe, ja ein förmliches Erntefeld mit Honigröhren bei einander, welches sie, bequem auf der Scheibe umherspazierend, ausbeuten können, und daher hat auch die Ansicht ihre Berechtigung, daß sie solche Blumenformen gezüchtet haben.

Aber auch hier war der Züchtung immer auffallenderer Blumen höherer Ordnung ein weites Feld geöffnet, und daher erklärt sich eben der unermeßliche Formenreichthum der Korbblumen. In den einfachsten Fällen, wie z. B. bei den Disteln, dem Löwenzahn und vielen andern, sind alle in einem solchen Körbchen zusammen eingeschlossenen Blumen unter sich gleichgestaltete und gleichwerthige Blüthen, das heißt regelmäßige oder unregelmäßige Zwitterblüthen mit je fünf Staubgefäßen und einer zweitheiligen Narbe. Solche Blumen mußten entweder durch bedeutende Größe, wie die Disteln, oder durch einen weitgeöffneten Strauß, wie der Löwenzahn und seine Verwandten, Aufmerksamkeit erregen, um nicht vernachlässigt zu werden, bei manchen von ihnen, wie der Karls-Distel des Gebirges, sind, wie in den oben erwähnten Fällen, die Hüllblätter in’s Mittel getreten und haben die Blumen mit einer silberglänzenden Strahlenglorie umgeben, und ähnlich übernahmen diese Hüllblätter bei den Immortellen und Strohblumen durch unverwelkliche Farben das Anlockungsgeschäft.

In den meisten Fällen dagegen haben sich die Blüthen des Blumenkorbes zum Theil selbst dem Anlockungsgeschäft gewidmet und deshalb in zwei Classen getheilt, die man als Strahlblumen und Scheibenblumen unterscheidet. Schon bei weniger einheitlich zusammengefaßten Blüthenständen, z. B. bei den oben erwähnten Schirmblumen und Scabiosen, sieht man die Randblüthen eine unregelmäßige, auf der äußeren Seite ihres Saumes verlängerte Form annehmen; sie strahlen, vielleicht in Folge günstigerer Lebensbedingungen, aus und tragen dadurch erheblich zur Augenfälligkeit des Blüthenstraußes bei. Bei den Korbblüthen findet man alle möglichen Entwickelungsstufen dieses Vorganges. Der einfachste Fall ist derjenige, wenn die Randblüthen sich nur durch etwas gesteigerte Größe und verringerte Regelmäßigkeit von den inneren Blüthen des Körbchens unterscheiden, sonst aber in Farbe und allgemeiner Gestalt den innern Blüthen gleichgeblieben sind, wie wir

dies bei unserer gefeierten Kornblume und einer ebenso schön

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_659.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2024)